© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/07 08. Juni 2007

Schröder hat das Völkerrecht mißachtet
Prominente Völkerrechtler widersprechen jeder "Rechtsgrundlosigkeit" deutscher Vertriebener
Alfred de Zayas

Alle Länder haben Minderheiten, und alle Minderheiten haben Menschenrechte - nicht nur auf Nicht-Diskriminierung, sondern auch auf die Pflege der eigenen Kultur, Sprache und Identität.

Das von den Völkerrechtlern Dieter Blumenwitz, Gilbert Gornig und Dietrich Murswiek herausgegebene Buch versammelt neun informative Beiträge von Experten im Bereich des Minderheitenrechts. Die Kapitel in deutscher Sprache werden von einer englischen Zusammenfassung begleitet. Hervorzuheben sind die Beiträge des leider zu früh verstorbenen Würzburger Ordinarius Blumenwitz "Der Weg zum Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen", des Marburger Ordinarius Gornig über "Menschenrechte im Völkerrecht", der Breslauer Universitätsprofessorin Agnieszka Malika über die Rechtslage der nationalen Minderheiten in Polen samt Text des polnischen Minderheitengesetzes und von Tobias Irmscher über "Aktuelle Entwicklungen zur Vermögensfrage in den deutsch-polnischen Beziehungen".

Im Geltungsbereich der Vereinten Nationen garantiert Artikel 27 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte die Rechte der Minderheiten. In Europa sind neben der Europäischen Menschenrechtskonvention vor allem das Rahmenübereinkommen über Minderheitenrechte und die europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen einschlägig, beide seit 1998 in Kraft. Irmscher stellt unter anderem auf das Gutachten von Eckart Klein zur Rechtslage des im heutigen Polen entzogenen Privateigentums Deutscher ab (Potsdam 15. Februar 2005; siehe auch schriftliche Frage des Bundestagsabgeordneten Erwin Marschewski (CDU), Bundestagsdrucksache 15/2897) und kritisiert überzeugend das Gutachten zu Ansprüchen aus Deutschland gegen Polen der Staatsrechtler Jan Barcz (Warschau) und Jochen Frowein (Heidelberg), das, wie Bundeskanzler Gerhard Schröder in Warschau am 27. September 2004 hervorhob, die deutschen Privatansprüche auf Entschädigung für "rechtsgrundlos" hielt. Irmscher erinnert dabei, daß "die entschädigungslose Enteignung deutschen Privatvermögens im Widerspruch zum geltenden Völkerrecht stand und steht", vor allem weil sie diskriminierend bzw. rassistisch erfolgte. Nicht nur Klein, sondern viele andere Völkerrechtler wie Christian Tomuschat und sämtliche deutsche Bundesregierungen haben stets auf die Rechtswidrigkeit der Vertreibung hingewiesen. Der österreichische Ordinarius Felix Ermacora stellte ferner fest, daß Aspekte der Vertreibung als Völkermord eingestuft werden müßten.

Dabei ist die Wegnahme des Vermögenwerte unter keinen Gesichtspunkt zu rechtfertigen. Die Repressalie scheidet schon deshalb aus, weil diese als Zwangsmittel lediglich der Herbeiführung eines rechtmäßigen Zustandes dienen darf, daher zeitlich beschränkt und sofort beendet werden müßte, wenn der Rechtsverstoß eingestellt und keine Wiederholung zu befürchten ist. Reparationen sind Obligationen des Staates und können als solche von der Besatzungsmacht grundsächlich nicht den Angehörigen des Feindstaats entzogen werden.

Irmscher erinnert ferner daran, daß bei den Verhandlungen über den Warschauer Vertrag vom 7. Dezember 1970 die deutsche Delegation Wert auf die Feststellung legte, daß in dessen Abschluß keine Anerkennung der Rechtmäßigkeit der mit der Vertreibung zusammenhängenden Maßnahmen einschließlich der Eigentumseingriffe gesehen werden könne. Das Bundesverfassungsgericht stellte entsprechend fest, daß dem Warschauer Vertrag eine solche Anerkennungswirkung nicht zukomme. Eine Änderung erfolge auch nicht im Kontext der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen und auch nicht im deutsch-polnischen Grenzbestätigungsvertrag vom 14. November 1990, auch nicht im Nachbarschaftsvertrag vom 17. Juni 1991.

Irmscher untersucht, welche völkerrechtliche Wirkung der Erklärung Schröders zukommen kann. Nach dem Prinzip des "Estoppel" kann die Bundesregierung keine Ansprüche gegen Polen erheben. Dagegen verwirkt die einseitige Erklärung nicht die Ansprüche der Individualpersonen. Die Erklärung ist um so bedauerlicher, denn der Staat hat eine Verpflichtung zum diplomatischen Schutz seiner Bürger gegenüber anderen Staaten, vor allem wenn seine Bürger Opfer von Kriegsverbrechen bzw. Verbrechen gegen die Menschheit geworden sind. Eine einseitige Erklärung, die die Vermögensfrage als erledigt und entsprechende Ansprüche als "rechtsgrundlos" charakterisiert, läuft der völkerrechtlichen Sekundärpflicht zur Folgenbeseitigung und Wiedergutmachung zuwider. Ebensowenig ist Verjährung eingetreten, was aus der Unverjährbarkeit der Vertreibung als Verbrechen gegen die Menschheit folgt und sich auf die Vermögensansprüche erstreckt. Nur durch individuellen Verzicht sind die völkerrechtlich begründeten Individualansprüche aufgebbar.

Obwohl Irmscher die Preußische Treuhand nicht erwähnt, unterstützen seine überzeugende Argumente ihre völkerrechtlichen Ansprüche. Realpolitisch gesehen aber können die deutschen Individualansprüche nur durch den politischen Willen der Bundesregierung durchgesetzt werden. Leider fehlt dieser Wille bei der CDU ebenso wie bei der SPD. Insofern hat die Bundesregierung dem Völkerrecht einen Bärendienst erwiesen, denn der einseitige Verzicht auf völkerrechtliche Durchsetzung legitimer Ansprüche läuft auf eine Degradierung des Völkerrechtes hinaus, wobei dann Kategorien von politisch korrekten und politisch inkorrekten Opfern entstehen und letzteren ihre Rechte versagt werden.

Dieter Blumenwitz, Gilbert Gornig, Dietrich Murswiek (Hrsg.): Minderheitenschutz und Menschenrechte. Duncker & Humblot, Berlin 2006, broschiert, 241 Seiten, 88 Euro

 

Prof. Dr. Alfred de Zayas ist Völkerrechtler, ehemaliger Sekretär des Uno-Menschenrechtsausschusses und Autor der Bücher "Die Nemesis von Potsdam", "Heimatrecht ist Menschenrecht" und zuletzt "Die deutschen Vertriebenen. Keine Täter - sondern Opfer" (Ares Verlag, Graz 2006).

Foto: Bundeskanzler Schröder 2004 mit dem damaligen Warschauer Bürgermeister Lech Kaczynski: Interesse eigener Staatsbürger verraten


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