© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/07 15. Juni 2007

Zwischen "Rügenromantik" und "nationaler Erhebung"
Zurück in der Neuzeit: In der jüngsten Ausgabe der "Baltischen Studien" steht Pommerns Landesgeschichte der letzten zweihundert Jahre im Vordergrund
Gerd Schmidt

Ein wenig irritierend nennt sich das Organ der Gesellschaft für Pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst, dessen Anfänge weit ins 19. Jahrhundert zurückführen, Baltische Studien. Da es aber keine andere deutsche Provinz gab, die einen annährend großen Anteil am Baltischen Meer, der Ostsee, aufzuweisen hatte, durften die Gründerväter dieser Zeitschrift darauf vertrauen, gegen Verwechslungen mit Periodica in Livland oder Kurland gefeit zu sein.

Ein Markenzeichen der "Neuen Folge", die mit dem jüngsten Jahrgang 2006 immerhin auch schon den 92. Band erreicht, ist der umfangreiche Rezensionsteil, der in den letzten zehn Jahren stetig weiter ausgebaut wurde, nun schon ein Drittel des Bandes beansprucht und mit fundierter, mitunter scharfer Kritik über das wissenschaftliche Niveau der Pommernforschung wacht.

Aus politischen Gründen unterschreitet dies nicht selten ausgerechnet der Inhaber des Greifswalder Lehrstuhls für pommersche Landesgeschichte, der "Westimport" Werner Buchholz. Mit dem Vorschlag, die pommersche Alma mater solle sich ihres Namenspatrons Ernst Moritz Arndt entledigen (JF 41/01), seinem verfehlten Pommern-Band in der Siedler-Reihe "Deutsche Geschichte im Osten Europas" (1999) oder zahlreichen Adaptionen polnischer Geschichtsklitterei spielt Buchholz seit langem eine so ausgesprochen unerfreuliche Rolle, daß die Baltischen Studien sich fast alljährlich mit seinen Produktionen befassen müssen.

Diesmal steht das von Buchholz herausgegebene "Lexikon Greifswalder Hochschullehrer 1775 bis 2006", veröffentlicht zum 550. Gründungsjubiläum der Universität (2006), im Zentrum einer vernichtenden Rezension Dirk Alvermanns, als Leiter des Uni-Archivs gewiß kein Unberufener. Daß das Bedürfnis nach einem verläßlichen und handwerklich akkurat gearbeiten Nachschlagewerk mit diesem Opus "keineswegs befriedigt" werde, zählt noch zu Alvermanns milderen Urteilen über diesen Pfusch der Marke Buchholz.

Ernst Moritz Arndt war wohl doch ein Demokrat

Kaum besser kommt die an seinem Lehrstuhl entstandene Habilitationsschrift von Kyra T. Inachin über "Die preußische Provinz Pommern 1815-1945" weg. Diese Arbeit, so die Kirchenhistorikerin Irmfried Garbe, wolle partout beweisen, daß Vor- und Hinterpommern "zwangsvereinigt" wurden und nie eine gemeinsame pommersche Identität ausbildeten. Solche "Decodierungen" einer "konstruierten" Landesidentität dürften den jetzigen polnischen Herren Hinterpommerns gefallen. Wenn hier aber jemand "konstruiert", und zwar "ahistorisch", so Garbe, dann wohl die Buchholz-Schülerin Inachin.

Nachdem der Aufsatz-Teil in den letzten Jahrgängen auf Mittelalter und Frühe Neuzeit konzentriert war, wenden die Beiträger des vorliegenden Bandes ihre Aufmerksamkeit wieder dem 19. und 20. Jahrhundert zu. Lewis M. Holmes (University of Vermont) präsentiert die "jüngsten Ergebnisse der Kosegartenforschung", im Vorgriff auf den im nächsten Juni zu feiernden 250. Geburtstag dieses "Wegbereiters der Rügenromantik". Ludwig Biewer, Leiter des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes und Vorsitzender der pommerschen Geschichtsgesellschaft, betrachtet die Greifswalder Hochschule im 19. Jahrhundert im "Kreise preußischer und deutscher Universitäten", ein Überblick, der angesichts des Forschungsstandes kursorisch ausfallen muß. Der Greifswalder Neuhistoriker Thomas Stamm-Kuhlmann befaßt sich mit Ernst Moritz Arndts Verhältnis zu Demokratie und Volkssouveränität anhand seines Abstimmungsverhaltens in der Frankfurter Paulskirche und kommt zu dem Schluß, daß der Sänger des Befreiungskrieges zwar "nach unseren Begriffen" kein Demokrat gewesen sei, aber nach dem "weitherzigen Demokratiebegriff" seiner Zeit sehr wohl. Thorsten Hinz schließlich behandelt unter der plakativen Überschrift "Die Partei macht den Staat" das konfliktreiche Verhältnis zwischen der pommerschen NSDAP-Gauleitung und dem Stettiner Regierungspräsidium im Verlauf der "nationalen Erhebung", die im Unterschied zu anderen preußischen Provinzen in Pommern erst 1934 zur Personalunion von Gauleiter und Oberpräsident führte.

Baltische Studien. Pommersche Jahrbücher für Landesgeschichte, Neue Folge, Band 92. Verlag Ludwig, Kiel 2007, broschiert, 256 Seiten, Abbildungen, 20 Euro


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