© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/07 22. Juni 2007

Kolumne
Innere und äußere Ordnung
Klaus Motschmann

Das Privatleben bekannter Persönlichkeiten bietet immer wieder Anlaß zum Nachdenken über das Verhältnis von privater und öffentlicher Moral, weil sie als sogenannte Opinion-leaders Maßstäbe für das allgemeine gesellschaftliche und politische Verhalten setzen. Aktueller Anlaß für derartige Überlegungen sind die Fragen, ob eine in Scheidung lebende Bischöfin nicht von ihrem Amt zurücktreten sollte und was von einem verheirateten Bundesminister zu halten ist, der sich von seiner Geliebten ein viertes Kind schenken läßt. Die Tatsache, daß darüber nicht nur auf den Titelseiten der Massenpresse, sondern auch in den Meinungsspalten der seriösen Presse berichtet, kommentiert und kontrovers diskutiert wird, ist ein weiterer Beweis für die komplette Verwirrung unserer traditionellen ethischen und rechtlichen Wertvorstellungen.

Dabei geht es jedoch nicht in erster Linie um das "Fehlverhalten" einzelner, sondern um die Reaktionen des Meinungskartells auf derartige unkonventionelle Verhaltensweisen. Sie werden inzwischen weitgehend von der Meinung bestimmt, daß das Privatleben vor öffentlicher Kritik zu schützen sei, wie sie von intoleranten Tugendwächtern und moralisierenden Intellektuellen immer noch geübt wird.

Dabei wird übersehen, daß mit dieser Trennung von privater und öffentlicher Moral ein neuer ethischer Dualismus gefördert wird, der in Widerspruch zu allem steht, was zu diesem Thema im Zuge der Vergangenheitsbewältigung seit 1945 gesagt worden ist. Gerade in der evangelischen Kirche hat man das Denken und Handeln in zwei Bereichen als einen Irrweg der Theologie verurteilt. Er habe zur Ausbildung einer "Doppelmoral" geführt und die Entwicklung des Nationalsozialismus begünstigt.

An Erklärungen und Theorien des von den traditionellen Normen abweichenden Verhaltens fehlt es selbstverständlich nicht. Wie immer man diese Theorien auch beurteilen mag: Sie haben die Mehrheit unseres Volkes - auch des Kirchenvolkes - bislang nicht überzeugt, weil sie gegen einen wichtigen Grundsatz der Kommunikationssoziologie verstoßen: den der corporate identity. Er besagt, daß zwischen der inneren und äußeren Ordnung einer Gemeinschaft und dem Denken und Handeln der Beteiligten eine erkennbare Übereinstimmung bestehen muß. Sie wird nur erreicht, wenn es nicht allein um den rechten Glauben, sondern immer auch um die Glaubwürdigkeit der handelnden Personen geht.

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaften an der Hochschule der Künste Berlin.


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