© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/07 06. Juli 2007

Ingenieur ist nicht gleich Ingenieur
Einwanderung: In der Diskussion um den Fachkräftemangel wird die Frage nach der heimischen Ausbildung an den Rand gedrängt
Michael Paulwitz

Der Wirtschaftsaufschwung verschafft alten Forderungen nach Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes neue Konjunktur. Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) nahm die Vorstellung des OECD-Migrationsberichts 2007 zum Anlaß, kaum zwei Wochen nach der Neuregelung des Zuwanderungsrechts für eine weitere Erleichterung des Zuzugs qualifizierter Ausländer einzutreten. Dafür erntete sie prompten Zuspruch von Arbeitgeberseite, Einwanderungslobby und CDU-Ministerpräsidenten, während Sozialdemokraten, Gewerkschaften und Arbeitsagentur auch skeptische Töne anschlugen.

Deutschland müsse "sehr viel schneller und in größerem Umfang als die meisten anderen OECD-Länder auf eine schrumpfende Erwerbsbevölkerung reagieren", hatte der Bericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gefordert und dabei vor allem die bessere Integration bereits eingewanderter Ausländer in den Arbeitsmarkt angemahnt.

"Hohes Interesse an ausländischen Talenten"

Obwohl als Bildungsministerin gerade dafür zuständig, griff Schavan lieber die Empfehlung auf, den Arbeitsmarkt für Fachkräfte weiter zu öffnen: Deutschland müsse "ganz klarmachen, daß wir an ausländischen Talenten sehr hohes Interesse haben". Die im Zuwanderungskompromiß festgeschriebenen Bedingungen - für Existenzgründer Investitionen von 500.000 Euro und fünf neue Arbeitsplätze, für Angestellte 85.500 Euro Jahresgehalt - müßten daher gesenkt werden, etwa auf ein Jahreseinkommen von 40.000 bis 60.000 Euro.

Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt applaudierte so unverzüglich, daß es fast abgesprochen wirkte. Qualifizierungsmaßnahmen und Versuche, die Lebensarbeitszeit zu verlängern, reichten nicht aus; die Wirtschaft brauche "schnell und in beträchtlichem Umfang" ausländische Arbeitskräfte, ein Verzicht darauf wäre "tödlich". Die CDU-Staatsministerin für Integration Maria Böhmer sekundierte, Deutschland drohe im internationalen Standortwettbewerb leer auszugehen, wenn die "besten Köpfe" weiterhin in andere Länder wanderten.

In den Reaktionen der Opposition spiegelte sich eine Interessenkoalition von Wirtschafts- und Einwanderungslobby. Grünen-Chefin Claudia Roth und FDP-Innenexperte Hartfrid Wolff kritisierten fast im Gleichklang, daß die Hürden nicht schon bei der Zuwanderungsnovelle gesenkt wurden. Dagegen bemängelte die Linksfraktion eine angeblich "einseitige" Fixierung auf "Auslese von Fachkräften und Hochqualifizierten", während der Bundesvorsitzende der Republikaner Rolf Schlierer der Bildungsministerin "blinde Wirtschaftshörigkeit" vorwarf.

Kein grundsätzlicher Widerspruch, aber doch andere Akzente kamen von Teilen der Sozialdemokratie und Gewerkschaften. SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz hielt sich an den "Migrationsforscher" und einflußreichen Ideengeber Klaus Bade und plädierte ebenso wie der DGB-Vorsitzende Michael Sommer für ein "Punktesystem" zur Einwanderungssteuerung nach kanadischem Vorbild. Unerwähnt blieb dabei wiederum, daß weder Kanada noch andere "klassische" Einwanderungsländer eine Unterschichtseinwanderung großen Stils in komplexe Sozialsysteme zulassen, die von der einheimischen wie der eingewanderten arbeitenden Bevölkerung unter großen Abgabenlasten finanziert werden müssen.

SPD-Generalsekretär Hubertus Heil fand, Arbeitsmigration sei nur "punktuell" nötig; Vorrang müsse die Qualifikation und Vermittlung inländischer Arbeitnehmer sein. Auch DGB-Chef Sommer ist grundsätzlich für den "geordneten Zuzug von Fachkräften", will aber "erst einmal ausbilden und unsere Arbeitslosen unterbringen". Angesichts der vielen Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz und arbeitslosen Ingenieure sei es "Bildungsimperialismus", einfach Fachkräfte aus dem Ausland holen zu wollen.

Warnung vor überzogenen Forderungen der Wirtschaft

Raimund Becker, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit (BA), hält es - wie übrigens auch der OECD-Bericht selbst - für "problematisch", bei der Behebung des Fachkräftemangels das Heil allein in der Zuwanderung zu suchen, solange es an der Weiterbildung hapere und das Schulsystem jährlich bis zu 90.000 junge Menschen ohne Hauptschulabschluß entlasse. Auch bei der Beschäftigung Älterer müßten die Arbeitgeber flexibler werden, mahnte Becker, der zudem vor den überzogenen Bedarfs­anmeldungen der Wirtschaftsverbände warnte.

Angesichts der kritischen Stimmen besann sich Schavan auf ihr Kernressort und lenkte ein, daß eben beides notwendig sei, Einwanderung ebenso wie Aus- und Weiterbildung. Darüber wolle man im Zuge der "nationalen Qualifizierungsoffensive" beraten.

Kaum thematisiert wurde in der Debatte, ob Fachkräfte, die in Deutschland nicht ausgebildet werden oder wegen mangelnder Entfaltungsmöglichkeiten das Land verlassen, überhaupt ohne weiteres durch angeworbene Ausländer ersetzt werden können. Ingenieur ist schließlich nicht gleich Ingenieur. "Wir brauchen Mitarbeiter ..., die selbständig arbeiten, und nicht Chinesen, die das Wissen nur reingebüffelt haben" - "ein deutscher Ingenieur ist uns lieber, weil die Sprache für uns ein wichtiges Kriterium ist, auch wenn wir ein internationales Unternehmen sind", zitierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung Personalverantwortliche zweier baden-württembergischer Weltmarktführer. Ministerpräsident Günter Oettinger (CDU), der seine alte Rivalin Schavan in dieser Frage unterstützt, weil sein Land "am meisten vom Fachkräftemangel betroffen" sei, sollte da wohl mal genauer hinhören.

Foto: Ein ausländischer Wissenschaftler im Labor: "Die Sprache ist ein wichtiges Kriterium"


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