© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/07 06. Juli 2007

Der Tiefpunkt unter der Knute Napoleons
Vor 200 Jahren wurde der Friede von Tilsit beschlossen / Preußen wurde zum tributpflichtigen Vasallenstaat gestutzt
Manfred Raether

Die einstige ostpreußische Stadt Tilsit im heute russischen Kaliningradskaja Oblast trägt nun den Namen Sowjetsk. Und die an Sowjetsk vorbei fließende Memel bildet hier seit 1991 als Njemen oder Nemunas die Grenze zwischen Rußlands Exklave und Litauen. Vor 200 Jahren war die Stadt Tilsit Schauplatz eines historisch herausragenden Ereignisses, als hier Napoleon und Zar Alexander I. einen markanten Meilenstein europäischer Geschichte setzen wollten.

Nach folgenreichen Schlachten traf sich im Juli 1807 Frankreichs siegreicher Kaiser Napoleon mit dem russischen Zaren Alexander I. und dem Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. in Tilsit, um einen Schlußstrich unter die verlust-reichen kriegerischen Auseinandersetzungen zu ziehen.

Für Preußen war der Weg nach Tilsit über die am 14. Oktober 1806 verlorene Doppelschlacht von Jena und Auerstedt bereits vorgegeben worden. Ruhmlos unterlag die mangelhaft vorbereitete und schlecht geführte preußische Armee einem überlegen taktierenden Napoleon. Bereits am 27. Oktober erschien der siegreiche Kaiser der Franzosen in Preußens Hauptstadt Berlin. Für den preußischen König blieb nur der Rückzug ins ferne Ostpreußen. Nur dort bestand noch Hoffnung, zusammen mit dem russischen Verbündeten eine militärische Wende herbeizuführen. Von deutschen Fürsten war zu diesem Zeitpunkt keine Hilfe zu erwarten. Österreich im Bündnis mit Rußland hatte am 2. Dezember 1805 in der "Dreikaiserschlacht" bei Austerlitz in Südböhmen eine vernichtende Niederlage durch Napoleon hinnehmen müssen. Und die Mehrheit der westdeutschen Länder hatte sich am 12. Juli 1806 unter dem "Protektor" Napoleon zum Rheinbund zusammengeschlossen, womit auch das Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gekommen war. Jetzt rächte sich die Unentschlossenheit des preußischen Königs; Preußen hatte sich mit einer pendelnden Neutralitätspolitik vor 1806 in die Isolation manövriert.

König Friedrich Wilhelm III. blieb nur eine Statistenrolle

Am 7. und 8. Februar 1807 kam es bei Preußisch-Eylau in Ostpreußen für Frankreich und Preußen zu einer weiteren verlustreichen Schlacht. Eine Entscheidung fiel jedoch nicht, Napoleon zog sich zunächst zurück und ließ seine Truppen entlang dem Fluß Passarge das Winterquartier beziehen. Parallel belagerten Soldaten Napoleons und des Rheinbundes das befestigte Danzig, wo Ende Mai die preußischen Soldaten kapitulierten und sich nach Königsberg zurückzogen.

Napoleon nutzte die kommenden Monate zur Verstärkung seiner Armee und zog zusätzliche Soldaten aus Frankreich und dem Rheinbund heran. Schließlich standen dem französischen Kaiser etwa 80.000 Mann zur Verfügung, die am 14. Juni in der Schlacht von Friedland (Ostpreußen) gegen die russische Armee und restliche preußische Kontingente antraten. Diese Schlacht konnte Napoleon dann für sich entscheiden. Das Ergebnis von Friedland führte französischen Kaiser und russischen Zar zum Waffenstillstand. Zwischen Kaiser und Zar kam es zu überraschenden Freundschaftsbekundungen, nachdem sich beide Herrscher erstmals in der Mitte der Memel auf einem "neutralen" Floß trafen. Für Friedrich Wilhelm III. blieb nur noch eine Statistenrolle.

Am 7. Juli 1807 schließen Napoleon I. und Alexander I. in Tilsit schließlich einen Frieden, der zu einer neuen europäischen Machtordnung führen soll. Beide Herrscher entscheiden sich für eine machtpolitische Aufteilung Europas zwischen Frankreich und Rußland. Napoleon sichert sich damit vor allem seinen Einfluß über die Gebiete bis zum westlichen Elbeufer, und Rußland erreicht die Unversehrtheit seines Territoriums. Zudem gewährt Napoleon seinem Vertragspartner freie Hand gegenüber Schweden und Türken. Im Gegenzug verpflichtet sich Zar Alexander I. gleichfalls zur Blockade englischer Handels- und Schiffsaktivitäten.

Am 9. Juli 1807 folgt der Friedensvertrag zwischen Frankreich und Preußen. Im Gegensatz zu den Verhandlungen mit Rußland stellt Napoleon nun demütigende Forderungen. Auch eine persönliche Fürbitte der preußischen Königin Luise kann Napoleon zu keinen Konzessionen bewegen. Daß es überhaupt noch bei einem verkleinerten eigenständigen preußischen Staat bleibt, war dem russischen Zaren zu verdanken, der sich als bisheriger Verbündeter dem Preußenkönig verpflichtet fühlte und Preußen sicherlich als möglichen Pufferstaat zwischen dem Westeuropa Napoleons und seinem Reich sah.

Die Bedingungen des französisch-preußischen Friedens-Traktats sind hart. Preußen verliert vor allem seine Gebiete westlich der Elbe; hier entsteht das neue Königreich Westfalen mit Napoleons jüngerem Bruder Jérome als König. "Seine Majestät der König von Preußen entsagen für sich und ihre Erben und Nachfolger jedem jetzigen und künftigen Anspruche, den sie machen könnten. Seine Majestät der König von Preußen entsagt ebenmäßig auf immer dem Besitze der Stadt Danzig." Aber nicht nur das damit eigenständige Danzig "mit einem Territorium von zwei Stunden ringsum" hat sich der französischen Kontinentalsperre gegenüber England anzuschließen, sondern auch das restliche Preußen.

Napoleons demütigendes Friedensdiktat für Preußen

Verloren gehen für Preußen auch die zuvor angeeigneten Gebiete aus den beiden letzten Teilungen Polens. Ein Teil dieser Region wird Rußland zugestanden, eine größere Fläche mit 104.000 Quadratkilometern und etwa 2,6 Millionen Einwohnern bildet das Herzogtum Warschau und wird in Personalunion dem neu ernannten Rheinbund-König von Sachsen zugewiesen. Tatsächlich handelt es sich bei dem Herzogtum Warschau jedoch um einen weiteren Vasallenstaat Napoleons, den er für sein machtpolitisches Taktieren benötigt. Die Wiedererstehung eines souveränen polnischen Staates ist von den Hauptakteuren nicht eingeplant.

Für Preußen bleibt es jedoch nicht bei den in Tilsit diktierten territorialen Verlusten. Nachträglich folgen vor allem erdrückende finanzielle Forderungen Frankreichs sowie Auflagen zur drastischen Truppenreduzierung, die Preußen zu einem bankrotten und schwachen Staat machen. Zudem sollen bis zur Begleichung aller auferlegten Zahlungsverpflichtungen Besatzungssoldaten im Lande bleiben.

In Tilsit werden somit völlig veränderte europäische Machtverhältnisse geschaffen. Nach zehn Monaten Abwesenheit kann Napoleon deshalb erneut triumphierend nach Paris zurückkehren. Auf dem Kontinent sind Frankreich und Rußland nun die allein bestimmenden Mächte. Lediglich England kann noch zu einer Gefahr für Napoleon werden. Um so wichtiger sind die abhängigen Länder für die Bereitstellung von Soldaten zum Dienst unter Napoleons Kommando. Unerwartet entwickelt sich für Napoleon jedoch bereits ab 1808 Ungemach auf der iberischen Halbinsel. Er wird dort zu erfolglosen militärischen Interventionen gezwungen. Dies wiederum ermutigt Österreich zur Erhebung gegen Frankreich. Napoleon reagiert jedoch kompromißlos und straft die Habsburger 1809 mit territorialen Verlusten (Illyrische Provinzen mit der Hauptstadt Laibach in Krain )und der Herabstufung zu einer von Frankreich abhängigen Macht.

Der nächste Widersacher Napoleons wird ab 1809 in der Person des russischen Zaren erkennbar. Im Frühjahr 1812 erscheint der Franzosenkaiser deshalb erneut in Ostpreußen, um hier und im Herzogtum Warschau eine bisher nicht gekannte Streitmacht von insgesamt zirka 600.000 Mann für den Marsch Richtung Moskau zu sammeln. Etwa 100.000 Soldaten stammen aus den Rheinbundländern; Österreich und Preußen müssen zusammen 50.000 Mann bereitstellen. Hinzu kommen Kontingente aus Napoleons übrigen Vasallenregionen, hierzu gehören vor allem polnische Soldaten. Hauptsammelpunkte sind Elbing, Marienburg, Marienwerder sowie entlang der Weichsel die Städte Thorn, Plock, Warschau und Pulawy.

Nach verlustreichen Aktionen bis nach Moskau hinein und einem in der Katastrophe endenden Rückmarsch finden nur etwa zehn Prozent der geschlagenen Grande Armée den Weg zurück über die Memel. Was 1807 an der Memel als Neuaufteilung Europas geplant war, führt nun zum Niedergang Napoleons und für Preußen zum wirtschaftlichen und politischen Wiederaufstieg. Die Neuordnung Europas nach Napoleons Vorstellungen hatte somit nur wenige Jahre Bestand. Für Frankreich bleibt der Tilsiter Frieden dennoch ein historisch markantes Ereignis. In Paris erinnert die Rue de Tilsitt als Halbkreis-Verbindung (zum Arc de Triomphe) zwischen der Avenue de la Grande Armée und der Avenue des Champs-Élysèes an europäische Geschichte im einst preußischen Ostpreußen. Für ein Litauer Reisebüro sind die Tilsiter Ereignisse von 1807 Anlaß für "Jubiläumsreisen 1807-2007". In Deutschland scheint das Gedenken an eines der schmachvollsten Friedensdiktate allerdings ebenso entrückt zu sein, wie es die Stadt an der Memel in der verlorenen ostpreußischen Provinz für die meisten heute wohl ist.

"Tilsiter Friedens-Traktat mit Frankreich" ist nachlesbar unter Digitale Quellen - Band 12 (http://altedrucke.staatsbibliothek-berlin.de/Rechtsquellen/index.html)

Bild: Napoleon erwartet auf der Memel den Zaren Alexander zu Verhandlungen vor dem Frieden von Tilsit: Preußen war nur noch als handlungsunfähiger Pufferstaat zwischen dem Westeuropa Napoleons und dem russischen Zarenreich von Interesse


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