© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/07 06. Juli 2007

Die Opfer der selbsternannten Racheengel
Deutsche Opfer der Nachkriegskonzentrationslager in Oberschlesien / Gedenken nur noch bei Vertriebenen und der kleinen deutschen Minderheit
Peter Muschol

An die fünfzig Oberschlesier gedachten am 17. Juni ihrer Angehörigen, die im Sommer 1945 im polnischen Konzentrationslager Zgoda im oberschlesischen Industriegebiet starben.

Seit 1995 organisiert der ehemalige Lagerhäftling Gerhard Gruschka mit "Deutschen Freundeskreisen in Polen" die Erinnerung an die Generation der Großeltern und Urgroßeltern. Die Zahl der in dem berüchtigten Lager umgekommenen Deutschen und auch der Polen, die als "Nazi-Kollaborateure" denunziert wurden, ist bis heute unbekannt. Vorsichtige Schätzungen gehen von 1.518 Opfern aus.

Im Frühjahr 1945 übernahm der stalinistisch geprägte "Sicherheitsdienst" (polnisch "Urzad Bezpieczénstwa Publicznego") die bereits im Krieg von der SS errichteten Lagerbaracken für Zwangsarbeiter der nahegelegenen Oberschlesischen Maschinen- und Waggonfabrik und trieb dorthin zentral in Gleiwitz verhaftete deutsche Zivilisten in einem Marsch quer durch das Industriegebiet.

Der "Sicherheitsdienst" bestand überwiegend aus Juden, die den Holocaust überlebt hatten und nun eine willkommende Gelegenheit sahen, Rache an den in Oberschlesien zurückgebliebenen Deutschen zu nehmen. Unter den in diesem KZ Getötetem waren auch drei deutsche Geistliche. Neben über hundert von sowjetischen Soldaten ermordeten katholischen Pfarrern sind es die einzigen heute bekannten Opfer von Polen.

Der bekannteste unter ihnen war der ehemalige DNVP-Reichstagsabgeordnete und CVer, Pfarrer Edgar Wolf. In der 1950 erschienenen Broschüre "Vom Sterben schlesischer Priester" heißt es: "Pfarrer Wolf (...) war im Januar 1945 in Schönwald (bei Gleiwitz) mit drei Klosterschwestern und seiner eigenen Schwester zurückgeblieben. Während der Russenzeit war er zeitweilig zum Ortsvorsteher bestimmt worden. Nach der Übernahme der Verwaltung durch die Polen wurde er mit einer großen Anzahl von Männern, Frauen und Mädchen am 5. Juli von der polnischen Miliz verhaftet und am folgenden Tag unter Mißhandlungen in das Gleiwitzer Gerichtsgefängnis gebracht. Einige Tage später wurde er dort laufend verhört und dabei schwer geprügelt. (...) Danach kamen alle in das polnische Konzentrationslager nach Schwientochlowitz. Die meisten erkrankten dort wegen mangelnder Ernährung an Hungertyphus. Infolge vollkommener Entkräftung, Hungertyphus und schwerer Mißhandlungen ist Pfarrer Wolf Mitte August dort verstorben."

1947 wurde das Lager aufgelöst und auf dem Gelände eine Kleingartenkolonie angelegt. Die auf dem nahegelegenen Friedhof ausgeschaufelten Massengräber sind eingeebnet, ihre genaue Lage wird verschwiegen und eine würdige Bestattung der Gebeine bis heute abgelehnt. Erst 1995 konnten die Deutschen Freundeskreise das ehemalige Lagertor von den Kleingärtnern erwerben und eine bescheidene Erinnerung in Form einer kleinen Gedenktafel ermöglichen. Seit der Wende wird jährlich ein Gedenkgottesdienst zelebriert, dieses Jahr vom Seelsorger für die deutsche Minderheit in der Diözese Oppeln, Pfarrer Wolfgang Globisch.

Die polnische Geistlichkeit meidet das Gedenken. Auch vom ehemaligen Papst Johannes Paul II. gab es kein Wort des Gedenkens an die deutschen Opfer in Oberschlesien. Letztlich ist es nur dem jüdischstämmigen US-Journalisten John Sack zu verdanken, daß die grauenvollen Verhältnisse in diesem KZ bekannt wurden. Der Wert seines verdienstvollen, aber weitestgehend unbeachtet gebliebenen Buchs "Auge um Auge. Die Geschichte von Juden, die Rache für den Holocaust suchten" (Kabel Verlag, Hamburg 1995, ISBN 3-8225-0339-8) liegt vor allem in einer ausführlichen Quellensammlung.

Wie ein roter Faden zieht sich das Schicksal eines Mannes durch die grauenvollen Schilderungen, des berüchtigten Kommandanten von Schwientochlowitz, Oberst Solomon Morel. Unbehelligt lebte er bis 1992 in Polen. Als die polnische Justiz gegen ihn Ermittlungen wegen des Verdachts des Massenmordes einleitete, setzte sich Morel zu Verwandten nach Israel ab. Dort lebte er sorgenfrei von einer polnischen Offiziersrente und einer KZ-Entschädigung, obwohl er nie in einem Konzentrationslager inhaftiert war. Am 14. Februar dieses Jahres starb er im Alter von 87 Jahren in Tel Aviv.

Daß von offizieller deutscher Seite das Gedenken an deutsche Opfer in Schwientochlowitz gemieden wird, ist eigentlich nicht verwunderlich, könnte es doch womöglich noch als Aufrechnung für deutsche Verbrechen gedeutet werden. Dafür registrierten die Anwesenden 2007 zwei Vertreter der Stadtpolizei von Schwientochlowitz, die ein Blumengebinde am Lagertor niederlegten. Zgoda hieß übrigens bis 1945 "Eintrachtshütte".

Foto: Oberschlesier mit polnischen Stadtpolizisten aus Zgoda gedenken am alten Lagertor: Womöglich als Aufrechnung gedeutet


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