© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/07 13. Juli 2007

"Volk von Miesmachern"
Einbürgerung: Der deutsche Paß ist für viele Ausländer wenig attraktiv
Michael Paulwitz

Es ist "ein Stück Papier, das einem das Leben ungeheuer erleichtert" und das seit der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts im Jahr 2000 auch erheblich leichter zu bekommen ist - und trotzdem wollen es immer weniger Einwanderer haben: die Einbürgerungsurkunde und den deutschen Paß. Die Redakteurin der Frankfurter Rundschau Canan Topçu, deutsche Staatsbürgerin türkischer Herkunft, hat nachgefragt, warum die rot-grüne Einbürgerungsoffensive auf so hartnäckiges Desinteresse bei den mit Wahlrecht, Berufs- und Reisefreiheit und endgültig gesichertem Aufenthalt zu Beglückenden stößt.

Herausgekommen ist ein aufschlußreiches "Lesebuch über das Deutschwerden". Topçu nähert sich ihrem Thema mit einer Collage aus eigenen Erfahrungen, Daten, Fakten und Positionen - von Interviews mit Politikern, Wissenschaftlern und Einbürgerungsbeamten bis zu Aussagen und Porträts von eingebürgerten und nichteingebürgerten Einwanderern und "typischen" Deutschen.

Vorweg: Daran, daß zu wenig für den deutschen Paß "geworben" würde, wie unter anderem der SPD-Politiker Sebastian Edathy im Gespräch mit der Autorin bemängelt, liegt die Einbürgerungsmüdigkeit nicht. Ohnehin ist Deutschland, wie der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach anmerkt, "das einzige Land der Welt, das einen Anspruch auf Einbürgerung kennt" - der übrigens von Wolfgang Schäuble als Innenminister der Kohl-Ära geschaffen wurde -, "und dieser Rechtsanspruch kann über den Klageweg geltend gemacht werden". Von Ausgrenzung und Diskriminierung berichten zwar manche der Befragten, aber nicht als dem entscheidenden Motiv. Die üblichen Verdachtsmomente werden durch die Ergebnisse von Canan Topçu Feldforschung nicht bestätigt.

Der Grünen-Europapolitiker Cem Özdemir berichtet, für seine Verwandten habe es seinerzeit an "Vaterlandsverrat" gegrenzt, die türkische Staatsbürgerschaft aufzugeben. Bis heute kaufen sich junge Türken lieber für viel Geld vom Wehrdienst in der Heimat frei, als deutsche Staatsbürger zu werden. Warum? Er bleibe für die anderen ja doch "der Türke", sagt ein junger Mann, der dem Beispiel des Vaters nicht folgen will: Warum solle er "Staatsbürger eines Landes werden, mit dem er sich nicht identifiziert?"

Es liegt also weniger am "Rassismus" als am mangelnden Selbstbewußtsein der Deutschen, daß die zweite und dritte Generation vor allem der türkischen Einwanderer geringeren Integrationseifer zeigt als die erste. In Deutschland, sagt der Kölner Soziologe Ulrich Schmidt-Denter, "gehört es zum guten Ton, die eigene nationale Identität sehr kritisch und zum Teil abwertend darzustellen. Man mutet also den Migranten zu, eine unattraktiv gestaltete Gruppenidentität zu übernehmen." Ein markanter Unterschied zu echten Einwanderungsländern, wo nationale Symbolik und Rituale die Integration unterstützen, wie Schmidt-Denter hervorhebt: "Erfolgreiche Integrationspolitik bedeutet für die Deutschen daher auch eine Klärung ihrer Beziehung zur eigenen Nation."

Wie bitter das nötig ist, zeigen die "Innenansichten", in denen sich vier Deutsche - offensichtlich archetypische Leser der Frankfurter Rundschau - über das "Deutschsein" äußern: Die Pfarrerin, die so lange differenziert, bis vom "Deutschsein" nur Sprache und "meine Werte leben, und das mit möglichst vielen Menschen der unterschiedlichsten Kulturen und Religionen" übrigbleibt. Der Lehrer, der zeitlebens an seiner "mentalen Selbstausbürgerung" gearbeitet hat, bis er vor dem Problem "Wie entkommt man Deutschland?" resignierte. Die Springer-Redakteurin, die "Werden, wie andere schon sind" als deutsches Lieblingsziel erkannt hat. Der in Istanbul lebende Soziologe, der fürchtet, sich dort allzu deutsch zu fühlen, wo er doch tagtäglich erlebt, daß "für den ganzen Rest der Welt (...) positives Nationalgefühl eine ganz schlichte Selbstverständlichkeit" ist: "Unser sich Zieren, Distanzieren, unsere Mischung aus Ablehnung kollektiver Zugehörigkeit und Annahme kollektiver Schuld, aus Lossagung und Bekenntnis ist typisch deutsch, und zu erwarten, daß ein anderer das nachvollzieht, ist müßig."

Eben. Und deshalb verläßt auch der in Damaskus geborene und längst eingebürgerte Politologe Bassam Tibi das "Volk von Miesmachern", in dem ihm das "Zugehörigkeitsgefühl" fehlt. Dennoch bekennt Tibi seine Liebe zur deutschen Sprache und Kultur, "die ein kulturpsychologisch beschädigtes, also liebesunfähiges Volk nicht erwidern kann". Er wünsche Deutschland, "die Grundlage für ein friedliches Zusammenleben zu finden und keine Intifada der Muslime zu erleben", sagt Tibi zum Abschied: "Ohne Zivilisationsbewußtsein (...) und Identität geht dies nicht."

Canan Topçu: Einbürgerung. Lesebuch über das Deutsch-Werden, Portraits, Interviews, Fakten, Brandes und Apsel Verlag, Frankfurt am Main 2007, broschiert, 166 Seiten, 14,90 Euro


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