© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/07 13. Juli 2007

Die Angst vor dem islamischen Furor
Pakistan: Rote Moschee gestürmt / Gefährliche Rochaden des Präsidenten Pervez Musharraf
Erhard Haubold

Wir kommen nur langsam voran, weil die Militanten Kinder als menschliche Schutzschilde mißbrauchen und heftigen Widerstand leisten", erklärte der pakistanische Armeesprecher Wahid Arschad am Dienstag, als der Sturm auf die von islamischen Extremisten besetzte Rote Moschee im Herzen der Hauptstadt Islamabad noch in vollem Gange war. Dabei kamen (bis JF-Redaktionsschluß) laut Agenturberichten über 50 Menschen ums Leben.

"Wir wurden aufgefordert, uns zu unterwerfen, aber wir haben es abgelehnt. Wir werden sterben, aber das Volk wird Rache nehmen an den Machthabern", hatte der Direktor der radikalen Koranschüler, Abdul Rashid Ghazi, noch während der Kämpfe in einem Interview mit dem regierungskritischen Privatsender Aaj gedroht. "Mein Märtyrertum ist nun sicher", hatte der 43jährige Islamist schon am Morgen via Geo TV prophetisch verkündet - was dann auch eintrat. Abdul Rashid Ghazi war einmal ein "normaler" Student, der gern Englisch gesprochen hat. 1988 machte er am historischen Seminar der Universität Quaid-e-Azam in Islamabad seinen Master in Geschichte. Er heiratete in eine gemäßigt-religiöse Familie ein, arbeitete für die pakistanische Regierung und Unesco. 1998 wurde Ghazis Vater - der Vorsteher der Roten Moschee und Chef der Koranschule (Lal Masjid Madrassa) - ermordet. Sein Bruder Maulana Abdul Aziz übernimmt dessen Amt, Abdul Rashid Ghazi wird sein Stellvertreter - der sich immer mehr radikalisiert und zu TV-Interviews demonstrativ seine Kalaschnikow dabei hat.

Im Gegensatz zu seinen westlichen Kritikern weiß der pakistanische Präsident Pervez Musharraf sehr genau, warum er so lange gezögert hat, die seit dem 4. Juli von seinen Soldaten belagerte Rote Moschee mit ihren beiden angeschlossenen Koranschulen stürmen zu lassen. General Musharraf kennt die Gewalt des religiösen Furors in Süd-asien, er erinnert sich an das Schicksal der indischen Premierministerin Indira Gandhi, die 1984 das Militär in das Heiligtum der Sikhs, den Goldenen Tempel von Amritsar (wo Jarnail Singh Bhindranwale ein Heerlager für die Errichtung des Sikh-Staats "Khalistan" aufgebaut hatte) schickte - und dafür vier Monate später mit ihrem Leben bezahlte. Musharraf hat bisher mindestens drei Attentatsversuche überlebt.

Nicht erklärt hat der Militärdiktator bisher, warum er die Fundamentalisten ein ganzes halbes Jahr gewähren ließ, mitten in der "Stadt des Islam", nur ein paar hundert Meter entfernt vom Hauptquartier des militärischen Geheimdienstes ISI, von Botschaften und Supermärkten. Manche glauben, daß der General sich abermals verkalkuliert hat, wie schon bei der Entlassung des Obersten Richters Iftikhar Chaudhry (JF 27/07). Andere aber, und das ist eher die Mehrheit der Beobachter, sind überzeugt, daß das Kapitel "Rote Moschee" zu den gefährlichen Rochaden gehört, mit denen Musharraf dem Westen, insbesondere Amerika signalisieren will: ich bin unersetzlich, nur ich kann die Mullahs daran hindern, in Pakistan die Macht zu übernehmen und damit auch die Kontrolle über atomare Waffen.

Hält man sich an die Realitäten, so steht fest, daß Besetzung und Belagerung der Roten Moschee Symptome für den Zustand eines Landes sind, das seit Jahren zwischen einem failed state und einem "Schurkenstaat" pendelt und von den USA nach dem 11. September 2001 zum wichtigsten Verbündeten im "Krieg gegen den Terrorismus" erklärt wurde. Dem manches nachgesehen wird (mangelnde Demokratisierung, Wahlfälschungen) und der bisher mit US-Hilfe in Höhe von zehn Milliarden Dollar belohnt wurde - die an die Streitkräfte geflossen sind, nicht aber für Schulen, Krankenhäuser oder die ländliche Region eingesetzt wurden.

Unter der Drohung, andernfalls in "die Steinzeit zurückgebombt" zu werden (so Musharraf in seinen Memoiren über den entscheidenden Anruf des damaligen US-Vizeaußenministers Richard Armitage), ist der General zum treuen Alliierten Washingtons geworden. Insgeheim aber hat er von Anfang an mit islamistischen Parteien paktiert, schon bei den Wahlen im Herbst 2002 - um die bürgerliche Opposition zu entmachten, deren Vertreter (die Ex-Premiers Benazir Bhutto und Nawaz Sharif) im Exil sitzen. Der bürgerliche Mittelstand hat nichts gegen diese "Koalition", solange er damit gegen die von Amerika verfügten Souveränitätsverluste (Flug- und Militärstützpunkte, Hunderte frei agierender FBI- und CIA-Agenten) protestieren kann. Was er gar nicht mag, ist die wachsende "Talibanisierung" im Land, die zunehmende Zahl der "Bärtigen" bei den Streitkräften und die Versuche von Extremisten wie den Ghazi-Brüdern, die Scharia einzuführen sowie Razzien in "Massagesalons" und Video-Läden zu veranstalten.

Bei den Madrassen hat die Deobandi-Richtung Aufschwung, jene in Indien gegründete Schule, aus der die ersten afghanischen Taliban hervorgegangen sind. Sie haben inzwischen pakistanische "Ableger", junge, oft arbeitslose Männer mit einem besseren Weltverständnis und mit dem Ziel, einen Dschihad gegen alle säkularen Tendenzen in Pakistan zu führen. Dennoch halten angesehene Wissenschaftler wie der Franzose Frédéric Grare die "islamistische Bedrohung" für einen Popanz, aufgestellt von der pakistanischen Armee, die islamistische Organisationen und Sekten selbst gerne für ihre Zwecke einsetzt, im Landesinneren oder auch in Kaschmir. Ein von einer islamistischen Partei geführtes Pakistan wäre nicht notwendigerweise instabil, meint Grare. Noch bei keiner nationalen Wahl haben fundamentalistische Gruppen wesentlich mehr als zehn Prozent der Stimmen gewonnen.

"Militär und Mullahs sind traditionelle Verbündete", sagt eine Politologin in Islamabad. Das gilt auch für die Haltung gegenüber den afghanischen Taliban, die Musharraf lieber zähmt, als sie - wie es die Amerikaner wünschen - zu vernichten. Sie sind ein Aktivum, ein Faustpfand gegen einen übereilten US-Abzug wie 1989 nach der sowjetischen Niederlage in Afghanistan, als Pakistan plötzlich allein dastand, mit Millionen junger Drogenabhängiger und Zehntausenden von Schnellfeuergewehren. Ein Mittel der Einflußnahme auch auf die Entwicklung in Afghanistan, das die pakistanischen Generäle traditionell als strategischen Rückzugsraum im Falle eines indischen Angriffs betrachten. Wo sie präsent sein wollen, stärker als die Inder, an dem Tag, da die Nato sich zurückzieht und die Regierung von Hamid Karzai ins Straucheln gerät.

Die Gefahren dieser "Strategie" sind an der Grenze zu Afghanistan zu besichtigen. Die nordwestliche Bergregion Waziristan gilt bereits als von (pakistanischen) Taliban kontrolliert, die dort ein "Islamisches Emirat" aufbauen wollen. Ähnliche Tendenzen sind in der von vielen Paschtunen bewohnten pakistanischen Nordwestprovinz (Peshawar) zu beobachten. Der Journalist Ahmed Rashid warnt, daß in Afghanistan Nato-Soldaten sterben werden, solange der Westen, insbesondere Amerika, dem "Doppelspiel" Musharrafs (der Al-Qaida jage, aber die Taliban gewähren lasse) tatenlos zusehe. Aber der General sei eben ein wichtiger muslimischer Verbündeter in Zeiten, da die schlechten Nachrichten aus dem Irak nicht abreißen und Pakistan eine nützliche Rolle spielen könnte, wenn Washington sich zu einer Bombardierung der nuklearen Anlagen im Iran entschließen sollte.


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