© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/07 13. Juli 2007

Die Symptome sind überall alarmierend
Drei aktuelle Taschenbücher zur globalen Klimaveränderung sind sich in einem Punkt einig: Das Kyoto-Protokoll ist Makulatur
Manfred Quaas

Der Klimaexperte Mojib Latif, Professor für Maritime Meteorologie an der Universität Kiel, ausgezeichnet mit dem Max-Planck-Preis für öffentliche Wissenschaft, überschreibt die erste Hälfte seines aktuellen Buches schlicht mit "Wissenschaftliche Grundlagen". Der Leser muß sich davon nicht abschrecken lassen. Sprache und Ausdrucksweise bleiben durchweg einfach. Die Sachverhalte werden auch für einen Laien verständlich erläutert, erst wenn es um die Klimamodellierung geht, gilt dies nicht mehr uneingeschränkt.

Eingangs erläutert Latif (JF 31-32/01) den Unterschied zwischen Wetter und Klima und beschreibt die  Abhängigkeit der Atmosphäre von den wichtigsten Bestandteilen des Erdsystems, von den Ozeanen, dem Meereis, dem Inlandeis und der Vegetationsbedeckung. Trotz ihrer quantitativ geringen Anteile haben Spurengase einen starken Einfluß auf das lebensfreundliche Klima auf der Erde, da sie die von der Sonne eingestrahlte Wärme in der Atmosphäre zurückhalten können. Werden die von Natur aus vorhandenen Treibhausgase - vor allem das langlebige Kohlendioxid - durch menschlichen Einfluß vermehrt, wird der natürliche Treibhauseffekt durch einen anthropogenen überlagert.

In der Vergangenheit hat sich das Klima vor allem auf natürliche Weise geändert. Durch die Wechselwirkung zwischen Ozean und Atmosphäre werden kurzfristige mehrmonatige Klimaschwankungen wie das pazifische El-Niño-Phänomen oder die Nordatlantische Oszillation ausgelöst. Auch große Vulkaneruptionen werden mit Klima-anomalien in Verbindung gebracht. Die Eiszeitzyklen werden unter anderem mit Änderungen der Erdbahn um die Sonne begründet. Abrupte Klimaumschwünge können auf Änderungen in der ozeanischen Zirkulation zurückgeführt werden. Den menschlichen Einfluß auf das Klima vergleicht Latif mit einem gezinkten Würfel. Das Zinken besteht darin, daß wir die Temperatur der Atmosphäre durch den Ausstoß klimarelevanter Gase erhöhen.

Klimamodelle sind dank ihrer Komplexität in der Lage, vergangene Klimazustände, das heutige Klima und seine Schwankungsbreite realistisch zu simulieren. Sie sollten daher auch das zukünftige Klima verläßlich berechnen können. Die von den Medien verbreiteten Eiszeitszenarien hingegen entbehren jeglicher wissenschaftlicher Grundlage. Eine Abschwächung des Golfstroms infolge des Treibhauseffektes sei zwar möglich, aber selbst dann würde die Erwärmung dominieren. 

Latif konzentriert sich auf die geophysikalischen, heute schon meßbaren Folgen der Erderwärmung, den Anstieg der globalen Mitteltemperatur, den Anstieg des Meeresspiegels, den Rückgang der Schneebedeckung auf der Nordhalbkugel, die häufigeren tropischen Wirbelstürme großer Stärke und die zunehmende Versauerung der Meere. Die Ursachen für die aktuellen Veränderungen sieht Latif vorrangig beim Menschen. Die Wirkung der anthropogenen Treibhausgase übertrifft die Wirkung der Sonne bereits um das Vierfache. Eine schnelle Reduktion der anthropogenen Treibhausgase erwartet Latif nicht. Seine Zukunftsszenarien basieren auf Klimamodellen, die von einem Maximum des Emissionsausstoßes um 2050 ausgehen, woraus eine globale Erwärmung um bis zu 5 Grad Celsius für 2100 resultiert.

Strategien für die Zukunft möchte Latif im letzten Teil des Buches entwickeln und beginnt mit einer wohl entbehrlichen Medienschelte, um danach die fadenscheinigen Argumente der Skeptiker des Klimawandels zu zerpflücken. Das Kyoto-Protokoll habe vor allem symbolischen Wert und könne nur wenig für den Klimaschutz bewirken. Es sei nicht abzusehen, wann die Treibhausgas-Emissionen weltweit sinken.

Bei seinen Prognosen zieht Latif nicht nur die Trägheit des Klimas ins Kalkül, sondern mehr noch die Trägheit der Wirtschaft. Er stellt zwei recht fragwürdige Simulationen vor, eine mit einem Schnellkurs zur Senkung der Treibhausgase und eine, bei der die Kosten einer Klimaänderung mit den finanziellen Aufwendungen zu deren Vermeidung abgeglichen werden. Auch wenn sich beide Handlungsstrategien in den nächsten zwei bis drei Jahrzehnten sehr stark unterscheiden, würde sich dies kaum in den erreichbaren Klimazielen niederschlagen. Folglich empfiehlt er eine langfristige Strategie, die die Weltwirtschaft nicht zu sehr belaste und das Klima weitestmöglich schone.

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Das Buch des australischen Biologen und Umweltschützers Tim Flannery ist ein Sachbuch im besten Sinne des Wortes. Engagiert und wortreich, aber immer leicht lesbar und spannend behandelt Flannery alle ihm wichtigen Wirkungen des Klimawandels auf das Leben auf der Erde. Als Nichtklimatologe kann er es sich erlauben, vom "Wettermacher" Mensch zu reden, weil sich doch das Klima letztlich im Wetter offenbart. Dabei lehnt sich Flannery an die Gaia-Hypothese an, die die gesamte Erdoberfläche einschließlich des großen Luftozeans und der Biosphäre als lebenden Organismus begreift. Erdgeschichtlich interessieren ihn die Parallelen zwischen Klimaveränderung und Evolution.

Das Anthropozän, die geologische Epoche des Menschen, habe bereits am Ende der letzten Eiszeit vor 8.000 Jahren begonnen, als in Ostasien erstmals auf überfluteten Terassen Reis angebaut und das Treibhausgas Methan freigesetzt wurde. Die zunehmende Rodung der Wälder habe schon vor der Nutzung von Kohle und Öl zu einem Anstieg der Kohlendioxidkonzentration geführt und so ein übriges dazu getan, eine neue Eiszeit zu verhindern.

Die globale Erwärmung ist heute in vollem Gange und spiegelt sich in zahllosen Reaktionen der Natur, angefangen beim früheren Austreiben und Blühen von Pflanzen oder bei Vogelzug und Vogelbalz. Flannery belegt Veränderungen in der Artenverteilung um sechs Kilometer pro Jahrzehnt in Richtung der Pole und eine Verschiebung der Lebensräume um 6,1 Meter pro Jahrzehnt die Berghänge hinauf. Gravierende Veränderungen werden in den arktischen Meeren beobachtet, wo nicht nur die Eisbären ihre angestammten Lebensräume verlieren. In der Antarktis nehmen die nahrhaften Krillbestände spürbar ab, während sich gallertartige Salpen ausbreiten. Besonders empfindlich reagieren Korallenriffe, die bei steigenden Wassertemperaturen zusehends ausbleichen. Die im Bergregenwald von Costa Rica beheimatete Goldkröte war die erste infolge des Klimawandels verschwundene Art, deren Aussterben von Biologen dokumentiert worden ist.

Die lang anhaltenden Dürreperioden in der afrikanischen Sahelzone lassen sich genauso auf die globale Erwärmung zurückführen wie ausbleibendende Niederschläge an der westaustralischen Küste. Die tropischen Wirbelstürme haben in den letzten zehn Jahren an Wucht und Stärke deutlich zugenommen. Der Anstieg des Meeresspiegels beschleunigt sich infolge der thermischen Expansion des Meerwassers und des Abschmelzens der Gletscher bis hin zur Destabilisierung des antarktischen Eisschildes.

Erst im dritten Teil des Buches befaßt sich Flannery mit den Voraussagen der Wissenschaft. Selbst wenn die Treibhausgasemissionen sofort gestoppt werden könnten, würde sich wegen der Langlebigkeit des Kohlendioxids in der Atmosphäre erst um 2050 ein neuer stabiler Klimazustand einstellen. Dabei ist es ein großer und vom Menschen beeinflußbarer Unterschied, ob sich die Erde noch einmal um ein Grad Celsius oder gar um mehr als drei Grad Celsius erwärmen werde.

Sicher ist bereits das Aussterben vieler bergbewohnender Arten, die keine Rückzugsräume mehr finden. Prekär wird die Lage für viele Inselbewohner, auch für bedrohte Arten, die nur in von ihrer Umgebung isolierten Reservaten überleben. Mit steigenden Temperaturen in Atmosphäre und Ozean werden außerdem abrupte Klimawechsel wahrscheinlicher, wofür Flannery drei Beispiele nennt: das mögliche Versiegen des Golfstroms, den Zusammenbruch des Amazonas-Regenwaldes und die plötzliche Freisetzung gefrorener Methanhydrate vom Meeresgrund. Die Verwundbarkeit der Versorgungsnetze urbaner, meist küstennaher Mega-Großstädte vergleicht Flannery mit der Abhängigkeit tropischer Regenwälder von regelmäßigen Niederschlägen und fürchtet die Gefährdung unserer Zivilisation.

Unsere psychisch tief verwurzelte Weigerung zu glauben, Wärme könne etwas Schlechtes sein, mache es möglich, daß wir uns über das Wesen des Klimawandels täuschen. Das Kyoto-Protokoll kommentiert Flannery kritisch, es sei ein zahnloser Tiger, aber ein besseres Übereinkommen gebe es eben nicht. Die Leugner des anthropogenen Klimawandels bezeichnet er schlichtweg als korrupt. Aber auch der UN-Weltklimarat IPCC kommt nicht gerade gut weg. Die Expertenberichte würden durch Gutachter verwässert und beschränkten sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner der Regierungsvertreter.

In den letzten Abschnitten des Buches diskutiert Flannery all die mehr oder meist weniger ausgereiften Vorschläge zur Lösung des Klimaproblems: Die Einleitung von Kohlendioxid in den Ozean würde das Meerwasser noch stärker versauern. Die Kohlenstoffsequestrierung unter der Erde verteuert die Stromerzeugung. Risikolos wäre die Speicherung von Kohlenstoff in Wäldern und langlebigen Holzprodukten. Bei der Verbrennung von Erdgas anstelle von Öl oder Kohle wird weniger Kohlendioxid freigesetzt. Erst eine Wasserstoff-Technologie wäre kohlenstofffrei. Große Hoffnungen verbindet Flannery mit Windkraft und Sonne. Für bedenklich hält er die Nutzung der Kernenergie. Für den Verkehr empfiehlt er Hybridfahrzeuge und Elektroautos, für Schiffe ein Zurück zum Wind.

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Die beiden Autoren Stefan Rahmstorf und Hans Joachim Schellnhuber des aktuell in fünfter verbesserter Auflage erschienenen hochinteressanten Taschenbuches "Der Klimawandel - Diagnose, Prognose, Therapie" forschen am PIK, dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, und sitzen außerdem im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen (WBGU). Schellnhuber war zugleich Klimaberater der Bundeskanzlerin während der deutschen EU- und G8-Präsidentschaften 2007. Für Rahmstorf und Schellnhuber ist der Klimawandel kein rein akademisches Problem, sondern hat handfeste Auswirkungen auf die Menschheit.

In den ersten beiden "diagnostischen" Kapiteln durchforschen sie die Klimaarchive der Erdgeschichte und beschreiben, was es mit der globalen Erwärmung auf sich hat. Die Klimageschichte belegt eine dramatische Wechselhaftigkeit des Klimas. Das Klimasystem ist ein nichtlineares System, das zum Beispiel in der ozeanischen Zirkulation zu sprunghaften Änderungen neigt. Andererseits erfolgen Klimaänderungen nicht ohne Grund. Das quantitative Verständnis der Ursachen früherer Klimaänderungen ist eine Voraussetzung dafür, die Eingriffe des Menschen in das Klimasystem richtig einschätzen zu können. Die Klimageschichte bestätigt die klimawirksame Rolle von Kohlendioxid als Treibhausgas. Die Konzentration der Treibhausgase ist im 20. Jahrhundert stark angestiegen und hat zu einer globalen Erwärmung von ca. 0,6 Grad Celsius geführt. Die abgelaufenen zehn Jahre waren die wärmsten seit mehreren Jahrhunderten. Dabei seien die gegenwärtig beobachtbaren moderaten Klimaveränderungen nur die Vorboten eines noch intensiveren Klimawandels in der Zukunft.

Im Abschlußkapitel suchen Rahmstorf und Schellnhuber nach Lösungsmöglichkeiten für das Klimaproblem und setzen sich dabei mit der Klimapolitik auseinander. Sie diskutieren verschiedene Schutzstrategien durch eine technologische Dekarbonisierung der Wirtschaft, durch intelligente und flexible gesellschaftliche Anpassungsmaßnahmen und durch einen gerechten internationalen Schadensausgleich. Den Versuchen, einen wirtschaftlich optimalen Klimawandel organisieren zu wollen, erteilen sie eine klare Abfuhr, zu groß seien die Kalkulationsrisiken in der Kosten-Nutzen-Analyse. Als tolerierbares Klimafenster hat der Wissenschaftliche Beirat für Globale Umweltveränderungen vorgeschlagen, daß die vom Menschen angestoßene Änderung der globalen Mitteltemperatur zwei Grad Celsius insgesamt nicht übersteigen und gleichzeitig die Temperaturänderungsrate für die Erde nicht höher als 0,2 Grad Celsius pro Dekade ausfallen darf.

Die oft gestellte Frage, ob das Klima noch zu retten sei, scheint angesichts der Probleme des Kyoto-Prozesses leider allzu berechtigt. Rahmstorf und Schellnhuber verbreiten dennoch Optimismus und erwarten eine neue Industrielle Revolution in Richtung einer nachhaltigen Zukunftsgestaltung verbunden mit massiven Effizienzsteigerungen hin zu sparsamerem Umgang mit Primärenergie und Energiedienstleistungen sowie den Ersatz fossiler durch erneuerbare Energien im Rahmen eines durchgreifenden Strukturwandels. Große Hoffnungen setzen sie in die geologische Speicherung des klimaschädlichen Kohlendioxids. Sie errechnen einen Richtwert von 600 kg Kohlenstoff pro Kopf und Jahr als Erdbürgerrecht auf tolerierbare Klimastörung, der bei den Nach-Kyoto-Verhandlungen fair auf alle Staaten dieser Erde verteilt werden müßte.

 

Mojib Latif: Bringen wir das Klima aus dem Takt? Hintergründe und Prognosen. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 2007broschiert, 255 Seiten, 9,95 Euro

Tim Flannery: Wir Wettermacher - Wie die Menschen das Klima verändern und was das für unser Leben auf der Erde bedeutet. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2007, broschiert, 400 Seiten, 9,95 Euro

Stefan Rahmstorf, Hans Joachim Schellnhuber: Der Klimawandel - Diagnose, Prognose, Therapie, 5. Aufl. Verlag C. H. Beck, München 2007, broschiert, 144 Seiten, 7,90 Euro

Foto: Abtauende Gletscher 2004 am Magdalenefjord auf Spitzbergen im Nördlichen Eismeer: Nur die Vorboten eines noch intensiveren Klimawandels in der Zukunft


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