© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/07 20. Juli 2007

Die Fahne des 20. Juli
Symbole des Widerstands
Karlheinz Weissmann

Es gehört zu den Charakteristika totalitärer Systeme, daß sie rigider als andere den Symbolgebrauch monopolisieren und kontrollieren und Abweichungen unnachgiebig verfolgen. Das erklärt schon hinreichend, warum die Opposition gegen den NS-Staat kaum symbolisch hervortrat. Es gab zwar KPD-Mitglieder und Reichsbannermänner, aber auch Pfadfinder oder Jugendbundführer, die ihre Fahnen vor Auslieferung und Zerstörung bewahrten, aber nicht, um sie wieder offen zu zeigen, sondern nur, um sie für bessere Zeiten zu erhalten.

Wenn man noch auf ältere Zeichen zurückgriff, dann nur in kaschierter Form. In der Anfangszeit waren noch Klebezettel oder Tarnschriften mit Hammer und Sichel, Sowjetstern, Dreipfeil oder dem Emblem der "Schwarzen Front" Otto Strassers im Umlauf. Danach mußte man zur mehr oder weniger riskanten Verwendung verdeckter Signale übergehen.

In diese Kategorie fiel etwa der Gruß "Hannen Alt!" in Arbeiterkreisen, der auf die Firmenmarke der Brauerei anspielte, die eine geballte Faust zeigte und so die Möglichkeit bot, kommunistische Gesinnung anzudeuten. In dieselbe Kategorie gehörte die Namenswahl für die hochkonservative Zeitschrift Weiße Blätter, deren Titel natürlich mit der Bedeutung der Farbe Weiß für die traditionelle Rechte spielte. An der Grenze des Erlaubten bewegte sich das Zeigen der Flaggen des kaiserlichen Deutschland, mindestens nachdem 1935 die Hakenkreuzflagge zur einzigen Nationalflagge erklärt worden war. Wer Schwarz-Weiß-Rot hißte oder die alte Reichskriegsflagge verwendete, äußerte damit auch einen - konservativen - Vorbehalt gegenüber Hitlers Herrschaft. Offenes Einschreiten kam vor, unterblieb aber in anderen Fällen.

Gefährlicher war in jedem Fall die halboffene Symbolik der illegalen Jugendbünde. Als Verdachtsmoment genügte den Behörden schon das Fehlen des Jungvolk- oder HJ-Emblems auf dem Koppelschloß, weiter das Tragen auffällig karierter Hemden bei gruppenweisem Wandern, nicht zu reden von der Verwendung eigener Fahnen oder der Weiterverwendung der Fahnen aufgelöster Bünde. Auch der Name der "Weißen Rose" und das Emblem der Edelweiß-Piraten gehörten in diesen Kontext. Während die Weiße Rose als romantischer Rekurs auf die französischen Royalisten zu verstehen war, ging das Abzeichen der Edelweißpiraten - eine Gruppe zwischen Jugendwiderstand und Kleinkriminalität - auf die Empfehlung eines früheren Mitglieds des Freikorps "Oberland" zurück, das wie der Oberlandführer Josef "Beppo" Römer zur KPD übergetreten und so nach 1933 in die Opposition geraten war. Das Herz hing aber noch an der alten Symbolik des nationalistischen Verbandes, in dessen Reihen man das Edelweiß schon als Symbol des Freiheitswillens gedeutet hatte.

Für eine intensivere Beschäftigung mit der Gestaltung neuer Symbole blieb in den Kerngruppen des Widerstands kaum Energie. Schon die Beschreibung eines Kreisemblems, das für die Kreisauer entworfen wurde, bildet eine Ausnahme. Sogar die Gestaltung neuer nationaler Hoheitszeichen galt als untergeordnetes Problem. Auffallend ist immerhin, daß es praktisch keine Fraktion gab, die sich eine Rückkehr zu Schwarz-Rot-Gold vorstellen konnte; sogar das von Stalin initiierte "Nationalkomitee Freies Deutschland", das sich aus deutschen Kriegsgefangenen und "Antifaschisten" in sowjetischer Hand zusammensetzte, verwendete aus wohlerwogenen Gründen schwarz-weiß-rote Embleme.

Der einzige selbständige Entwurf für ein neues Nationalsymbol aus den Reihen des Widerstands war die sogenannte Flagge des 20. Juli. Er stammte von dem Rechtsanwalt Josef Wirmer, den sein Bekenntnis als gläubiger Katholik in den Widerstand geführt hatte. Wirmer war als Justizminister für eine Regierung Goerdeler vorgesehen, beschäftigte sich in den Jahren 1943/44 aber auch mit der Frage, wie eine Flagge für das neue Deutschland aussehen sollte. Wirmer lehnte die Farben des Bismarckreiches ebenso ab wie die der Weimarer Republik. Das entsprach der politischen Programmatik der christlichen und auch der konservativen oder konservativ-revolutionären Gruppen der Opposition, die kein Zurück in der Geschichte, sondern eine "neue Ordnung" anstrebten.

Wirmer sah eine Flagge vor, die ein schwarzes, golden eingefaßtes Kreuz mit leicht zum Mast verschobenem Querbalken auf rotem Grund zeigte. Der Entwurf vereinigte die Farben Schwarz-Rot-Gold in der heraldisch richtigen Weise, vermied die Erinnerung an die vor allem im Offizierkorps verachtete Trikolore der Weimarer Republik und brachte im lateinischen Kreuz die Zugehörigkeit zur christlichen Völkergemeinschaft zum Ausdruck. So ansprechend der Entwurf unter ästhetischen Gesichtspunkten gelungen war, seine entscheidenden Nachteile blieben der Mangel an nationaler Tradition in der Gestaltung und die Nähe zu den Mustern skandinavischer Flaggen. Wahrscheinlich deshalb korrigierte Wirmer das Fahnenbild noch einmal, indem er die goldene Einfassung des Kreuzes durch eine starke schwarze Linie vom roten Untergrund schied und auf diese Weise eine Assoziation mit dem Balkenkreuz beziehungsweise Eisernen Kreuz in den deutschen Kriegsflaggen ermöglichte.

Ob die Kreuzfahne ein Nationalsymbol von integrativer Kraft hätte werden können, muß ungeklärt bleiben. Schließlich scheiterte der Aufstandsversuch des 20. Juli 1944, und unter den Gefallenen dieser Erhebung war auch Wirmer. Zwar gab es nach Kriegsende und Zusammenbruch eine Minderheit, die für die Einführung der Flagge des 20. Juli als Nationalflagge eintrat, aber in den Beratungen des Parlamentarischen Rats hatten entsprechende Vorschläge keinen Erfolg; eine Erinnerung blieb nur erhalten in den Organisationsemblemen von CDU, Junger Union und Jungen Liberalen, die alle das Kreuzmotiv in Kombination mit einem Adler zeigten. Bezeichnenderweise löste sich diese Symbolik in den sechziger Jahren wegen mangelnder Modernität allmählich auf.

Foto: Flagge des 20. Juli von Josef Wirmer


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