© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/07 27. Juli / 03. August 2007

Rochus Misch
Der letzte Zeuge
von Stefan Scheil

Der Zeitzeuge ist der natürliche Feind des Historikers." Dieses Bonmot wird gerade unter Zeithistorikern immer wieder zum besten gegeben. Wie wahr es ist, zeigt die Realität. Was etwa über das Deutsche Reich der Jahre 1933 bis 1945 und besonders über dessen Staats- und Regierungschef geschrieben wurde, spiegelt oft vor allem die Absichten von Historikern wider, die bestimmte Ziele verfolgen und sich dabei nicht von den Aussagen derjenigen stören lassen wollen, die dabeigewesen sind.

Von Rochus Misch zum Beispiel, der am Sonntag seinen 90. Geburtstag feiert. Misch ist der einzige noch lebende Zeuge der letzten Kriegstage im "Führerbunker". Er hat seine Erfahrungen mit Historikern und Pseudohistorikern gemacht. Guido Knopp kommt ihm nicht mehr ins Haus, sagt er. Bernd Eichinger hat ihn von der Premiere seines Films "Der Untergang" ausgeladen, denn über dessen historischen Wahrheitsgehalt hatte Misch Kritisches anzumerken: Manche Szenen entsprächen nicht der Wahrheit, einige Dialoge seien so ganz unmöglich.

Der ehemalige SS-Mann, geboren 1917 in Oppeln, wurde nach einer Verwundung im Polenfeldzug 1939 ins sogenannte Führerbegleitkommando versetzt, zuletzt diente Misch als Leibwächter und Cheftelefonist Hitlers. Nach dessen Tod wurde er gefangengenommen und in Moskau verhört und gefoltert. Nach neun Jahren kam er frei.

Vor allem in den neunziger Jahren war er dann in einer Reihe von TV-Dokumentationen zu sehen, seit dem Tod von Hitlers Adjutant Otto Günsche 2003 ist Misch "der letzte Zeuge".

Letztlich dominiert beim Interesse der Journalisten und Historiker an Misch die Lust am privaten Detail aus dem Leben seines Dienstherrn und der leichte Schauder, wenn sich der dämonisierte Diktator aus der Perspektive des Alltags als freundlicher Mensch mit Vorliebe für Knäckebrot entpuppt. Da Misch aber kein persönlicher Gesprächspartner Hitlers war, kann er an politisch Brisantem nur wenig berichten und dieses wenige stößt, wie kann es anders sein, auf Unglauben.

"Was soll ich denn noch tun? Ich kann doch nicht hinfliegen und mich auf die Knie werfen." Dieser Ausspruch Hitlers, so Misch, sei die Geburtsstunde des Englandflugs von Rudolf Heß gewesen: Heß war bereit, sich auf die Knie zu werfen. Da das deutsche Publikum der Vorstellung vom gescheiterten Welteroberer verhaftet bleibt, kann es diesen nach der x-ten Zurückweisung von Kompromißangeboten ausgesprochenen Satz nicht richtig einordnen. Es wird noch unbestimmte Zeit vergehen, bis ein Produzent wie Bernd Eichinger den Zweiten Weltkrieg, um in der Filmsprache zu bleiben, als einen "Down" darstellen kann, also als jene ausweglose und weder durch Kniefälle noch durch zwischenzeitliche Siege abzuwendende Rutschfahrt in die Katastrophe, die er von Anfang an war. Vielleicht werden die Aussagen des Zeitzeugen Misch doch noch eine Rolle spielen.

 

Dr. Stefan Scheil ist Historiker und Autor des Buches "1940/41. Die Eskalation des Zweiten Weltkriegs".


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