© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/07 27. Juli / 03. August 2007

Revolte gegen die Rückwärtsgewandtheit
Antike Eleganz und Übersteigerung: Französische Plastik des 19. Jahrhunderts in der Kunsthalle Karlsruhe
Matthias Schultz

Edel und erhaben, ewig und elegant: So stellte man sich Plastiken vor, zumindest ab der Mitte des 18. Jahrhunderts. Die Antike feierte in der Kunst ihre fröhliche Wiederauferstehung, und wer wirtschaftlich erfolgreich sein wollte, modellierte im klassizistischen Stile der alten Griechen und Römer. Beginnend mit den Ausgrabungen in Pompeji und verbreitet durch Napoleons Kunstraubfeldzüge, konnten sich vor allen Dingen die Künstler in Paris bestens vor den Originalen schulen. Bildhauer wie Pierre Cartellier schufen um 1800 anmutige Schönheiten wie "Die Scham", ganz in weiß und ganz in Marmor. Oder seine Kollegin Marie-Anne Collot 33 Jahre früher noch hübsche Büsten adeliger Damen mit einem Hauch des bereits verwehenden Rokokos.

Doch was in der Malerei schon viel früher einsetzte, fand in der Bildhauerei erst rund zehn Jahre später und ab etwa 1830 seinen Niederschlag: Der expressiv gesteigerte Ausdruck hielt allmählich Einzug in die dreidimensionale Kunst. Daher hat die aktuell in Karlsruhe gezeigte Schau französischer Plastik des 19. Jahrhunderts auch den Untertitel "elegant // expressiv". Denn was in Deutschland unter dem Begriff "Romantik" eine eher melancholisch in sich gekehrte Grundeinstellung charakterisiert, wurde in Frankreich als eine aktive Revolte gegen die Rückwärtsgewandtheit und Restaurierung alter politischer Strukturen verstanden.

François Rudes "Neapolitanischer Fischerjunge" von 1829 ist zwar noch ganz glatt und schön und ideal. Aber alleine die Vorstellung, keinen erhabenen antiken Gott oder verklärten Helden abzuformen, stellte damals bereits einen Skandal dar. Sein "Aufbruch der Freiwilligen im Jahre 1792" ist dann bereits ein Fanal der neuen Formensprache. Wild und ungestüm wälzt sich das Menschenknäuel unter der Führung einer helmbewehrten, schwertschwingenden Marianne voller Pathos in die Schlacht. Und sicherte ihm gleichzeitig den Sieg bei dem Wettbewerb für die monumentale Ausgestaltung des Arc de Triomphe. In der Kunsthalle freilich ist nur das Gipsmodell mit rund einem Meter Höhe zu besichtigen.

Auch sein Kollege Auguste Préault nahm sich mit der Arbeit "Massaker" eines durch und durch martialischen Themas an, allerdings stand bei ihm das Leiden der Opfer im Vordergrund, visualisiert durch ein in schwarze Bronze gegossenes Gemenge von Köpfen, Leibern und Händen. Doch finden sich unter den 168 ausgestellten Werken aus über 30 Häusern sowie etlichen privaten Sammlungen auch durchgängig und parallel dazu immer wieder Positionen, die das Ideal über die Wirklichkeit und vor allem über die Geschichte stellten.

Emmanuel Fremiets "Johanna von Orleans zu Pferd" von 1874 ist natürlich eine heroisch total überformte Gestalt und stellt nach dem gegen das Deutsche Reich verlorenen Krieg von 1870/71 ein Stück verklärtes Mittelalter dar. Sie zeigt ein hübsches Kind im Waffenrock, das stolz und fest und unerschrocken ein Banner in den Sturm hält und so auch noch heute in Gold gefaßt neben dem Louvre das französische Nationalgefühl personifiziert. Als kleines "Chef"-Modell steht es derzeit in zwei Versionen in einer Vitrine, einmal komplett montiert, einmal der Zutaten wie Zaumzeug, Schwert und Gloriole entledigt. Denn aufgrund der komplizierten Form konnten solche Standbilder nur in Teilen gegossen und anschließend verschraubt oder verschweißt werden.

Aus mehreren Stücken wurden auch Charles Cordiers ethnologische Studien zusammengefügt. Allerdings nur, weil er den Reiz verschiedener Materialien spielen lassen wollte. Sein "Schwarzer aus dem Sudan" von 1856 wurde in Bronze und Marmor-Onyx geschaffen und spiegelt ein Stück französischer Kolonialgeschichte wider. Auch wenn er auf einer anderen Büste einer schwarzen Schönheit fragte "Warum als Sklavin geboren?", so kann seine Kunst freilich noch nicht als ein entschiedenes Plädoyer gegen die Ungerechtigkeit einer ungleichen Behandlung und Bewertung der Rassen gewertet werden.

Daß Plastik hingegen auch sehr gesellschaftskritisch und dabei auch noch gleichzeitig komisch sein kann, beweisen die Arbeiten von Honoré Daumier. Seine Karikaturen der damals bekannten Persönlichkeiten waren allerdings so beißend, daß sie zu seinen Lebzeiten niemals veröffentlicht werden konnten, weil sie ihn sonst ganz sicher noch länger als schon für seine spöttischen Lithografien ins Gefängnis gebracht hätten.

Daumiers Kollege Jean-Pierre Dantan der Jüngere hingegen bewegte sich mit seinen Arbeiten lieber gleich auf sicherem Terrain, indem er die Spitzen der Gesellschaft und der Politik ganz ausnahm und in seinen plastischen Überformungen stets die Grenze des eher liebevollen Humors niemals überschritt. Franz Liszt zum Beispiel stellte er als spindeldürren Derwisch am Klavier dar, der unter einer Löwenmähne inbrünstig die Tastatur traktiert. Oder den ebenfalls zu seiner Zeit sehr berühmten Klavier-Virtuosen Sigismund Thalberg gleich mit zehn Fingern an jeder Hand.

Von dem reinen Vorbild der Natur entfernte sich dann auch die letzte in der Karlsruher Schau gezeigte Generation von Künstlern. Ende des 19. Jahrhunderts stoßen Größen wie Aristide Maillol mit seinem formenreduzierten, aber immer noch an der klassischen Schönheit orientierten Stil sowie Auguste Rodin mit seiner aufgewühlten Formensprache die Tür zur Kunst des 20. Jahrhunderts und auch zum Expressionismus weit auf.

Dreimal an der Akademie abgelehnt, mußte Rodin zunächst als Gehilfe in größeren Werkstätten sein Handwerk erlernen - und blieb damit aber auch von den ästhetischen Normen verschont. Als Lehrling bei dem neobarocken Meister Albert-Ernest Carrier-Belleuse übernahm er dann bei der Ausgestaltung der Arbeit "Die Entführung" den menschlichen Teil des Kentauren und ließ in der aufgewühlten Ausformung der Rückenmuskulatur sowie dem weit aufgerissenen Mund bereits seine unkonventionelle, expressive Sprache aufblitzen. Arbeiten wie "Das Haupt Johannes' des Täufers" von 1877 mit einer platten, schiefen Nase, sein gestenreicher "Pierre de Wiessant" oder die "Bürger von Calais", von denen einer als noch unbekleidete Figur in der Ausstellung präsent ist, machten ihn dann unverkennbar. Die Reduzierung des Körpers schließlich auf den reinen Torso wie bei der einstmals skandalösen "Iris, die Götterbotin" schließlich machten Rodin auch noch weltberühmt.

Zeitgenossen wie sein einstiger Freund Aimé-Jules Dalou hingegen pflegten weiterhin eher die glatte Form, intime Stücke wie seine "Stickende" erfreute sich bei dem Bürgertum größter Beliebtheit, genauso wie schon James Pradiers "Schwarze Tänzerin mit Kalebasse" von 1830, bei der delikaterweise die die Scham verdeckende Draperie auch noch abgenommen werden kann.

Die Ausstellung "Von Houdon bis Rodin - Französische Plastik des 19. Jahrhunderts" ist bis zum 26. August in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr, Sa./So. bis 18 Uhr, zu sehen. Der Katalog mit 384 Seiten kostet 34 Euro.

Fotos: Auguste Rodin, "Schreitender  Mann" (um 1900): Expressiv; François Rude, "Neapolitanischer Fischerjunge" (1829): Weder antiker Gott noch verklärter Held


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen