© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/07 27. Juli / 03. August 2007

Verstrickt im Irrgarten der Nationalitäten
Am 31. Juli jährt sich zum 15. Mal die Aufnahme der Republik Georgien in die Vereinten Nationen, die Zersplitterung des Landes ist immer noch Realität
Daniel Schikora

Wenn "der ethnos zum demos wird", so zitiert Samuel P. Huntington in seinem "Clash of Civilizations" (1996) Bogdan Denitsch, heiße das erste Ergebnis polemos - Krieg. Neben den Sezessionskriegen des ehemaligen Jugoslawien illustriert auch die Geschichte der Staatsgründung des heutigen Georgien recht anschaulich das Gewaltpotential, das die Verknüpfung "ethnischer" mit (souveränitäts-)politischen Interessen in sich birgt.

Der aus einer südkaukasischen Sowjetrepublik hervorgegangene georgische Staat, der am 31. Juli 1992 den Vereinten Nationen beitrat, ist bis heute nicht imstande, seine Souveränitätsrechte in allen Teilen seines Staatsgebietes geltend zu machen: Die auf georgischem Territorium errichteten Sezessionsrepubliken Südossetien und Abchasien streben - als "Klienten" Rußlands, das die "Souveränität" dieser Entitäten militärisch absichert - eine völkerrechtliche Anerkennung ihrer Unabhängigkeit an. Ironischerweise berufen sich die prorussischen Separatisten in Suchumi und Zchinwali hierbei auf den möglichen "Präzedenzfall" eines künftig völkerrechtlich anerkannten "unabhängigen Kosovo", wie es insbesondere Washington ohne Rücksicht auf serbische Hoheitsrechte propagiert - während Moskau einen solchen Schritt bislang vehement abgelehnt hat.

Das Ringen der Georgier um Unabhängigkeit vom Sowjetimperium ist eng mit dem Namen des Dissidenten Swiad Gamsachurdia (1939-1993) verknüpft. Gamsachurdia war bereits 1977 als Wortführer einer georgischen Bürgerrechtsbewegung hervorgetreten und - in Gestalt seiner Zwangspsychiatrisierung - sowjetischer "Justiz"-Willkür ausgesetzt worden. Der Protest der bürgerrechtlichen Opposition Georgiens richtete sich nicht zuletzt gegen eine Verdrängung der georgischen Sprache aus dem öffentlichen Raum im Sinne einer "Russifizierung". 1978 sah sich die KPdSU dazu gezwungen, den Georgiern nachzugeben und das Georgische als zweite Amtssprache unangetastet zu lassen. Zur gleichen Zeit gaben freilich auch Angehörige der abchasischen Minderheit in Georgien ihrer Sorge um den Erhalt ihrer sprachlichen und kulturellen Identität Ausdruck, indem sie gegen eine "Georgisierung" ihres angestammten Siedlungsgebietes protestierten. In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre weiteten sich in Georgien wie auch in den anderen Sowjetrepubliken des südlichen Kaukasus, Armenien und Aserbaidschan, und im Baltikum die Protestkundgebungen gegen die sowjetische Zentralgewalt aus und entwickelten sich von einer "Veto-Macht" in kulturpolitischen Fragen zusehends zu einer wirkungsmächtigen nationalen Unabhängigkeitsbewegung.

Die Spannungen zwischen den Angehörigen der Titularnation der georgischen Sowjetrepublik einerseits und den Abchasen und Südosseten andererseits entluden sich bereits in dieser Phase in gewalttätigen Auseinandersetzungen. Die Transformation Georgiens zu einer parlamentarischen Demokratie ging unter den Bedingungen interethnischer Bruchlinien mit einem Zerfall georgischer Staatlichkeit - auch außerhalb Südossetiens und Abchasiens - einher.

Der Souveränitätserklärung Georgiens im März 1990 folgte bereits im August desselben Jahres eine abchasische Sezessionserklärung. Als Südossetien, dem Beispiel Abchasiens folgend, seinerseits seine "Souveränität" erklärt hatte, verhängte die - auf eine parlamentarische Mehrheit gestützte - georgische Zentralregierung Gamsachurdia den Ausnahmezustand. Gamsachurdia, der sich seit Mai 1991 als Staatspräsident auf die Legitimität einer Direktwahl (mit 86,5 Prozent der Stimmen) stützen konnte, zeigte sich jedoch nicht in der Lage, eine Opposition in die Schranken zu weisen, die bereit war, mit Waffengewalt einen Regierungswechsel in Tiflis herbeizuführen. Im Januar 1992 - wenige Tage nachdem die formelle Auflösung der UdSSR einer völkerrechtlichen Anerkennung der georgischen Republik den Weg geebnet hatte - wurde Präsident Gamsachurdia gestürzt. Er fand im Tschetschenien Dschochar Dudajews, das sich vom russischen Staatsverband losgelöst hatte, Zuflucht und kam im Dezember 1993 unter ungeklärten Umständen ums Leben. Seine Amtsnachfolge trat der frühere sowjetische Außenminister Eduard A. Schewardnadse an, der sich seinerseits im Oktober 1992 durch eine Direktwahl legitimieren ließ.

Bei der militärischen Ausschaltung der Anhänger Gamsachurdias griff Schewardnadse 1993/94 auf die Hilfe der russischen Regierung Boris Jelzin zurück - um den Preis eines Beitritts Georgiens zur Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) im März 1994 und des Verzichts auf eine Rückeroberung der abtrünnigen Provinzen Südossetien und Abchasien. Dieser Verzicht implizierte im Falle des muslimischen Abchasien die Tolerierung des Ergebnisses einer "ethnischen Säuberung", in deren Verlauf bis September 1993 etwa 300.000 christliche Georgier ihre Heimat verloren hatten.

Die Bestrebungen der gegenwärtigen Regierung Michail Saakaschwili, Georgien in die Nato zu führen, lassen kein "Tauwetter" in den "eingefrorenen" Konflikten zwischen Tiflis einerseits und Suchumi und Zchinwali andererseits erwarten. 


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