© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/07 10. August 2007

„Ghettoschlachten wie in USA“
Der Westen steht vor dem demographischen Absturz. Dem Druck junger Zuwanderer sind wir nicht gewachsen
von Moritz Schwarz

Herr Professor Heinsohn, der Frankfurter Kulturhistoriker Manfred Pohl sagte unlängst in dieser Zeitung voraus, daß ab etwa 2050 das „Ende des weißen Mannes“ in Europa einsetzen wird. Halten Sie diese Prognose für realistisch?

Heinsohn: Die Deutschen gehen mit Hautfarben doch ganz manierlich um. Aber das Land rotiert in einem Dequalifizierungsstrudel. Die Furcht vor dieser Abwärtsspirale wird schnell als „Ausländerfeindlichkeit“ gebrandmarkt. Aber dann könnte man auch einen Vater zum Kinderfeind erklären, weil ihn sein Schule schwänzender Sohn ergrimmt und er keinen Taugenichts im Hause haben will. Eine Mutter müsste sich beschämt in die Ecke drücken, weil sie ihrer Tochter einen tüchtigen Ehemann wünscht. Wir haben heute 66 Millionen Ethnodeutsche im Land. Das sind so viele wie 1933. Bis dahin fallen die Geburtenzahlen pro 1000 Einwohner von 45 (1818) auf 17 und seitdem noch einmal auf 8. 1933 lag das Durchschnittsalter bei Mitte 20, heute bei Mitte 45. Das brachte auch wenig gewürdigte Veränderungen. Hätte das Land sich nach 1945 (70 Millionen) vermehrt wie Afghanen oder Palästinenser - oder wie das Reich im späten 19. Jahrhundert -, stände man jetzt bei 450 Millionen Ethnodeutschen. Man wäre die Nummer drei auf der Welt hinter China und Indien und hätte bei einem Durchschnittsalter von 16 Jahren neunmal so viele junge Männer wie heute - 63 statt 7 Millionen. Würden die auch neunmal so viel Pazifismus in die Welt tragen oder gäbe es Anschläge in Königsberg, Danzig und Eger, weil die „fortschrittliche“ deutsche Jugend doch nicht für die Verbrechen der Nazis bestraft werden dürfe? Heute muß sich niemand vor Unruhen wie zwischen 1918 und 1933 fürchten, weil damals die Geburtsjahrgänge 1900 bis 1915 auf den Straßen toben, als die deutschen Frauen zuletzt so viele Kinder hatten wie jetzt die Mütter im Gazastreifen (5 bis 6). Heute haben sie vier bis fünfmal weniger. Deshalb kann der Verfassungsschutz für 2005 gerade mal 15.000 gewaltbereite Rechts- und Linksradikale melden. Jeder davon ist einer zuviel, aber gegen die 270.000 Polizisten im Land haben sie keine Chance. Und für paramilitärische Millionenheere à la Weimar oder ihre Umwandlung in die Wehrmacht danach fehlt hierzulande nun mal der Nachwuchs. Im Gegensatz zur deutschen Vergreisungsstagnation hat sich die Weltbevölkerung seit 1933 von gut 2,2 auf 6,6 Milliarden verdreifacht. Sie liegt bei einem Durchschnittsalter von 28 und ohne die OECD-Staaten sogar von weniger als 25 Jahren. Lateinamerika, das heute im demographischen Mittelfeld liegt, hat unter 1.000 Einwohnern eine Relation der unter 15jährigen zu den über 65jährigen von 300:60. In Europa steht es 160:160 und in Deutschland - wie auch in Italien - 140:190. Dahinter folgt - abgesehen von Steueroasen wie Monaco (130:220) - mit 140:200 nur noch Japan, das allerdings fast keine bildungsfernen Migranten hereingenommen hat. Von Deutschlands 140 unter 15 sind bald 33 Prozent Kinder von Migranten, die aber nur 19 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Die Ethnodeutschen sind überwiegend qualifiziert und konkurrieren - ob Männer oder Frauen - um attraktive Positionen. Wer Zeit für ein Baby investiert, verliert diese für lebenslanges Lernen und den Abbau von Streß. Deshalb tendiert die Geburtenzahl pro Frau auf ein Kind. Das ist einer emotionalen Sehnsucht geschuldet, die das ökonomisch gebotene Verhalten aber nur kurzfristig aushebeln kann. Die Migrationsdeutschen sind überwiegend unqualifiziert, so daß die meisten um Spitzenjobs gar nicht konkurrieren können. Für sie werden die finanziellen Gebäranreize des Staates attraktiv. Die prämieren geringes Einkommen bzw. relative Armut, die nur mit immer neuen Kindern aufrechterhalten werden kann, Deshalb liegen die Migranten bei den Neugeborenen schon doppelt so hoch. Schreibt man diese Politik fort, dann werden in 20 Jahren schon über 60 Prozent aller Kinder bei den Bildungsfernen bzw. im Hartz-IV-Archipel aufwachsen. Aufgrund unserer sozialhilfegesteuerten Vermehrung bekommt die Prognose Ihrer Frage bis 2050 also auch ohne weitere Zuwanderung Recht.

In Ihrem Buch „Söhne und Weltmacht“ haben Sie die Theorie des „Youth Bulge“, des Jungmännerüberschuß, entwickelt, nach der Gesellschaften mit zu vielen jungen Männern, zu Bürgerkrieg und Terrorismus neigen.

Heinsohn: Formuliert hat die These vom gewaltgebärenden Sohnesüberschuss Gaston Bouthoul (1896 bis 1980) im Jahre 1970 mit seinem Buch „Nachgeholte Kindstötung“. Dort fragt er: „Kann man den Prozentsatz junger Männer bestimmen, bei dem Massen und Regierungen einen kriegerischen Ausflug erwägen? ... Gibt es einen Kriegsindex? … Die großen kriegerischen Vorstöße erfolgen, wenn der Anteil an jungen Männern zwischen achtzehn und fünfunddreißig Jahren, der von wesentlichen Wirtschaftsfunktionen freigestellt ist, besonders hoch liegt.“ Heute schätzen wir, daß es brisant wird, wenn von 100 männlichen Einwohnern eines Landes 30 bis 40 Prozent zwischen 15 und 29 Jahre alt sind. Das allein aber reicht nicht. Sie müssen auch passabel ernährt und gebildet sein. Sonst sorgt schon eine hohe Kindersterblichkeit für ein Gleichgewicht zwischen Ambitionen und Positionen. Die Konfliktursache bei „Youth Bulge“ ist sehr simpel: Anspruchsvolle Positionen können nicht so schnell vermehrt werden wie Brot, Lesebücher und Impfstoffe. Die drei oder vier Söhne einer Familie haben zu essen, gehen zur Schule und werden medizinisch versorgt. Nach der Pubertät bleibt nicht der Hunger nach Brot, sondern nach akzeptablen Positionen ungestillt. Überzähligkeit kombiniert mit relativem Wohlstand liefert mithin die Voraussetzung für die typischen sechs Wege, die eingeschlagen werden, wenn aus elterlich versorgten Knaben junge Männer werden, die eine eigenen Position erkämpfen müssen: 1. Abwanderung, 2. Kriminalität, 3. Aufstand oder Putsch, 4. Bürgerkrieg oder Revolution, 5. Ermordung oder Vertreibung von Teilen der eigenen Bevölkerung und 6. grenzüberschreitender Krieg. Unblutig mag die Binnenwanderung etwa in agrarischen Gesellschaften ausfallen, solange unbewohntes Land kultiviert werden kann. Das gab es bis zum Ende des 20. Jahrhunderts beispielsweise noch in Afrika, das 1950 gerade mal 200 Millionen, nächstes Jahr aber schon eine Milliarde Einwohner hat. Unblutig kann es zumindest daheim zugehen, wenn die Auswanderer auf ferner Erde die dortigen Menschen ausrotten. England macht deutlich, dass trotz unbestrittener globaler Produktivitätsführerschaft zwischen 1500 und 1900 niemals genügend akzeptable Positionen für seine „Youth Bulges“ zur Verfügung standen. Neben der rasant wachsenden Erwerbsbevölkerung blieb immer Personal für weltweiten militärischen Einsatz. Dazu passt ein Trinkspruch junger Offiziere aus dem 18. Jahrhundert: „Here's to a bloody war. Many to go and few to come!“ Zu deutsch: „Auf einen verlustreichen Krieg, damit in der Ferne viele fallen, wenige heimkehren“ Und - so ist der Sinn - dann wir befördert werden!

Nun gibt es auch Kritik an Ihrer Theorie, die „Zeit“ nannte sie zum Beispiel „dem Stammtisch näher ... als der Wissenschaft“. Die „Frankfurter Rundschau“ urteilt, Sie hätten „ahistorische Phrasen ... passend zu ihren Thesen“ aus der Geschichte gefiltert.

Heinsohn: Die Zeit hielt mir beispielsweise Botswana entgegen. Dort führen die überzähligen „Youth Bulge“- Männer in der Tat keinen Bürgerkrieg, aber sie sind auch zu über 30 Prozent durch Aids geschwächt, was der Autor Klingholz nicht bedacht hatte. Auch Ghana sollte mich widerlegen. Dort sind aber die meisten hoch qualifizierten jungen Männer ausgewandert und können keine Kämpfe mehr anführen. Überhaupt wollte man die Tötungen auf failed states schieben. Nun kann man etwa für Südamerika zwischen 1955 und 1995 gut zeigen, dass Regime entarten, nachdem sich ihre „Youth Bulges“ in junge Guerillas für den Kommunismus und junge Soldaten für das Gesetz aufteilten und mit dem Töten begannen. Nach dem Fall der Geburtenzahlen pro Frau von sieben auf drei oder weniger, haben sich die meisten Latinoländer in den Parlamentarismus zurückgemeldet - übrigens ganz ohne deutsche Demokratieberater à la Afghanistan. Momentan kann man an der „afrikanischen Schweiz“, also der Elfenbeinküste, sehen, wie die Prokopfeinkommen erst kräftig steigen, aber zu fallen beginnen, als die unversorgten jungen Männer an die Zerstörung der Infrastruktur gehen und dabei ihre Regierung ins Chaos treiben Jack Goldstone hatte 1991 Ähnliches schon für Englands Bürgerkriege im 17. Jahrhundert gezeigt, an denen Thomas Hobbes - in seinem Leviathan von 1651 - erkannte, wie gut der Krieg noch jeden überzähligen jungen Mann durch die Früchte des Sieges oder die Ehren eines Heldentodes versorgen kann. Die Frankfurter Rundschau hat von mir gefordert, dass ich für die palästinensischen Angriffe die Juden Israels beschuldigen müsse und nicht die aus Europa finanzierte Geburtenexplosion anführen dürfe. Die hatte bewirkt, dass im Gazastreifen auf 1.000 Männer zwischen 40 und 44 Jahren über 4.600 Knaben zwischen 0 und 4 Jahren folgen, während etwa auf 1.000 deutsche Männer zwischen 40 und 44 Jahren nur noch 500 Jungen zwischen 0 und 4 folgen. Der Autor, ein iranischer Marxist auf deutscher Beamtenstelle, hat mir natürlich verübelt, daß ich die bisher unerklärte Revolution Khomeinis von 1979 nicht auf amerikanische Machenschaften des Jahres 1953 schieben wollte, sondern gezeigt habe, daß die zwischen 1945 und 1959 geborenen Söhne (immer 7 Kinder pro Frau) die Gemetzel begonnen haben. Auch danach fallen noch lange gewaltige Sohnesscharen an, die etwa zwischen 1980 und 1988 in die irakischen Minenfelder gehetzt und in Teheran mit einem Blutbrunnen geehrt werden.

Sie sagen, der Aufstieg Europas in der Neuzeit war eine Folge des europäischen Jungmännerüberschuß. Inwiefern?

Heinsohn: Europa hatte 1348 über 80 und nicht nur die 50 Millionen Einwohner von 1450. Von den 80 verschlingt die Große Pest in wenigen Monaten 30 Millionen und dann stagniert der Kontinent. Die Frauen denken nicht daran, ihr überkommenes Gebärverhalten zu ändern. Diese Krise von 1350 bis ca. 1490 steht als Europäische Bevölkerungskatastrophe in den Geschichtsbüchern. Dennoch geben die weltlichen und kirchlichen Feudalherren, die oftmals die Hälfte ihrer Arbeitskräfte verloren haben, keine Ruhe. Schon gegen 1360 werden Hebammen hingerichtet, weil sie von jeher nicht nur bei der Geburtshilfe, sondern auch bei der Verhütung helfen. In dieser prekären Lage formulieren Politikberater die erste Wirtschaftstheorie der Neuzeit. Sie hat die schlichte Formel viele Menschen = viel Reichtum. Gegen 1800, als der kleine Kontinent überquillt, wird diese Gleichung nicht mehr verstanden. Zu ihrer Entstehungszeit jedoch, als allein Abgaben und Dienste von Leibeigenen das Wohlergehen der Herren sichern, ist jede zusätzliche Hand ein Gewinn. Da die Pest von Portugal bis China wütet, warten keine Einwanderer an den Grenzen. Die „Repoeplierung“ - wie es halblateinisch heißt - muß vor Ort erfolgen. Und dort geht das nur über die Leiber der Frauen. Autorität für eine gewaltsame Bevölkerungspolitik in ganz Europa hat damals nur der Papst. Deshalb werden ihre Grausamkeiten bis heute als religiöse Verirrung missverstanden. Sie folgen aber einer demographischen Line. Papst Unschuldig bzw. Innozenz der Achte setzt sie mit seiner Hexen-Bulle von 1484 durch. Dieses Gesetz verhängt Todesstrafe für „Personen beiderlei Geschlechts ..., welche die Geburten der Weiber umkommen machen und verursachen, ... dass die ... Frauen ... nicht empfangen“. „Abgesehen“ vom immer schon und auch weiterhin bestraften Schadenszauber, so präzisiert der 1487er Hexen-Hammer als Rechtskommentar zur Bulle, ist nunmehr eine „siebenfache Hexerei“ auszurotten, deren Delikte durchweg den „Liebesakt und die Empfängnis im Mutterleibe … infizieren“. Fast umgehend beginnt die Europäische Geburtenexplosion. Sie bringt ab etwa 1490 sechs bis sieben überlebende Kinder pro Frau statt nur zwei bis drei in der Zeit davor. Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein ist vom ganzen Feld der Sexualität straffrei und ohne Sünde allein noch ein ehelicher Fortpflanzungsakt. Die Verhütungsunfähigkeit trifft selbst die Mächtigsten Europas. Friedrich der Große ist eines von vierzehn Kindern, Napoleon eines von sieben. Kaiserin Maria-Theresia hat sechzehn Söhne und Töchter. Queen Victoria, die 1901 sterbende Regentin des Britischen Weltreiches, verschleißt sich in 18 Jahren durch 9 Geburten. So springt Europa zwischen 1450 und 1915 Europa von 50 auf 450 Millionen Menschen, obwohl es bis dahin ununterbrochen blutet - in Bürgerkriegen und Kriege daheim sowie beim Erobern, Ausmorden und Kolonisieren im Rest der Welt. 1914 kommen weltweit von 1.000 kampffähigen Männern (zwischen 15 und 29 Jahren) über 350 aus den Nationen des „weißen Imperialismus“. Um 1500 waren es gerade 100. Aufstände in den eroberten Gebieten werden mit dritten und vierten Söhnen Europas schnell erstickt. Die Länder der Alten Welt fürchten nur ihresgleichen und können im Ersten Weltkrieg zehn Millionen junge Männer verheizen - aus der demographischen Portokasse, wie ein Zyniker formuliert hat. Heute könnt es nach einem Tausendstel davon eng werden. 1914 sind von 1.000 Männern nicht einmal 100 Muslime. Deren Frauen ziehen gerade halb so viele Kinder auf wie die Mütter Europas. 2020 hingegen werden von 1.000 kampfähigen Männern keine 90 mehr aus Gebieten kommen, die jetzt westliche Demokratien heißen. Nur 40 von 1000 werden US-Amerikaner sein. Man vergleiche das mit den 60 von 1.000, mit denen 1914 das Deutsche Reich ganz nach vorne wollte. Und noch dieser Vergleich ist schief, weil die amerikanischen Söhne einzige Söhne oder gar einzige Kinder sein werden, während 1914 über die Hälfte nachgeborene Brüder waren. 300 von 1.000 kampffähigen Männern aber werden Muslime sein. Unter ihnen werden dann zwei Drittel als überzählige Brüder nach oben streben, während bei uns liebenswert gewaltfrei erzogene einzige Söhne oder gar einzige Kinder antreten.

Sie sagen, „um Brot wird gebettelt, für Macht getötet“. Was wollen Sie damit verdeutlichen?

Heinsohn: Hunger ist entsetzlich, aus Sicht der Militärs aber nicht gefährlich. Eroberer und Terroristen kommen nicht aus der Unterernährung, sondern aus einem Mangel an Karrieren für ehrgeizige, gescheite und im besten Saft stehende, aber nachgeborene Brüder. Kaum zwei Tode stehen sich ferner als der Hunger- und der Heldentod.

Viele europäische Nationen haben keinen Jungmännerüberschuß mehr, im Gegenteil. Viele Einwanderergesellschaften in Europa dagegen schon. Formuliert sich das Problem des „Youth Bulge“ in Europa also notwendigerweise im Gewande einer ethnisch-kulturellen Konfrontation?

Heinsohn: Vor allem Deutschland und Frankreich erzeugen durch ihre finanziellen Gebäranreize die für Karrierefrauen unattraktiv bleiben, für die Bildungsfernen aus aller Welt aber wie ein Wunder dankbar angenommen werden, einen einheimischen „Youth Bulge“. Dessen Mädchen bekommen die nächsten Kinder. Dessen Jungen aber können nicht durch viele Vaterschaften ins Geld kommen und wollen sich auf anderem Wege etwas holen. Ich habe deshalb vor ein paar Jahren vorgeschlagen, so gut wie sämtliche staatlichen Mittel auf das zweite Kind zu konzentrieren. Nach dem ersten sehnen sich die meisten Frauen ohnehin und wenn dann für das zweite eine richtige Summe ins Haus stände - man käme schon aus heutigen Budgets auf 100.000 Euro - ­kämen womöglich beide. Das Grundrecht auf dritte bis n-te Kinder bliebe dabei unberührt. Aber der Gesellschaft fehlt das zweite und nur für dieses gäbe es einen Rechtsanspruch auf die Taschen des Steuerzahlers.

Welche Rolle spielt die Kultur für das Jungmänner-Problem? Gibt es Kulturen, die die Konsequenzen bremsen bzw. verstärken? Wie verhält es sich in diesem Zusammenhang etwa mit dem Islam?

Heinsohn: Es sind keine alten Folianten, die eine Bewegung hervortreiben, sondern junge Männer, die aufsteigen wollen und auch das Talent dazu haben, aber kaum eine zivile Chance sehen. Religionen und Ideologien haben es in gerade in den großen Tötungsbewegungen so viel besser als gewöhnlich, weil ihre zornigen jungen Mitglieder die bekämpften Eliten zwar beseitigen, aber nicht als kriminelle Killer oder psychopathische Selbstmörder gelten wollen. Um ehrbare Scharfrichter sein zu können, brauchen sie eine höchste Warte, von der her das Blutvergießen von der Gottheit gefordert wird. So wird aus individueller Grausamkeit Gehorsamkeit gegenüber einer moralischen Instanz. Es sind also die jungen Leute, welche die heiligen Bücher überhaupt erst entstauben und sich dann herausschneiden, was passend ist. Deshalb sind Spaniens Konquistadoren keine Christen, sondern „Christianisten“ und die Taliban keine Muslime, sondern Islamisten. Weil die Bewegungen nicht von religiösen Irrlehren kommen, sondern von jungen Leute, die sich diese überhaupt erst zurechtschneidern, kann man die Kämpfer auch nicht durch Aufklärungen über den „wahren“ Inhalt von Bibel oder Koran von ihrem Treiben abbringen. Wenn die Bewegungen sich ausgewachsen haben, rührt auch ihre Druckwerke niemand mehr an. Die werden dann tonnenweise vor die Antiquariate gekippt. Theologische Terrortheorien sind sehr alt. So erklärten sich Aztekenpriester das spanische Rasen in Analogie zur eigenen Praxis. Wo ihr Gott durch Menschenblut besänftigt werden musste, hatte der Gott Kastiliens Tote lieber als Andersgläubige. Die Azteken konnten nicht ahnen, dass im fernen Spanien die Frauen plötzlich acht oder zehn Kinder hatten und ohne Ende „Secundones“ (Zweitgeborene), wie die Ausgesandten genannt wurden, verlieren konnten. Viele unserer Experten ähneln jenen Priestern, obwohl man heute per Mausklick an die demografischen Daten kommt.

Welche Rolle wird das Problem des Jungmännerüberschuß also in Zukunft konkret spielen?

Heinsohn: Nicht nur Lateinamerika und die Türkei, sondern auch arabische Staaten wie etwa die Maghreb-Länder sind aus dem großen Töten heraus, seitdem die Kinderzahlen von sieben bis auf zwei oder noch weniger gefallen sind (Tunesien 1,7). Durch die weltweite Verlohnarbeiterung, die Frauen eigenes Einkommen bringt und so zum stärksten Verhütungsmittel wird, schreitet diese Entwicklung fort. Nach 2020 wird es außerhalb von Schwarzafrika, Nahost und Pakistan/Afghanistan ruhiger. Dort dauert es noch ein wenig bis zum „make love not babies“. Die modernen westlichen Armeen bestehen aus einzigen Söhnen oder gar Kindern, während es jetzt die Familien der Gegner sind, die zwei oder drei Söhne verlieren können und immer noch einen übrig haben. Nur wenn diese Jungen in leicht bewaffneten Armeen eine offene Feldschlacht suchen, kann ein einzelner westlicher Soldat aus der Bomberkanzel oder an der Raketenlafette ein Vielfaches von ihnen in Schach halten. Wo aber auch der Westen nur leichte Waffen einsetzen kann - wie beim Häuserkampf oder gar beim gleichzeitigen Nation Building - kann er den Krieg nicht durchhalten. Die Gegenseite ist bei der Bewaffnung kaum schwächer und beim Personal fast unbegrenzt überlegen. Unterhalb eines Luftkrieges ist jetzt der Westen unterlegen. Wie oft kann er einen einzigen Sohn hinausschicken, um zehn dritte und vierte Brüder in Schach zu halten? Gewiß, die Truppe soll soldatisch töten und nicht kriminell morden. Aber in aussichtsloser Lage werden auch Nato-Verbände immer wieder zu Grausamkeiten Zuflucht nehmen. Aus diesem Dilemma ergeben sich Konsequenzen. Erstens: Keine Einmischung in Ländern, deren zornige Männer ein Gleichgewicht zwischen Ambitionen und Positionen herbeiführen. Westliche Soldaten können eine Bürgerkriegsbarbarei durchaus noch steigern, indem sie durch Tötung fremder Jünglinge zum Genozid schreiten. Zweitens: Greift eine „Youth Bulge“-Nation an, dann dürfen Gegenschlag und Sieg nicht zu einer Besatzung ausgebaut werden. Sicherzustellen ist nur, daß der Gegner seine aggressiven Potentiale wieder daheim exekutiert. Drittens: Nation building und Demokratisierung folgen dem Abbau eines „Youth Bulge“. Runde Tische in der DDR, Georgien oder der Ukraine funktionierten nicht wegen westdeutscher Anleitungen für herrschaftsfreien Dialog. Schrumpfung und Vergreisung garantierten vielmehr attraktive Positionen für Regierende und Oppositionelle gleichermaßen. In „Youth Bulge“-Ländern fängt das Gemetzel aber noch im Konferenzsaal an, weil auf jedem Stuhl zehn junge Männer gleichzeitig Platz nehmen wollen.

Professor Pohl möchte den Bürgerkrieg vermeiden, indem wir die zornigen jungen Zuwanderer-Männer von morgen in unser Wertesystem zu integrieren. Kann das klappen?

Heinsohn: Wenn - wie in Kanada oder Australien und Neuseeland - nur Leistungsträger hereingelassen werden und zugleich das finanzielle Anreizen zur Vermehrung von Bildungsfernen eingestellt wird, sehe ich keine gravierenden Probleme. Integrationsversuche setzen eine gescheiterte Einwanderungspolitik voraus und indizieren nicht etwa eine erfolgreiche. Da man aber einen anderen Weg geht, wird man in Frankreich und Deutschland auch weiterhin jene Ghettoschlachten sehen, die Amerika erst beenden konnte, als es die Sozialhilfe für beliebig viele Kinder zum 1. Januar 1997 abgeschafft hat. England hingegen hat unter seinen Einwanderern immerhin 75 Prozent Qualifizierte und nicht nur 10 Prozent wie Deutschland oder Frankreich.

Was müsste die deutsche Politik also konkret unternehmen?

Heinsohn: Wie halten wir die jungen Leistungsträger im Land?, muß die erste Frage aller Politik lauten. Nach einer Untersuchung von 2005 können sich 52 Prozent der 18- bis 30jährigen Deutschen die Auswanderung vorstellen. Besonders landestreu zeigen sich lediglich die Bildungsfernen auf Staatstransfers. 2007 befragt man nur Studenten, die insgesamt zwar auslandsträger werden, bei einem Angebot aus Amerika aber wiederum zu 52 Prozent zugreifen würden. Man sagt den jungen Leuten angeblich „schonungslos“, daß alsbald 100 Aktive mehr als 100 Alte versorgen müssen. Der Nachwuchs merkt aber doch, dass es nur 70 bis 80 Aktive geben wird, die nicht nur für 100 Alte die Rente, sondern auch für 20 bis 30 Gleichaltrige und ihren Nachwuchs die Sozialhilfe aufbringen müssen. Schon jetzt bleiben einem tüchtigen Ledigen nur noch 45 von 100 verdienten Euro in der Tasche. Die Anglowelt bietet nicht nur 70, sondern wirbt auch noch aktiv um ihn, weil sie an derselben Auszehrung leidet. Dort wird aus eigener demographischer Not ein Anker ausgeworfen. Danach werden aus den insgesamt 64 Staaten mit Geburtenzahlen unter zwei immer mehr entschieden greifen. Es trägt sich ja global zwischen Nationen zu, was wir in Ostdeutschland an Dörfern oder ganzen Städten beobachten. In vier Gemeinden Brandenburgs oder Vorpommerns werden Schule, Sparkasse und Postamt geschlossen, um eine fünfte noch einmal auszulasten. Alsbald dominieren auch dort die Greise. Und niemand lebt um sie herum, der ihre Renten erarbeitet. Je mehr Qualifizierte aus Deutschlands zwischen Alaska und Neuseeland angeworben werden, damit diese Länder nicht unter die aufgegebenen Dörfer rutschen, desto eher kann vielleicht hier eine Diskussion beginnen. Wenn hier die ersten Nachdenklichen Anreize entwickeln für das Anlocken der Besten aus Toronto, Sydney oder Shanghai nach Schwerin, Dortmund und Hamburg, wäre ein erster Schritt getan. Wie ein Witz klingt das wohl auch deshalb, weil tief innen die meisten den point of no return schon für überschritten halten. 

 

Prof. Dr. Gunnar Heinsohn: Der Soziologe, Bevölkerungswissenschaftler und Zivilisationstheoretiker präzisiert in seiner spektakulären Studie „Söhne und Weltmacht“ (Verlag Orell Füssli, 2003) die Theorie des „Youth Bulge“, nach der Europa weitgehend wehrlos vor einer demographischen Invasion junger islamischer Männer steht. „Spätestens in fünfzig Jahren wird Deutschland muslimisch sein“ prophezeite Heinsohn unlängst öffentlich in Berlin. Der Philosoph Peter Sloterdijk lobt sein Buch als „Pflichtlektüre“. Heinsohn lehrt Sozialpädagogik an der Universität Bremen und ist Autor zahlreicher Bücher.

 

Die Gefahr des „Youth Bulge“: Zu deutsch: „Jugendüberschuß“, bezeichnet die überproportionale Ausstülpung („bulge“) der Alterspyramide beim Segment der jungen Menschen. Nach Heinsohn entstehen durch „Youth Bulges“ die Voraussetzungen für Bürgerkrieg und Terrorismus. Wenn nämlich große Teile der männlichen Jugend keine Aussicht haben, eine angemessene Position in der Gesellschaft zu finden, stehe ihnen als einziger Weg die Gewalt offen: „Um Brot wird gebettelt. Getötet wird für Status und Macht.“ Europa sieht sich, bei gleichzeitigem eigenem Jugendschwund, mit dramatischer Geschwindigkeit in den nächsten Jahrzehnten mit einem solchen Überschuß an jungen Männern aus - islamischen - Einwanderer-Kulturen konfrontiert. Welche Konsequenzen drohen, zeigt, so Heinsohn, ein Blick in die Geschichte: Die zornigen jungen Männer nehmen sich ihr Recht mit Gewalt.

 

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