© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/07 10. August 2007

Der Ausverkauf der Gene
Landwirtschaft: Die Kommerzialisierung des Erbgutes von Mensch, Tier und Pflanze schreitet unaufhaltsam voran
Harald Ströhlein

Gut ein Jahr nach dem Start des Gemeinschaftsprojektes zur Entschlüsselung des Pferdegenoms veröffentlichte die internationale Forschergruppe, darunter auch Wissenschaftler der Tierärztlichen Hochschule Hannover, einen ersten Entwurf der mit 2,7 Milliarden Basenpaaren umfassenden Genomsequenz. Eine sogenannte physikalische Karte zu erstellen, bei der die Reihenfolge der DNA und die Lage der Gene auf dem Genom ersichtlich werden, ist eine Leistung ohnegleichen. Denn mit bekannten Genomsequenzen lassen sich mitunter Krankheiten intensiver erforschen und neue Therapien besser entwickeln.

Nun sind des Menschen Geist entsprungene Höhenflüge das eine, deren bodenlose Kommerzialisierung das andere. Ganz besonders dann, wenn es um das genetische Vermächtnis allen irdischen Lebens geht. Seit die sogenannte "Genmaus" vor gut 20 Jahren patentiert wurde, wird die Diskussion um die Kernfrage, ob mit der Genetik von Mensch, Tier oder Pflanze nennenswerter finanzieller Nutzen erzielt werden darf, mit allergrößter Vehemenz geführt. Mehr noch: Seit diesem denkwürdigen Ereignis vergab das Europäische Patentamt weit mehr als 200 Patente alleine auf Tiere - über 5.000 sind bislang angemeldet.

Zum einen sind es Universitäten und Fachhochschulen, die das wirtschaftliche Potential ihres wissenschaftlichen Fleißes für sich entdecken und kapriziöse Patentanmeldeverfahren nicht scheuen. Angesichts des frischen Windes, der durch die Laboratorien und Hörsäle fegt, wird es künftig wohl zum guten Ton gehören, eigenes geistiges Kapital clever zu vermarkten.

Besitzansprüche auf biologisches Material melden aber auch Unternehmen mit dem an sich nicht zwingend verwerflichen Ziel an, größtmöglichen Profit zu erwirtschaften. Die Argumente für diesen kommerzgetriebenen Patentierungswahn sind unterschiedlicher Natur und mit gutem Willen teilweise sogar nachvollziehbar. Einerseits geht es dabei um Schutzmechanismen von untereinander konkurrierenden Firmen, um innovative Produkte in kunterbunter Vielfalt, von der wir Menschen letztendlich auch profitieren. Andererseits geht es aber auch um die Schaffung von Abhängigkeiten, um Verdrängungswettbewerb, um Monopolstellung und letzten Endes um viel Macht und noch mehr Geld.

So wurden im vergangenen Jahrzehnt zwei Brustkrebsgene entdeckt und ein entsprechendes Diagnoseverfahren entwickelt, um das Erkrankungspotential von Risikopersonen zweifelsfrei abklären zu können. Der Hoffnung folgte Ernüchterung, als ein US-Unternehmen, welches sich Patente auf die beiden Gene sicherte, seine Eigentumsrechte auf alle diagnostischen und therapeutischen Verfahren bezüglich dieser beiden Gene geltend machte und nur gegen Entgeld Analysen erlaubte. Daher stellten mehrere Privatlabors ihre gleichgerichteten Arbeiten konsequent ein. In gleicher Weise verloren zahlreiche Forschungsstätten, die sich mit der Genetik der Hämochromatose beschäftigten, ihre Lust daran, als das Patent für das entsprechende Gen proklamiert wurde.

Derartige Perfidie ist auch im Agrogeschäft usus. Saatgutfirmen beispielsweise treiben durch pflanzliche Genpatente die Landwirte in die Abhängigkeit, indem patentiertes Saatgut nur noch kontrolliert verkauft, vermehrt und vermarktet werden darf. Dazu sind Lizenzgebühren für den Anbau bestimmter Sorten fällig; Strafzahlungen werden bei Patentverletzung erhoben. Bereits heute überwachen rigorose Privatdetektive am Boden und Genpatrouillen in der Luft die oktroyierte Hörigkeit von US-Farmern. Das traditionelle Privileg der Bauern, Saatgut aus eigener Ernte für die nachfolgende Anbausaison zurückzubehalten, wird unter derartiger Prämisse genauso vereitelt wie die bislang selbst von kleinen und mittelständischen Züchtern praktizierte Entwicklung neuer Pflanzensorten.

Dadurch fällt der Wettbewerb unter den Züchtern und der damit verknüpfte züchterische Fortschritt. Solche Kalamitäten drohen gleichfalls dem Nutztiersektor, sollte das Patentieren auch dort die Runde machen. So hat das Europäische Patentamt in München erstmals ein Patent auf die genmanipulierte Turbo-Kuh, die noch mehr Milch mit noch mehr Inhaltsstoffen gibt, erteilt, worunter auch die Zucht mit "normalen" Kühen und deren Gene fällt. Zudem werden derzeit vom selbigen Amt zwei Anträge eines Multi-Konzerns geprüft, die als gelungene Kombinationen aus technischem Verfahren und Zuchtmethode beim Schwein bezeichnet werden könnten. In Augen kritischer Zeitgenossen indes gelten die Patentierungswünsche im wahrsten Sinne des Wortes als ausgemachte Schweinerei, denn durch die Patentierung der Genpositionen würde de facto ein Großteil der Schweinezucht unter den Patentschutz des Global Players fallen.

Wenn sich überwiegend Weltunternehmen engagiert Rechte auf vermeintlich geistiges Werk sichern, ist es ist politischer Wille, der in dem Übereinkommen namens Trips (Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights) als eine der vier Säulen der Welthandelsorganisation WTO manifestiert wurde. Schon vor über zehn Jahren wurde dieser Beschluß zum Schutz geistiger Eigentumsrechte getroffen, worin der - zugegeben abstrakte - Grund allen künftigen Übels zu finden ist. Gäbe es einen demokratischen Akt - die Entscheidung für oder wider einer Patentierung des Ergutes fiele nicht schwer. In diesem Metier wäre bestenfalls eine solche auf technische Verfahren zu befürworten, nicht aber auf den Quellcode allen Lebens.


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