© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/07 10. August 2007

Der Dirigent und seine Denunzianten
Wenn die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten: Zum "Fall" Rolf Reuter
Jens Knorr

Tom Schreiber vertritt die Interessen seiner Wähler aus dem Wahlkreis 5, Treptow-Köpenick im Berliner Abgeordnetenhaus. Als Sprecher der SPD im Ausschuß für Verfassungsschutz schützt er die Verfassung vor Verfassungsfeinden. Die wirken mitten unter uns, was von der Verfassung guten Gewissens nicht mehr behauptet werden kann. Da der Verfassungsschützer die Verfassung nicht alleine schützen kann, ist er auf Hilfe angewiesen, bezahlte Hilfe. Geholfen hat das mit öffentlichen Mitteln ausgehaltene Antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin e.V., apabiz.

Im März 2007 hatte Ulli Jentsch von apabiz per Rundbrief Nr. 29 einen Verfassungsfeind entlarvt. Der Verfassungsfeind hat 1996 den "Appell der 100. Die Meinungsfreiheit ist in Gefahr" unterzeichnet und 1998 bei der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte brieflich gegen die Aushöhlung des Artikels 5 GG protestiert. Er ist mit Rechtsextremen persönlich bekannt. Rechtsextreme sind Personen, die von apabiz als rechtsextrem eingestuft werden. Er hat auf den Gästewochen der Deutschen Kulturgemeinschaft über Händel, Weber, Bruckner, Haydn, Beethoven und die deutsche Volksseele, über "Die Musik als Ausdruck der Volksseele im Griff der amerikanischen Zerstörungswelle und deren Abwehr" oder "Das Volkslied als Mutterboden der musikalischen Hochkultur" referiert und den Singleiterkurs einer neu gegründeten AG "Volk und Musik" im Freundeskreis Ulrich von Hutten geleitet: der 81jährige deutsche Dirigent Rolf Reuter.

Just zu Beginn des Sommerlochs bemerkte der SPD-Verfassungsschutzexperte aus Köpenick, daß da seit einem halben Jahr einer als Verfassungsfeind überführt ist, ohne daß die üblichen öffentlichen Rituale eingesetzt hätten. Dabei hatte apabiz die Richtung längst vorgegeben: Reuters Ehrenmitgliedschaft "in dem Hause, dem er lange Jahre als Chefdirigent seinen Stempel aufdrückte", sei zu überprüfen, "seine aktuelle Lehrtätigkeit" stehe "dringend zur Diskussion, ebenso wie seine Ehrung durch das Bundesverdienstkreuz". Umgehend kontaktierte der Experte die Senatsverwaltung, schrieb den Bundespräsidenten an und Klaus Wowereit als Vorsitzenden des Stiftungsrates der Berliner Opernstiftung.

Der Dirigent Rolf Reuter wurde 1926 in Leipzig als Sohn des Komponisten und Musikpädagogen Fritz Reuter in Leipzig geboren, kam nach dem Musikstudium über die Stationen Eisenach und Meiningen 1961 an das Leipziger Opernhaus. Von 1977 bis 1981 war er Chefdirigent der Staatskapelle Weimar. Seit 1966 leitete er die Fachrichtung Dirigieren an der Leipziger Musikhochschule "Felix Mendelssohn Bartholdy", seit den achtziger Jahren lehrt er an der Berliner Musikhochschule "Hanns Eisler".

Den Leipziger "Ring", die Neuinszenierung von Richard Wagners Tetralogie, die Joachim Herz von 1973 bis 1976, durfte ein wackerer Pulthandwerker dirigieren, nicht der Generalmusikdirektor. Einen Protestanten, der 1972 am Reformationstag mit dem Studentenorchester die "Reformationssymphonie" des Namensgebers der Hochschule aufzuführen wagte, hätte sich die SED-Bezirksleitung in herausgehobener Position bei einem kulturpolitischen Großereignis vielleicht gerade noch gefallen lassen, nicht aber einen Protestanten und Demonstranten gegen den Abriß der Universitätskirche St. Pauli und des Augusteums.

Die Berliner Komische Oper wurde unter Reuters musikalischer Oberleitung, die von 1981 bis 1993 währte, auch in musikalischer Hinsicht wieder zu einer ernstzunehmenden Größe in Berlin und über Berlin hinaus. Von der Arbeit des Orchestererziehers Reuter haben seine Nachfolger Yakov Kreizberg, seit 1994, und Kirill Petrenko, seit 2002, profitieren können.

Ob als Dirigent, Leiter oder Lehrer, im Theater oder in der Hochschule, im eigenen Land und in aller Welt, immer kreist Reuters Denken und Schaffen um das Deutsche in der Kunst, in der Musik, bezieht der Christ, Humanist und Demokrat gegen Kulturverfall und Kulturzerstörung Position. Seinen Studenten lieh er Nietzsche-Bände zur Lektüre aus, auf seine Konzertprogramme setzte er Werke des deutschnationalen Komponisten Hans Pfitzner - wohlgemerkt vor 1989. Nach der Wende war er Präsident und ist heute Beisitzer der Hans-Pfitzner-Gesellschaft.

Reuters Einsatz für Pfitzner, noch unter widrigsten Umständen, und die deutschen Klassiker, seinen Einsatz für die Zeitgenossen, für jüdisch-deutsche Komponisten, von Mendelssohn-Bartholdy über Mahler bis hin zu Paul Dessau - Reuters Einsatz für die deutsche Musikkultur können Ehrenmitgliedschaft der Komischen Oper Berlin und der Leipziger Oper sowie Bundesverdienstkreuz erster Klasse, das ihm im Jahr 2000 verliehen wurde, nicht abgelten.

Nun schwingt ein Jungpionier aus der Wowereitschen Entourage, die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus hinter sich und assistiert von apabiz, die Faschismuskeule gegen einen deutschen Meister, und eilfertig machen sich öffentlich Bedienstete von Bundespräsidialamt, Senat und Opernstiftung an die Gesinnungsüberprüfung des Diffamierten, in deren Ergebnis sie darüber befinden wollen, ob der Überprüfte einer Ehrenmitgliedschaft oder eines Bundesverdienstkreuzes fürderhin noch würdig sei. Letzteres allerdings kann laut gesetzlichen Bestimmungen nachträglich nur entzogen werden, wenn sich "ein Beliehener durch sein Verhalten, insbesondere durch Begehen einer entehrenden Straftat, (...) der verliehenen Auszeichnung unwürdig" erweist. Doch Reuter hat lediglich von seinen demokratischen Grundrechten Gebrauch gemacht, freilich ohne Genehmigung von apabiz. Kam dem Köpenicker Abgeordneten und Operngänger das apabiz-Pamphlet gerade recht, um Reuter seine beharrliche Kritik an rot-roter Berliner Opernpolitik im allgemeinen und an der Art und Weise, wie die Komische Oper, sein Haus, ihr künstlerisches Erbe verjubelt, im besonderen einmal so richtig heimzahlen zu können? Ohnehin haben einschlägige Kreise mit Reuter wegen dessen zivilgesellschaftlichen Engagements gegen den Bau der Ahmadiyya-Moschee in Berlin-Pankow noch eine Rechnung offen.

Wer oder was gereicht wem zur Ehre: dem Ehrenmitglied die Ehrenmitgliedschaft und dem Träger sein Kreuz oder der Komischen Oper ihr Ehrenmitglied und dem Staat Bundesrepublik der Träger seines Verdienstkreuzes erster Klasse Rolf Reuter?

Der Verdienstorden der Bundesrepublik wird etwa 3.000 Mal im Jahr verliehen, wohl fünf- bis zehnmal im Jahr entzogen und unbekannte Male nicht angenommen, gegenwärtig dürfen sich um die 200.000 Leute mit einer seiner acht Varianten schmücken. Die Anzahl der Ehrenmitglieder der Komischen Oper Berlin ist deutlich niedriger.

Was wären Bundesverdienstkreuz und Ehrenmitgliedschaften noch wert, wenn sie aufgrund unbestrittener Leistungen zu- und aufgrund abweichender Anschauungen ihres Trägers aberkannt werden können? Wer könnte sich noch sicher sein, sie seiner Leistungen für das Land und nicht allein seiner Gesinnung und guten Führung wegen bekommen zu haben? Hätte er nicht zu überdenken, welches Blech zu diesen Bedingungen überhaupt noch annehmbar wäre?

Man kann die Ansichten des Dirigenten und Lehrers Rolf Reuter teilen, man muß sie nicht teilen, man kann für sein Handeln Verständnis aufbringen, man darf sein Unverständnis zum Ausdruck bringen, ja, man darf es sogar verurteilen, öffentlich. Aber man darf einem Künstler, dessen deutschnationale Gesinnung tief in deutscher Kapellmeistertradition wurzelt - irritierend tief für Flachdenker -, seine Verdienste um die Komische Oper Berlin, um das Berliner Kulturleben, um die deutsche Kultur nicht absprechen, nur weil die Gesinnung nicht paßt, die sie hervorgebracht hat. Was Reuter denkt, sei trotz seines hohen Alters nicht hinzunehmen, überschlägt sich die Stimme des Denunzianten von der SPD. Die "persönliche Erklärung", die Reuter inzwischen abgegeben hat, für den gelernten DDR-Bürger keine neue Übung, bleibe "lückenhaft", seine Distanzierung von den politischen Ansichten des Freundeskreises Ulrich von Hutten "unglaubwürdig", tritt der McCarthy-Imitator von apabiz nach, der fürchten muß, daß die Diffamierungskampagne auf ihre Urheber zurückfällt, je länger sie andauert. Denn nicht nur Brandenburgs Innenminister, Jörg Schönbohm, der ehemalige Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Jürgen Sudhoff, oder der Leipziger Musikkritiker Werner Wolf haben ihre Stimme für Rolf Reuter erhoben, sondern auch der jüdische Dirigent Vladimir Jurowski, einer seiner Schüler und Nachfolger Kurt Masurs als Chefdirigent des London Philharmonic Orchestra die seine. "Was ist das für eine Welt", sage Jurowski der Leipziger Volkszeitung, "in der man des Rechtsradikalismus bezichtigt wird, nur wenn man das Volkslied als Mutterboden für die Hochkultur preist."

Es ist an Reuters Schülern, sich zu erklären. Es ist an den Intellektuellen, sich zu erklären. Treibjagd und Treiber öffentlich zu ächten, ist Intellektuellenpflicht und Schülerpflicht. Nicht schweigend hingenommen werden darf die Menschenhatz, die da ein Köpenicker Abgeordneter und seine Hilfswilligen betreiben. Sie sind eine Schande für das Land.

Foto: Dirigent und Generalmusikdirektor Rolf Reuter: Welches Blech ist überhaupt noch annehmbar?


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