© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/07 10. August 2007

Göttliche Waffenhilfe
Politische Zeichenlehre XXIX: Vexilloid
Karlheinz Weissmann

In diesen Tagen ist der XXI. Internationale Vexillologen-Kongreß in Berlin zu Ende gegangen. Ein Vorgang, der in der Öffentlichkeit kaum registriert wurde, obwohl die Tagung in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Historischen Museum stattfand und Delegationen aus vielen Staaten, auch aus Übersee, teilnahmen.

Ein - aber nicht der wichtigste - Grund für die allgemeine Ignoranz dürfte der Begriff "Vexillologie" sein. Es handelt sich um eine Ableitung vom lateinischen vexillum, der Querstabstandarte der römischen Legionen. Das Wort, das die Wissenschaft von den Fahnen und den fahnenähnlichen Gebilden bezeichnet, geht auf den Amerikaner Whitney Smith, wahrscheinlich den besten Kenner der Materie, zurück.

Smith führte auch den Terminus "Vexilloid" für alle jene Symbole ein, die seit alters an oder auf Stangen getragen werden. Sie sind entweder plastisch ausgeführt, wie etwa die Sonnenstandarten der Azteken, oder bestehen aus Tüchern oder anderem flexiblem Material, wie die europäischen und asiatischen Fahnen oder die Roßschweife der mongolischen Khane. Vexilloide dieser Art sind nach bildlichen Darstellungen bis auf das 4. Jahrtausend vor Christus zurückzuführen. Allerdings spricht einiges für die Annahme, daß es schon sehr viel früher derartige Feld- und Parteizeichen gab.

Ungeklärt ist allerdings der Ursprung. Smith hat einmal die Auffassung geäußert, die erste Fahne könnte ein Fetzen gewesen sein, getränkt in das Blut des Feindes, auf eine Stange gesteckt, und den meisten würde eine solche kriegerische Erklärung für den Anfang des Fahnenwesens wohl einleuchten.

Allerdings gibt es dagegen gewichtige Einwände, die der anderen großen Lebensmacht neben dem Krieg - der Religion - die Erfindung der Fahne zusprechen. Der Religionswissenschaftler Kurt Goldammer hat jedenfalls in einer Untersuchung des altägyptischen Wortes für "Gott" und der zugehörigen Hieroglyphe dargelegt, daß das Schriftzeichen eine stilisierte Fahne wiedergegeben habe und entsprechende Symbole ursprünglich neben oder vor Tempeln aufgestellt waren und allmählich als Repräsentation der Gottheit betrachtet wurden.

Der sakrale Ursprung von Fahnen hat sich bis heute nicht nur in den tibetischen Gebets- und indischen Götterfahnen erhalten, sondern auch in dem islamischen Brauch, an den Gräbern von Heiligen und Märtyrern Stangen mit Stoffstücken aufzustellen. Ursprünglich war die zugrunde liegende Vorstellung im ganzen eurasischen Raum verbreitet.

Entscheidend ist nach Goldammer die "Komplexität" der Fahne, die aus Stange und dem Tuch besteht. Hier spiele einerseits die religiöse Wertigkeit der Wolle eine Rolle, andererseits die Übung in vielen Kulturen, Bänder zu opfern, Opfergaben mit Bändern zu schmücken oder Binden als Auszeichnung zu tragen. Auch das Binden beziehungsweise Knüpfen selbst habe oft eine rituelle Funktion besessen, so daß sich Früh- oder Vorformen der Fahne ähnlich den "Lappenbäumen" des sibirischen Schamanismus vorstellen lassen.

Goldammer vermutete, daß sich der Übergang in den praktischen - militärischen und politischen - Gebrauch nur allmählich vollzogen habe. Die Ursachen sind unschwer zu verstehen: das Bedürfnis, sich des Beistands des Gottes im Kampf durch Mitführen seiner Fahne zu versichern und der Wunsch, die Macht des Herrschers durch die Macht des Gottes zu legitimieren.

Früher fand dieser Übergang wohl im Fall der Standarten statt, also jener Embleme, die aus einer Stange und einem halb- oder vollplastischen Bild bestanden. Wahrscheinlich lag ihre Funktion darin, einen sichtbaren Sammlungspunkt für das Heer zu bieten, aber sie dienten vor allem als Kraftzeichen, als Verkörperungen übermenschlicher Macht, die man zum Alliierten haben wollte.

Als Ramses II. das ägyptische Heer in fünf Divisionen einteilte, gab er jeder den Namen eines Hauptgotts - Ammon, Re, Ptah, Phra und Seth - sowie ein entsprechendes Feldzeichen, um auf diese Weise den Gott zur Waffenhilfe zu zwingen, und noch die römischen Adler waren weniger Hoheitssymbol und militärisches Signalmittel als Sinnbild des Genius der Legion, eigentlich ein Ersatz für den leibhaftigen Adler Jupiters, der vor seinen Kriegern in die Schlacht flog. Im Fall der Legionsadler ist bekannt, daß sie Gegenstand eines eigenen Kultes waren, bei dem die Offiziere als Priester fungierten.

Eine solche religio signorum gab es allerdings bei vielen Völkern. Es ist schon vermutet worden, daß ein Zusammenhang mit der kultischen Verehrung von Adlerstandarten bei Iranern und Skythen bestanden habe; auch von den Germanen heißt es, sie hätten ihre Feldzeichen in heiligen Hainen aufbewahrt.

Die JF-Serie "Politische Zeichenlehre" des Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt.


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