© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/07 10. August 2007

Mein rechter, rechter Platz ist leer
Das konservative Minimum IV: Der kurze Weg der CDU in die politische Mitte / Vierter Teil der JF-Serie
Karlheinz Weissmann

Die Konservativen in Deutschland befinden sich in einer schizophrenen Lage. Einerseits erlebt das Konservative eine unerwartete Renaissance, gibt es Bemühungen von ganz verschiedenen Seiten, den Begriff mit neuem Inhalt zu füllen. Andererseits fehlt den Konservativen der politische Bezugspunkt. Es existiert in Deutschland keine Partei, die man mit Recht als "konservativ" bezeichnen könnte, und in der Union, die viele Konservative lange Zeit als ihre politische Heimat betrachtet haben, vollzieht sich ein Prozeß, der dazu führt, daß das konservative Element komplett verschwindet oder endgültig mundtot gemacht wird.

Wer deshalb meint, die Unionsführung könne die Zeichen der Zeit nicht deuten, übersieht deren Kalkül. Weder Verschwörung noch "linker Druck" müssen angenommen werden, um die Zerstörung des konservativen Elements in der Merkel-Union zu erklären, es genügt der Hinweis auf die Parteiräson, und die besagt, daß es ohne Konservative geht.

Damit ist abgeschlossen, was in den 1980er Jahren als "Modernisierung" der CDU begann, und klargeworden, daß die nur um den Preis zu haben ist, sich von allen zu trennen, die die Union als auch konservative Partei auffassen. Die CDU war niemals eine genuin "konservative" Partei, das mußte jedem Beobachter deutlich sein. Es handelte sich von Anfang an um eine "amorphe Omnibuspartei der Mitte", so die Formel eines Beamten der britischen Besatzungskommission nach ersten Erfahrungen mit dem Neuling in der politischen Landschaft; "amorph", weil man ihr trotz des christlichen Namensbezugs kein eindeutiges weltanschauliches Profil zuweisen konnte, "Omnibuspartei", weil sie Wähler und Mitglieder aus allen Teilen der Bevölkerung gewinnen wollte, und "Mitte", weil sie, wenn zu sonst nichts, dann doch entschlossen war, sich im juste milieu zu halten.

Die Verschiedenartigkeit der Elemente, aus denen sich die Union zusammensetzte, war allerdings sehr groß, und ihr Zusammenhalt ließ sich nur durch einen aufwendigen konfessionellen und regionalen Proporz gewährleisten. Der hielt stand, selbst wenn politische Entscheidungen die Fortdauer des heterogenen Bündnisses in Frage stellten. Man kann in der Geschichte der Nachkriegszeit fünf Punkte benennen, an denen solche Entscheidungen nötig wurden, und in jedem Fall ging es um die Frage, ob die Konservativen weiter in der Union ihre politische Heimat sehen würden: 1. die Westintegration, 2. die "Formierte Gesellschaft", 3. die Neue Ostpolitik, 4. die "geistig-Moralische Wende", 5. das Bekenntnis zur "Berliner Republik".

Westintegration bezeichnet jenen Prozeß, durch den in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre die Weichen für den außenpolitischen Weg der Bundesrepublik gestellt wurden. Wichtiger noch als die Einbindung in die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, den ersten Vorläufer der EU, war dabei der Entschluß zur Wiederbewaffnung und zum Eintritt in die Nato. Beide Vorgänge waren innenpolitisch sehr umstritten. Aber die Ablehnung auf der Linken, aus pazifistischen wie nationalen Gründen, nahm ungleich schärfere Züge an als die auf der Rechten.

Wie groß die Vorbehalte von Protestanten in der Union gegenüber einem "karolingischen" Europa wegen seiner katholischen Prägung sein mochten, wie deutlich die Konservativen auch erkannten, daß die Souveränität der Bundesrepublik um den Preis der Einordnung in das westliche Bündnis die Teilung vertiefte, man fügte sich schließlich. Die Hoffnung, daß die Stärkung des Teilstaats ihn zum Kernstaat eines wiedervereinigten Deutschland machen könnte, überwog ebenso wie die Sorge, daß ein neutrales Gesamtdeutschland dem Kommunismus anheimfallen würde.

Waren die großen Debatten der fünfziger Jahre vor allem außenpolitisch geprägt, verschob sich der Akzent sehr deutlich infolge des Mauerbaus. Nach 1961 zeichnete sich ab, daß eine neue Generation an die Macht drängte, die von anderen Vorstellungen geprägt war als die der Kriegsteilnehmer. Davon blieb die CDU nicht unbeeindruckt, aber im allgemeinen setzte man auf Hinhalten. Das betraf auch und gerade die Konservativen, die mit Unverständnis reagierten und - eine typische Schwäche - weitermachen wollten wie bisher. Nur im Umfeld des Kanzlers Ludwig Erhard gab es einen kleinen Beraterkreis, der das ehrgeizige Projekt verfolgte, dem Linksruck ebenso wie der kulturellen Desorientierung etwas entgegenzusetzen. Die "Formierte Gesellschaft", wie sie Rüdiger Altmann und Johannes Groß entworfen hatten, blieb aber ohne Kontur, selbst für Wohlmeinende war nicht erkennbar, wie dieses "Synchronisierungsmodell" als Basis eines neuen Staatsbewußtseins dienen könnte, gegen die Macht der Verbände und die Unentschiedenheit der politischen Klasse. Die Ungeschicklichkeit des Kanzlers tat ein übriges, um den Versuch zu ersticken, bevor er so recht unternommen war.

Wahrscheinlich hätte sich die Union danach dem veränderten Zeitgeist relativ leicht anpassen können, wenn dem nicht zweierlei entgegengestanden hätte: die Aggressivität des neuen Radikalismus und die Auseinandersetzung über die Ostpolitik der sozial-liberalen Regierung. Zum ersten Mal in der Opposition sah sich die CDU gezwungen, ihr Profil zu schärfen. Und es sprach fast alles dafür, daß dies durch eine konservative Positionierung geschehen würde. Allerdings zielte das praktische Verhalten der Parteiführung zuletzt auf Kompromisse ab, während die Bereitschaft zum Standhalten gelegentlich rhetorische Höhepunkte erlebte, aber keine Auswirkungen hatte. Gleichzeitig wurde deutlich, daß innerhalb der Partei jene Kräfte an Einfluß gewannen, die im Grunde auf Anpassung an den Gegner aus waren, das aber aus taktischen Gründen kaschierten.

Was sie hinderte, war neben den verhärteten Fronten die Furcht vor einflußreichen Gruppen in der eigenen Partei, vor allem Nationalkonservative, Nationalliberale und Vertriebenenführer, die ihr die Loyalität aufkündigen konnten, mit desaströsen Folgen für das innere Gefüge der CDU und die nächsten Wahlen. Derartige Befürchtungen haben auch noch den Ausschlag gegeben für die von Kohl eingeleitete "geistig-moralische Wende", ein Begriff, der nicht zufällig an den Terminus "Tendenzwende" erinnerte.

Allerdings erkannte Kohl rasch, daß er eine solche Kehre nur gegen erheblichen Widerstand würde durchsetzen können; ganz offensichtlich war die Einschätzung, daß die "schweigende Mehrheit" nichts sehnlicher erwartete  als die Wiederherstellung früherer Verhältnisse, falsch. Bald ließ er die Propaganda für eine "Wende" fallen und überantwortete die "Ära, die keine war" (Ulrich Greiner) dem Vergessen.

Kohl selbst erlaubte seinem Generalsekretär Heiner Geißler, jene "Modernisierung" der Union einzuleiten, deren Vollendung wir heute erleben. Nach den Stimmenverlusten bei der Bundestagswahl sowie den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Hamburg 1987 hatte Geißler dem Parteivorstand erklärt, es sei unabdingbar, sich stärker um die "neue Mitte" - gemeint war damit eine eher zur SPD neigende Klientel - zu bemühen und ihr programmatische Angebote zu machen: Menschenrechtspolitik, nicht in bezug auf das kommunistische System, sondern in bezug auf "rechte" Diktaturen, Abschmelzen der deutschlandpolitischen Positionen, Ausbau der Sozialleistungen, Ökologisches, Frauenquote, Anerkennung des geänderten Paragraphen 218. Das werde wohl den Verlust eines Teils der Stammwählerschaft zur Folge haben, die man aber mit Beschwichtigungsformeln zurückgewinnen könne.

Da sich die bisherige Basis der Union in den verschiedenen Milieus auflöste, mochte eine Reaktion auf die veränderte Situation zwingend sein. Allerdings entstand keine neue in sich stabile Grundlage für die Partei. Die CDU wurde seit Mitte der achtziger Jahre "konvoluthaft" (Herbert Kremp) und verlor jene Umrisse, die sogar eine Volkspartei benötigt. Das "System Kohl" hatte ohne Zweifel den Erfolg, die Union sechzehn Jahre lang an der Regierung zu halten, obwohl die Verschleißerscheinungen unübersehbar wurden. Der Preis für die Partei war hoch: Zersetzung aller Kernbestände, unter Einschluß des Bekenntnisses zur Wiedervereinigung, das - nach Geißlers Wunsch - auf dem Bremer Parteitag 1989 aus dem Grundsatzprogramm gestrichen werden sollte.

Dazu ist es nicht gekommen, und Kohl, der vor der Möglichkeit der einen Wende resigniert hatte, wurde durch die andere gerettet: Der Zusammenbruch des Ostblocks und die Wiedervereinigung gaben ihm noch einmal eine Frist, nachdem die Beobachter ihn längst politisch totgesagt hatten. Der Vorgang setzte in der Partei und an ihren Rändern Energien frei, die nicht mehr in der Weise lokalisiert werden konnten wie in der Vergangenheit. Sie waren "konservativ" insofern, als sie drängten, die Chancen der veränderten Lage zu ergreifen, um eine "Normalisierung" zu erreichen: Die Linke sollte aus ihren Stellungen geworfen und die "Berliner Republik" - damals noch ein verfemter, von ebendieser Strömung geprägter Begriff - zum Staat der "selbstbewußten Nation" werden. Die Bezugnahme auf die Nation war aber in der CDU schon nicht mehr konsensfähig, wegen der Europa-Fixierung der Parteimitte und der Öffnung zur "multikulturellen Gesellschaft" auf der Parteilinken.

Das Auftreten der "Neuen demokratischen Rechten" dürfte der erste Fall gewesen sein, daß sich eine erkleckliche Zahl von Intellektuellen der Union als Avantgarde zur Verfügung stellte, die dieses Angebot nach kurzem Zögern ausschlug. Die Tatsache, daß es zu diesem Zeitpunkt schon keine der sonst als konservativ bezeichneten Gruppen in der CDU wagte, die Neuen offen zu unterstützen, sprach für sich. Was dann folgte, war im Grunde nur ein langwieriger Prozeß der Abwicklung, an dessen Ende man heute angekommen ist.

Das alles mag bei Konservativen ein Gefühl der Bitterkeit hinterlassen, erlaubt aber auch, Bilanz zu ziehen. Dabei ergibt sich das folgende: Bis in die siebziger Jahre hinein hat die Union ihre Aufgabe erfüllt und die Konservativen mit anderen Gruppen in einer Koalition vereinigt, die erheblichen Einfluß auf das politische Geschehen nahm. Versuche, den Konservatismus selbständig zu organisieren, kamen niemals über sehr provinzielle Ansätze - wie die Deutsche Partei - hinaus und boten jedenfalls kaum etwas, das die CDU nicht auch zu bieten vermochte. Auch die maßgebenden konservativen Intellektuellen waren bis dahin der Meinung, ihr Anliegen sei in der Union am besten aufgehoben.

Adenauers Realismus, so durfte man lange Zeit glauben, bot ausreichende Gewähr für die Sicherung konservativer Interessen, und alle möglichen Versuche, eine gegenüber der CDU selbständige, etwa nationalneutralistische Position zu beziehen (die durchaus in der Logik eines eher preußisch-protestantisch orientierten Konservatismus gelegen hätte) scheiterten aus mehr oder weniger gutem Grund. Allerdings zeigte sich mit Beginn der siebziger Jahre, daß die ursprüngliche Konstellation nicht länger gegeben war und die Union die Masse der Konservativen eigentlich nur wegen deren Trägheit binden konnte. Bezeichnenderweise sollten sogar Versuche zur selbständigen Reorganisation immer nur im Einverständnis mit der CDU gemacht werden (bundesweite Ausdehnung der CSU, "Vierte Partei"). Als in den achtziger Jahren unübersehbar wurde, daß die Union alle konservativen Prinzipien verriet, war der rechte Parteiflügel nur noch ein Schatten seiner selbst, gleichzeitig der Parteienstaat mächtig genug, um alle Versuche, eine neue konservative, nationale oder auch nur bürgerliche Kraft zu formieren (Republikaner, Bund Freier Bürger), zum Scheitern zu verurteilen.

Wahrscheinlich wohnt diesem Prozeß eine gewisse historische Notwendigkeit inne. Es hat hier ein Abbau stattgefunden, dessen Zwangsläufigkeit Männer wie Geißler oder Kohl früh erkannt haben. Allerdings zogen sie die falschen Schlüsse. Denn der säkulare Linkstrend, dem sie sich andienten, mußte die Position der Union untergraben und gesellschaftliche Zustände vorbereiten, die letztlich nur eine Antwort "von rechts" erlauben.

Die Unionsführung hat dafür nicht jede Witterung verloren. Auch deshalb wird sie die Besetzung des Begriffs "konservativ" aufrechterhalten, ein wohlwollendes Verhältnis zu den Ideologen des "Neuen Bürgertums" pflegen und die Mentalitätsverschiebungen interessiert beobachten. Der Versuch, eine konservative Positionsbestimmung mit dem Selbstentwurf der modernen "Großstadtpartei" zusammenzuspannen, ist allerdings zum Scheitern verurteilt. Darüber besteht keine hinreichende Klarheit, weil die Unionsführung Parteipolitik zu lange als System opportunistischer Aushilfen verstanden hat. Was man den Konservativen noch anzubieten hat, sind Placebos.

Günter Bannas hat kürzlich in der FAZ darauf hingewiesen, daß der in der Partei vorherrschende Funktionärstyp keine geistige Selbständigkeit dulde. Man habe den Verlust von etwa 400.000 Mitgliedern seit den siebziger Jahren achselzuckend hingenommen und gehe "mit den Stammwählern um wie Kaufleute, die der Auffassung sind, ihre Kundschaft habe sowieso keine Möglichkeit, sich ein anderes Erzeugnis zu suchen". Es wird entscheidend darauf ankommen, der Union diese Gewißheit zu nehmen.

 

Dr. Karlheinz Weißmann ist Historiker und Studienrat an einem Gymnasium. Die fünfte und letzte Folge dieser JF-Serie lesen Sie in der nächsten JF-Ausgabe 34/07 am 17. August.

Foto: Carl Spitzweg, Es war einmal (Der strickende Vorposten), Öl auf Leinwand, um 1850


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen