© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/07 10. August 2007

Mit dem Gefühl der eigenen Wichtigkeit
Statt kritischer Reflexion bietet der Alt-68er, SPD-Funktionär und heutige PEN-Deutschland-Vorsitzende Johano Strasser nur biographische Selbstgefälligkeiten
Thorsten Hinz

Lebenserinnerungen zu publizieren, erscheint in zwei Fällen sinnvoll: Wenn ihr Verfasser in Politik, Wissenschaft oder Kultur eine exemplarische Bedeutung besitzt oder in unsichtbarer, aber privilegierter Position ein exklusives Wissen erworben hat, das er nun preisgibt. Als öffentliche Figur hat der Politikwissenschaftler Johano Strasser - ehemals Juso-Funktionär und SPD-Vordenker, heute Präsident des deutschen PEN - es bestenfalls zur Semi-Prominenz gebracht. Folglich müßten sich seine Memoiren durch Pikanterie der Fakten und geistigen Tiefgang rechtfertigen.

Strasser, Jahrgang 1939, rechnet sich - mit Einschränkungen - zu den "68ern", allerdings zu den Bedächtigen, Selbstkritischen, die statt auf den revolutionären Umsturz auf die Evolution im Parteienstaat setzten. Daher trat er unter Willy Brandt in die SPD ein. In seiner Juso-Zeit hat er die frühen Hahnen- und Hennenkämpfe späterer SPD-Spitzenpolitiker aus nächster Nähe miterlebt, später war er Mitglied der Grundwertekommission der SPD und nahm in den achtziger Jahren an den Verhandlungen seiner Partei mit der SED teil. Der anspruchsvolle Buchtitel entstammt einem Gedicht - Strasser ist auch Schriftsteller und Lyriker - über den "Heidenspaß / Wenn wir zuweilen die Geschichte / einfach rückwärts laufen ließen". Man lebte im vollen, erhielt Lehraufträge an Hochschulen, ohne eine Habilitation vorweisen zu können - der Bildungssektor expandierte gerade, Geld war genug vorhanden -, das Gefühl der eigenen Wichtigkeit war enorm. Dreimal in der Woche flog Strasser von Berlin, wo er an der Pädagogischen Hochschule arbeitete, zu politischen Terminen nach Bonn, Frankfurt, München oder Hamburg. Die Chance seiner Erinnerungen könnte darin liegen, eine ähnlich scharfsichtige Analyse sozialdemokratischer Vorfeldorganisationen und des einschlägig dominierten Kulturbetriebs vorzulegen, wie Gerd Koenen und Wolfgang Kraushaar sie über die radikallinke und terroristische Szene publiziert haben.

Doch Strasser ist nur ein subalterner Epigone, der stolz berichtet, wie er jahrelang unter einem Dach mit Günter Grass in dessen Haus in Berlin-Friedenau lebte. Seit zwanzig Jahren darf er sich der guten Nachbarschaft von Jürgen Habermas am Starnberger See rühmen. Mit Wärme erinnert er sich an die Demokratisierungs- und Bildungsutopien seiner Politikergeneration. Den "antiautoritären Aufbruch" wollte er wagen, aber wohin? "Die Schüler sollten nach unseren Vorstellungen nicht funktionieren, schon eher sollten sie Sand im Getriebe sein." Das hat ja auch gründlich geklappt.

Kein Wort darüber, daß die von Strasser & Co. angestoßenen Dauerreformen, die die "Bildungskatastrophe" beheben sollten, diese bis zum heutigen Zustand verschlimmert haben. An anderer Stelle erzählt er mit neckischem Stolz, daß er in seiner Juso-Zeit als "Bürgerschreck" plakatiert wurde, um sich dann bitter darüber zu beklagen, daß die Springer-Presse gegen seine Verbeamtung anschrieb. Das Herz des Juso-Kämpfers war halt ein empfindsames - wenn es ums Einstecken ging. Um so großzügiger war man im Austeilen.

In einem unbeholfenen Satz blitzt die Ahnung auf, daß die jungen Götter der Geschichte bloß Wichtigtuer und Dilettanten waren. "Immer deutlicher empfand ich in diesen Jahren die Unzulänglichkeit jener politischen Sprache, in die auch ich verstrickt war, die Scheingewißheiten, die sie vorspiegelte, ihre Anfälligkeit für modische Wendungen, die Kompetenz und intime Sachkenntnis suggerierten, wo allenfalls  vage Vermutungen vorlagen, ihre Oberflächlichkeit und Unwahrhaftigkeit." Jetzt könnte es interessant werden, wenn Strasser darüber reflektieren würde, wie weit er die eigenen Ansprüche und die tatsächlichen Anforderungen der Zeit verfehlt hat, doch er kann die Ahnung nun mal nicht als Einsicht formulieren und analysieren. Die Sprache des arrivierten Systemveränderers entläßt ihn nicht aus ihren Verstrickungen, ihre engen Grenzen markieren bis heute die seiner Gedankenwelt.

1975 reiste der bekennende Kosmopolit mit einer Juso-Delegation in die USA. Beim Abendessen mit einem Gewerkschaftsfunktionär erlebte er, wie beim Tischgebet der Segen Gottes für "dieses auserwählte Volk" erbeten wurde. Strasser machte ihn darauf aufmerksam, daß man in Deutschland über derlei nationalistische Anwandlungen längst hinaus sei, worauf der Amerikaner ihm zur Antwort gab, das verstünde er durchaus, "schließlich hätten wir Deutschen ja auch den Krieg verloren". Strasser kann nur monieren, daß der Gastgeber bei seiner Erwiderung keinerlei Ironie durchblicken läßt. Die Erkenntnis, daß in der nüchternen Feststellung des schlichten Amerikaners  die politische Grundtatsache Deutschlands nach innen und außen beschlossen ist, bleibt ihm bis heute verborgen. Die Weltläufigkeit, die Strasser für sich in Anspruch nimmt, ist eben die des zweitklassigen, intellektualisierenden Gourmets, nicht die des politischen Denkers.

Ein Grundton des Behagens durchzieht das Buch. Johano Strasser lebte und lebt ein sonniges Leben. Wir gönnen es ihm, dankbar müssen wir ihm dafür nicht sein.         

Johano Strasser: "Als wir noch Götter waren im Mai". Erinnerungen. Pendo. München und Zürich 2007, gebunden, 353 Seiten, Abbildungen, 19,90 Euro


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen