© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/07 17. August 2007

Nationale Interessen
EU: Sarkozys Handeln offenbart den Tod der Verfassung
Wolfgang Seiffert

Die Schnelligkeit, mit der Präsident Nicolas Sarkozy darangeht, die nationalen Interessen Frankreichs voranzubringen, mag Politiker anderer EU-Staaten verblüffen. Manche schreckten auch nicht davor zurück, sein Vorgehen als "nicht in der EU abgestimmt" oder "unsolidarisch" abzuqualifizieren. Doch die anläßlich der Freilassung der bulgarischen Krankenschwestern mit Libyen vereinbarte Zusammenarbeit beim Bau eines Atomkraftwerkes oder die Lieferung des Panzerabwehrsystems "Milan" sowie des Tetra-Kommunikationssystems verstößt nicht gegen EU-Vorschriften. Das einst bestehende Waffenembargo ist bereits 2004 aufgehoben worden.

Sarkozy zieht aus dem Scheitern der USA im Irak die Konsequenzen und versucht, eine eigene Nahost- und Afrikapolitik auf den Weg zu bringen. Die Wiederbelebung der "Mittelmeer-Union", zu der auch die Türkei gehören soll, soll diese gleichzeitig aus der EU heraushalten. Sarkozys Eigenständigkeit mag die EU-Bürokratie in Brüssel verärgern, doch sie entspricht sowohl dem geltenden EU-Recht wie dem geplanten "EU-Reform-Vertrag". Nur fällt es offenbar jenen, die das EU-Verfassungskonzept verfolgten, schwer, sich von ihrem "alten Denken" freizumachen. Und selbst manche Gegner dieses Konzepts haben noch nicht begriffen, daß die EU-Verfassung tot ist.

Doch mit den Beschlüssen des EU-Gipfels vom Juli ist das Verfassungskonzept ausdrücklich aufgegeben worden. Im "Reformvertrag", dessen Text im Oktober zur Regierungskonferenz in Lissabon endgültig vorliegen soll, wird ein europäischer Bundesstaat ausgeschlossen. Es wird keine Flagge, keine Hymne und keine EU-Gesetze geben, sondern weiter nur Verordnungen und Richtlinien, die in nationales Recht umgesetzt werden müssen.

Nach dem Subsidiaritätsprinzip ist bei jeder EU-Maßnahme zu prüfen, ob diese für die entsprechende Problematik überhaupt eine Kompetenz besitzt und wenn ja, ob die Lösung wirklich nur durch die EU und nicht besser auf nationaler Ebene zu bewältigen ist. "Nach Inkrafttreten des Reformvertrages, so wie er sich jetzt abzeichnet, wird es ... keine wesentlichen Änderungen in bezug auf die Souveränität der Mitgliedsstaaten geben", erklärte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, in der FAZ.

Sarkozy handelte im Rahmen der Souveränität Frankreichs und des geltenden wie des kommenden EU-Rechts. Das gilt übrigens auch - bei aller Fragwürdigkeit mancher Argumentation - für das Auftreten Polens. Im nationalen Interesse zu handeln - dieses Recht wird in der EU wieder stärker von allen Mitgliedsstaaten wahrgenommen werden müssen, wollen sie nicht auf der Verliererseite landen. Angesichts dessen hat die EU nur eine Zukunft, wenn sie sich auf ihre eigentliche Funktion als eine Organisation wirtschaftlicher Zusammenarbeit besinnt und ihre institutionellen Strukturen darauf ausrichtet.

 

Prof. Dr. Wolfgang Seiffert ist Völkerrechtler. Er war Direktor des Instituts für osteuropäisches Recht in Kiel. Später lehrte er am Zentrum für deutsches Recht der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen