© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/07 17. August 2007

Fauler Zauber auf unseren Tischen
Lebensmittelindustrie: Das Buch "Futter fürs Volk" rechnet mit einem ganzen Industriezweig ab / Mehr Verbraucherschutz nötig
Fabian Schmidt-Ahmad

Tischgebete sind bei den meisten Deutschen heute weitgehend aus der Mode gekommen. Es ist vielleicht auch gut so. Denn so vermeidet man besser Gedanken über die Herkunft dessen, was der durchschnittliche Bundesbürger tagtäglich verzehrt. Denn mit Rindern und sattem Weidegrün, Feldfrüchten auf duftendem Ackerboden, Bienen über Blumenwiesen oder pickenden Hühnern vor malerischer Hofkulisse hat all das, was auf unsere Eßtische kommt, nichts mehr zu tun.

Statt dessen müßte sich der Bürger mit allerlei unappetitlichen Dingen moderner Nahrungsmittelproduktion auseinandersetzen. Entsprechend groß ist die kulturelle Amnesie. Wenn Kinder in Grundschulen lila Milchkühe malen, so liegt das nicht nur an der pädagogischen Omnipotenz der Werbung, sondern daran, daß es die Eltern häufig kaum noch besser wissen.

Ein Aufklärungsbuch, das über die Hintergründe moderner Nahrungsmittelproduktion und ihre Alternativen informieren möchte, ist "Futter fürs Volk", welches bereits 2001 erschien (JF 23/01) und nun in einer Neuausgabe veröffentlicht wurde. Die Autoren Volker Angres, Claus-Peter Hutter und Lutz Ribbe beleuchten hier in Form einer Reportage die wichtigsten Aspekte des Themas. Dies macht zum einen die Stärken, aber auch die Schwächen des Buches aus. Zu ersteren gehört, daß es flüssig, spannend und allgemeinverständlich geschrieben ist.

Leider gleiten die Autoren dabei häufig in eine etwas reißerische Umgangssprache ab ("denkste"), die eigentlich gar nicht nötig wäre. Denn der Inhalt bietet genug Sprengstoff. Beispielsweise wie ganz legal mit Dioxin verseuchtes Tiermehl verfüttert werden darf. Oder das - eigentlich ausgeschlossene - art­übergreifende "Springen" gentechnischer Mutationen. Interessant ist auch die Parallelisierung des massiven Einsatzes von künstlichen Aromastoffen mit  dem daraus resultierendem Übergewicht - sowohl in der Viehmast als auch in menschlicher Nahrung. Ein Thema, das 2001 kaum beachtet wurde.

Locker verbinden die Autoren verschiedene Themen wie das lebensmitteltechnisch standardisierte Fertigessen (Convenience Food/CF), die gängige Praxis in den in ihrer Existenz ungefährdeten Hühnerlegebatterien und vieles mehr in einer Mischung aus eingängigen Erlebnisberichten, Gesprächen mit Fachleuten und eigenen Analysen.

Die in dem Buch auch thematisierte massive Qualitätsveränderung von Molkereiprodukten dürfte künftig übrigens rasant zunehmen - die kürzlich erfolgte Milchpreiserhöhung von bis zu 50 Prozent wird wohl eine Reihe von billigen "Ersatzstoffen" nach sich ziehen. Denn nur so können die Molkereien die von Aldi, Lidl & Co. verlangten Billigpreise ermöglichen. Aber daß in Erdbeerjoghurt nicht unbedingt Erdbeeren und in Himbeereis kaum Himbeeren enthalten sind, hat die pfennigfuchsenden Verbraucher, die bei der PS-Stärke ihres Autos weniger geizig sind, bislang wenig gestört. Zudem konnte seit den fünfziger Jahren die Milchleistung pro Kuh von 2.600 auf über 5.700 Kilogramm erhöht werden. Aber zu dem Preis, daß die Lebenserwartung einer Kuh fast um drei Viertel auf vier Jahre sank und die Milch heute eigentlich nur noch durch ihre Farbe an früher erinnert.

Hilfreich bei den Lebensmittel-Recherchen war sicherlich, daß einerseits mit Angres der langjährige Redaktionsleiter für Umwelt beim ZDF, andererseits mit Hutter und Ribbe Präsident beziehungsweise umweltpolitischer Leiter der Stiftung Europäisches Naturerbe  die Autorengruppe bilden. Im Gegensatz zur Ausgabe von 2001 kann das Buch nun auch als Resümee von sieben Jahren rot-grüner Bundespolitik gelesen werden. Bezeichnenderweise können die Autoren, obwohl ihre Kritik sehr verhalten ausfällt, die schon vor Jahren aufgezeigte Entwicklung nahtlos weiterführen. Womit sie erneut indirekt das Bild der Grünen als umweltpolitische Versager bestätigen (JF 41/05): Renate Künasts versprochene "Agrarwende" war ähnlich schwach wie die "geistig-moralische" Helmut Kohls von 1982/83.

Konnte das Buch 2001 noch als "Handbuch für eine Verbraucherschutzbewegung" unbedingt empfohlen werden, so fällt heute der Blick differenzierter aus. Als Fazit bleibt ein informatives Buch für den Einstieg. Vielfältige Themen werden angeschnitten und in ihrer Bedeutung knapp umrissen.

Hilfreich ist hier der umfangreiche Anhang mit den Adressen staatlicher Umweltämter und privater Organisationen. Wer sich allerdings bereits Kenntnisse erarbeitet hat und auch an bestimmten Themen stärker interessiert ist, sollte auf spezialisierte Ratgeber zurückgreifen. Eine Entwicklung, welche die Autoren zweifelsohne begrüßen - ist deren Existenz doch alleine schon Ausdruck eines sich allmählich wandelnden Bewußtseins. Zu dieser Wandlung wiederum haben auch die Autoren ihren Teil beigetragen.

Volker Angres, Claus-Peter Hutter, Lutz Ribbe: Futter fürs Volk. Was die Lebensmittelindustrie uns auftischt, aktualisierte Neuausgabe, Knaur Taschenbuchverlag, München 2006, kartoniert, 400 Seiten, 8,95 Euro.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen