© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/07 24. August 2007

Warten auf die Welle
Antidiskriminierungsgesetz: Öffentlichkeitsoffensive geplant / Verbände bieten Betreuung an / Opfer des SED-Regimes legt Beschwerde ein
Marcus Schmidt

Martina Köppen steckt in der Zwickmühle. Zum einen will die Leiterin der neugeschaffenen Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) den Bürgern - und vor allem der Wirtschaft - die Angst vor dem Allgemeinen Gleichstellungsgesetz nehmen, zum anderen muß sie für genügend "Kundschaft" für ihre Behörde sorgen.

Nein, sagte sie daher in der vergangenen Woche anläßlich einer ersten Bilanz des seit einem Jahr geltenden Gesetzes, sie sei nicht überrascht, daß die von manchen Kritikern vorhergesagte  und befürchtete Klagewelle bislang ausgeblieben sei. "Das wird sich nach meiner Ansicht auch nicht ändern", erklärte Köppen, als wollte sie sagen: Seht her, es ist alles gar nicht so schlimm.

Im nächsten Atemzug kündigte die  49 Jahre alte Juristin allerdings an, daß sie eine der wichtigsten Aufgaben ihrer immer noch im Aufbau befindlichen Antidiskriminierungsstelle darin sehe, die Öffentlichkeit über das Gleichstellungsgesetz zu informieren. Denn bislang hält sich der Ansturm auf die Behörde, die den Betroffenen bei der Durchsetzung ihrer Rechte helfen soll, tatsächlich in engen Grenzen. Ganze 2.340 Mal haben sich in den vergangenen Monaten Bürger, die wegen Alter, Behinderung, Rasse oder sexuellen Neigung diskriminiert wurden, an die ADS gewandt.

Bei den allermeisten blieb es bei einem Anruf oder einer E-Post, lediglich in 604 Fällen wurde die Behörde mehrfach um Rat gefragt. Sorge bereitet Köppen vor allem, daß es sich bislang nur bei 14,85 Prozent der Beschwerden um Diskriminierungen wegen der ethnischen Herkunft oder der Rasse gehandelt hat. Ein Wert, mit dem die Behördenleiterin nicht zufrieden ist, denn sie kündigte an, daß sich die Öffentlichkeitsoffensive gerade auch auf dieses Gebiet konzentrieren werde: So plane die Antidiskriminierungsstelle, ihre Internetseite in mehreren Sprachen anzubieten. Bislang verfügt die ADS trotz eines Jahresetats von 2,8 Millionen Euro freilich nicht einmal über eine entsprechende Internetseite auf deutsch.

Statt dessen wurde jetzt eine Studie in Auftrag gegeben, die die Einstellungen der Bevölkerung zum Thema Diskriminierungen untersuchen soll. Während die Antidiskriminierungspolitik in "jungen Milieus" zur "Normalität einer demokratischen Gesellschaft" gehöre, so erste Ergebnisse, betrachte die "bürgerliche Mitte" Antidiskriminierungspolitik als überflüssig und vertrete die Meinung, daß das Problem der Diskriminierung in der Gesellschaft "total überschätzt" werde. Doch Martina Köppen und ihre Antidiskriminierungsstelle, deren Existenz mit dieser  Einschätzung in Frage gestellt wird, weiß Abhilfe: "Aufklärung und Sensibilisierung für Diskriminierung müssen gerade dort ansetzen, wo noch wenig Wissen und Verständnis herrscht."

Es gehört angesichts der geplanten Öffentlichkeitsoffensive nicht viel Phantasie zu der Vorhersage, daß die Zahl der Beschwerden und damit vermutlich auch die der Klagen bald rasant ansteigen dürften. Schon jetzt warnen Rechtsanwälte, die sich auf das Antidiskriminierungsgesetz spezialisiert haben, vor einer Zunahme  entsprechender Prozesse.

Zumal mittlerweile auch mehrere private Antidiskriminierungsverbände in Stellung gegangen sind. Sie bilden für Menschen, die der Ansicht sind, sie seien im Sinne des Gesetzes diskriminiert worden, neben der staatlichen Behörde die zweite Anlaufstelle. So hat sich etwa der Deutsche Antidiskriminierungsverband dem europaweiten Kampf gegen Diskriminierungen verschrieben und unterstützt vermeintliche Opfer.

Köppen hat derweil einen Pakt mit der Wirtschaft angekündigt, der die immer noch skeptischen Unternehmen vom Segen des vielfach kritisierten Gesetzes überzeugen soll. Ein gewaltiges Stück Arbeit, hat das Gesetz der Wirtschaft einer aktuellen Studie zufolge doch bereits Kosten in Höhe von 1,7 Milliarden Euro verursacht.

Auszahlen könnte sich das Gesetz dagegen für Opfer des SED-Regimes. Da er bislang nicht in den Genuß einer Opferrente gekommen ist, hat ein Betroffener nun Beschwerde wegen Diskriminierung eingereicht: ein weiterer Fall für Martina Köppen.


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