© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/07 24. August 2007

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Weitsicht
Karl Heinzen

Immer wieder ist Roland Koch mit dem Vorwurf konfrontiert worden, daß er durch primitive populistische Parolen und intrigante Methoden hart an der Grenze der Legalität die politische Kultur unseres Landes unterminiere. Wie haltlos diese Bezichtigungen waren, zeigt allein schon die Tatsache, daß sie nicht ausreichten, um ihn in seinem Amt als Ministerpräsident Hessens ernsthaft zu gefährden. Es dürfte ihm daher eine gewisse Genugtuung bereitet haben, eine derartige Anschuldigung nun seinerseits gegen einen politischen Gegner erheben zu können. In einem Interview mit der Bild-Zeitung wirft er Oskar Lafontaine vor, ein Land zu predigen, "in dem nur noch Milch und Honig fließen" würden. In Wahrheit aber gäbe es bei ihm, ganz so wie in der untergegangenen DDR, "nur Wasser und Brot".

Auf den ersten Blick mag es natürlich so scheinen, als wäre jemand, der einfach nur die Hoffnung zum Ausdruck bringt, daß sich mehr Wohlstand auch für breite Bevölkerungsschichten verwirklichen ließe, nicht notwendigerweise gleich eine Gefahr für die innere Ordnung unseres Landes. Im Falle von Oskar Lafontaine muß es jedoch als naiv angesehen werden, diese Unschuldsvermutung anzuwenden. Man würde dabei außer acht lassen, daß dieser Demagoge unsere Marktgesellschaft und ihre Gesetzmäßigkeiten sehr gut kennt und daher ganz genau weiß, was möglich ist und was nicht. So müßte ihm sehr wohl bewußt sein, daß Prosperität nun einmal ihren Preis hat: Die Reichen werden reicher und die Armen halt ärmer. Anders sind Wachstum und Beschäftigung nicht zu haben.

Roland Koch wäre jedoch nicht der mitfühlende Konservative, als der er sich profiliert hat, wenn er nicht auch einen Hauch von Barmherzigkeit für Oskar Lafontaine aufbrächte. Dieser ist nämlich in die Fänge von altkommunistischen SED-Kadern geraten, aus denen er sich und die Linkspartei nun befreien muß, wenn sich Mauer und Schießbefehl nicht wiederholen sollen. Was Koch umtreibt, ist allerdings nicht nur die Sorge um Deutschland, sondern auch das weitsichtige Bemühen um eigene Handlungsoptionen in ferner Zukunft. Seine Alleinherrschaft in Hessen neigt sich dem Ende zu, er muß nach möglichen Koalitionspartnern Ausschau halten. Eine vom DDR-Ballast befreite Linkspartei könnte zwar noch nicht 2008, vielleicht aber später ein solcher Verbündeter sein.

Für eine CDU, die ihr soziales Gewissen neu entdeckt, verspricht dies eine echte Alternative zu allen anderen Koalitionen zu werden, in denen sie zur Umsetzung neoliberaler Programme verdammt wäre.


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