© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/07 24. August 2007

Frommer Niedergang
Im Wandel der Zeit: Gebetsstätte Wigratzbad
Jochen Schmitt

Wigratzbad ist ein kleiner Weiler in der Gegend von Wangen im Allgäu, der für traditionsorientierte Katholiken besondere Bedeutung hat. Seit 1938 finden dort - nur durch die Kriegsjahre unterbrochen - in einer Kapelle Gebets- und Sühnenächte statt. Als Ende der 1960er die Umsetzung der Reformen des Konzils begann, wuchs die Zahl der Pilger so stark, daß man eine weitere Kapelle, die große Sühnekirche und ein geräumiges Exerzitienhaus bauen konnte.

Der Ort war ein Anziehungspunkt, weil dort der "alte Glaube" und die überlieferte Frömmigkeit praktiziert wurden, während man in den Pfarreien die feierliche Liturgie samt Kircheneinrichtung profanisierte. Als dem Kirchenvolk die sogenannten neuen geistlichen Lieder präsentiert und deswegen die zu Herzen gehenden Marienlieder wie die Marienfrömmigkeit insgesamt zurückgedrängt wurden, blieb man in Wigratzbad beim Bewährten. Außerdem wirkte dort mit dem Passionistenpater Johannes Schmid lange Jahre ein Geistlicher mit einer tiefen Spiritualität, wie sie auch früher nur selten zu finden war.

Inzwischen jedoch ist auch in der Gebetsstätte Wigratzbad ein "neuer Geist" eingezogen. Deutlich wird dies nicht zuletzt an der Glaubenshaltung vieler Exerzitienmeister und Festprediger, wie sie in dem zweimonatlich erscheinenden Heft Wigratzbad aktuell angekündigt werden.

So halten indische Ordensgeistliche "charismatische Heilungsexerzitien", bei denen Gläubige während des Segens regelmäßig - angeblich vom Heiligen Geist bewirkt - nach hinten umfallen. Selbst im evangelisch-freikirchlichen Raum, wo diese "Spiritualität" entstanden ist, sind derartige Praktiken umstritten. Ähnliches gilt für Pater Jörg Müller, Psychotherapeut und ebenfalls Charismatiker, der kirchlich nicht anerkannte "Marienerscheinungen" propagiert. Zudem hält laut Ankündigung eine Eremitin Exerzitien, in denen die Verehrung eines russisch-orthodoxen Heiligen praktiziert wird, was Katholiken nicht erlaubt ist, zumal die einzelnen orthodoxen Kirchen nicht einmal gegenseitig alle Heiligsprechungen anerkennen.

Insgesamt zeigt die Lektüre von Wigratzbad aktuell, daß die Stätte keine Reise mehr wert ist.

Internet: www.gebetsstaette.de


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