© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/07 31. August 2007

Der Präsident und der U-Boot-Kommandant
Geschichtspolitik: Ein kleines Dorf in Brandenburg benennt eine Straße nach dem DDR-Staatsoberhaupt Wilhelm Pieck und wundert sich über Kritik
Marcus Schmidt

In der DDR schmückte sich jede größere Stadt mit einer Straße, die den Namen Wilhelm Piecks trug, des ersten und zugleich auch einzigen Präsidenten des untergegangenen Arbeiter- und Bauernstaates. Der Sturz des SED-Regimes und die anschließende Umbenennung zahlreicher Straßen hat nur einige wenige übriggelassen. Eine Stichprobe im Internet ergab, daß es in Mitteldeutschland derzeit noch mindestens zehn Wilhelm-Pieck-Straßen und einen -Weg gibt. Der Ort Bregenstedt in Sachsen-Anhalt leistet sich zudem noch eine Allee, um an Pieck zu erinnern. Die "Dunkelziffer" dürfte indes weit höher sein.

Seit einigen Wochen kann der Liste ein weiterer Eintrag hinzugefügt werden: Das kleine Dorf Zechin in Brandenburg hat die bisherige Hauptstraße in Wilhelm-Pieck-Straße umbenannt. Begründung: In dem Amt Golzow, zu dem das Dorf im Oderbruch gehört, gebe es mehrere Hauptstraßen, teilte der parteilose Bürgermeister des Ortes, Roberto Thiele, mit. Daß die Wahl ausgerechnet auf Pieck gefallen ist, erklärt der Bürgermeister mit der Geschichte des Ortes. In seiner Jugend habe der Kommunist und spätere SED-Politiker als Wandergeselle einige Wochen in einer Tischlerwerkstatt im Ort gearbeitet. Zwischen 1966 und 1989 habe es daher in Zechin sogar eine kleine Pieck-Gedenkstätte gegeben.

Kein Verständnis für die Namenswahl hat hingegen die Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS). Der Beschluß der Gemeinde zeuge von einem erheblichen Mangel an Wissen um den Unrechtscharakter der DDR, teilte der Verband mit. Gerade in der Amtszeit Wilhelm Piecks, der von 1949 bis zu seinem Tode im Jahr 1960 Staatsoberhaupt war, habe es in der DDR viele politische Opfer gegeben. Es wäre daher besser gewesen, hätte man in dem Dorf eine Straße nach einem ehemaligen politischen Gefangenen benannt.

Pieck der nach dem Ersten Weltkrieg zu den Mitbegründern der Kommunistischen Partei Deutschlands gehörte, lebte und überlebte zwischen 1935 und 1945 - und damit in der Hochzeit des stalinistischen Terrors in der Sowjetunion - in Moskau. Zahlreiche andere KPD-Mitglieder, die sich ebenfalls nach Moskau geflüchtet hatten, kamen während der Säuberungen Stalins ums Leben. Nach dem Krieg trieb Pieck die Zwangsvereinigung von KPD und SPD voran. Zusammen mit Otto Grothewohl wurde er schließlich zum ersten Vorsitzenden der SED gewählt.

Der Streit um die Straßenumbenennung erinnert an einen Fall, der wenige Wochen zurückliegt und der sich nur wenige Kilometer von Zechin, in der Stadt Seelow, zugetragen hat. Dort, im Ortsteil Werbig, mußte nach heftigen Medienprotesten die Benennung einer Straße nach dem Ritterkreuzträger und U-Boot-Kommandanten Günther Seibicke wieder rückgängig gemacht werden (siehe auch den Artikel auf Seite 10). Für die Gegner der Umbenennung war es unerträglich, daß eine Straße den Namen eines "Nazi-Soldaten" trägt. Einen gewichtigen Unterschied gibt es übrigens zwischen den beiden Fällen: Anders als Pieck stammte Seibicke aus dem Ort, der ihn mit einem Straßennamen ehren wollte.


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