© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/07 31. August 2007

Autoritärer Führungsstil und soziale Fürsorge
Polen: Die PiS von Premier Kaczynski ist bei Neuwahlen nicht chancenlos / Mit dem Kampf gegen Korruption punkten
Andrzej Madela

Die Ereignisse überstürzen sich, seitdem Premier Jarosław Kaczyński seinen unter Korruptionsverdacht stehenden Vize Andrzej Lepper gefeuert hat. Was noch am 9. Juli als mittelschweres Gerangel lediglich zweier in die Jahre gekommener Vollblutpolitiker aussah, wächst sich seitdem zu einem Großkampf aus. Am 13. Juli beschließen die kleinen Koalitionäre von Kaczyńskis sozialkonservativer PiS - die bäuerlich-linkspopulistische Samoobrona und die nationalkatholisch-rechte LPR - einen Zusammenschluß zur neuen Partei LiS (Liga i Samoobrona).

Am 30. Juli folgt schließlich der erste große Paukenschlag: Bei einem Treffen der regierenden Sejm-Fraktionen stellt die LiS eine strikte Einhaltung des Koalitionsvertrages nur unter der Bedingung in Aussicht, daß eine parlamentarische Untersuchungskommission die Umstände der Entlassung von Samoobrona-Chef Lepper klärt. Kaczyński lehnt ab und setzt als neuen Agrarminister einen PiS-Mann ein. Am 5. August erklärt die LiS, die Regierungskoalition existiere nicht mehr, am 13. des Monats erhalten die LiS-Minister ihre Entlassungsurkunden.

Als fünf Tage zuvor auch Innenminister Janusz Kaczmarek (treuer Gefolgsmann des Premiers) plötzlich seines Postens enthoben wird (Kaczyński vermutete, er sei die undichte Stelle), ist der Jubel bei der Opposition riesig. Kaczmarek, den der Amtsverlust mitten in seinem Italien-Urlaub überrascht, reist unverzüglich nach Warschau, stellt sich dem Parlamentsausschuß für Geheimdienste als Zeuge zur Verfügung und trifft dort Aussagen, die sowohl Kaczyński als auch Justizminister Zbigniew Ziobro (PiS) schwer belasten. Die am 24. August in einer nichtöffentlichen Sejm-Sitzung vorgetragenen Protokolle müssen selbst auf die PiS-Fraktion erschütternd gewirkt haben: Machtmißbrauch, Einsatz von Geheimdiensten zur Ausschaltung politischer Gegner, forcierte Tätigkeit der Staatsanwaltschaft zur Niederhaltung der Opposition. Diese fordert die sofortige Entlassung Ziobros.

Am 7. September soll es nun zur Selbstauflösung des Sejm kommen, wie es zwischen Staatspräsident Lech Kaczyński und Oppositionsführer Donald Tusk von der wirtschaftsliberalen PO vereinbart wurde. Kommt dies nicht zustande, wird die Regierung zurücktreten und so den Weg für Neuwahlen frei machen. Und dann ist die PiS keineswegs chancenlos. Sie wird vor allem mit dem punkten, was sie schon zwei Jahren mit knapp 27 Prozent stärkste Partei (JF 40/05) werden ließ: mit dem erbarmungslosen Kampf gegen die schleichende Korruption.

Die war nämlich das dominante Phänomen unter Kaczyńskis linksliberalen und postkommunistischen Amtsvorgängern. Hier hat er - bei aller Kritik an seiner autoritären Amtsführung - in der Tat etwas erreicht. Der Masse der vorwiegend provinziellen PiS-Wähler­klientel ist es gleichgültig, mit welchen Mitteln man der Korruption zu Leibe rückt - Hauptsache, es geschieht.

Auch im Gesundheits-, Familien und Bildungsbereich kann die Regierung Erfolge vorweisen, ebenso beim Wohnungserwerbsrechts oder der Reform der Staatsverwaltung. Und sechs Prozent Wirtschaftswachstum hält sich die PiS-Regierung ebenfalls zugute.

Autoritärer Führungsstil und soziale Fürsorge, starker Rechtsstaat und erträglicher Lebensstandard für das untere Gesellschaftsdrittel sind Wahlkampflosungen, mit denen die PiS punkten kann. Sie sprechen die Wähler ihrer Ex-Koalitionäre (insbesondere der Samoobrona), aber auch die "einfachen" Anhänger der Postkommunisten an, denen zwar Kaczyńskis übereifriger Antikorruptionsminister Ziobro nicht aus dem Sinn geht, zugleich aber auch der Gedanke eines sozialfürsorgenden Staats nicht fremd ist. Es ist beim bevorstehenden Wahlkampf gut möglich, daß ein Teil des linken, sozial-etatistisch eingestellten Wählerpotentials auf die PiS umschwenkt. Denn im Polen der Nachwende-Ära bedeuten Parteibindungen nicht viel. Echte Volksparteien sind erst im Entstehen.

Die PiS mag in der heute von nüchterner Sachlichkeit bestimmten Parteienlandschaft wie ein Zwitter erscheinen. Sie ist einerseits modern organisiert, mit schlankem, aber effizientem Apparat, sie unterhält gut ausgestattete Büros und ist von den gleichen Zwängen des realpolitischen Tageskampfes bestimmt wie ihre Konkurrenz. Andererseits ist sie - und das ist das Novum in der polnischen Parteiengeschichte nach 1989 - die einzige nichtlinke Volkspartei, die den Gedanken des "Wohlstands für alle" nicht bloß in Sonntagsreden verkündet. Daß dieser Wohlstand vom Staat geregelt und gefördert werden soll, ist eine Idee, die die PiS wie ein Relikt der späten sechziger Jahre wirken läßt. Die Verbindung von Fürsorge und autoritärer Staatsführung tut ihr übriges. Die meisten PiS-Wähler wollen den sozialen Gedanken nicht der Linken überlassen, und ihnen ist eine emotionale Bindung an ihre politische Heimat wichtiger als eine bloß sachlich-rationale Übereinstimmung.

Und auch das beim "einfachen Volk" beliebte nationalkatholisch-rechte Radio Maryja (JF 18/06) des Redemptoristen-Pater und Medienunternehmers Tadeusz Rydzyk dürfte - trotz zeitweiliger Verstimmung wegen einer Lech-Kaczyński-kritischen Rede - auch diesmal wieder für die PiS "werben": Die früheren Radio-Maryja-Moderatorinnen Anna Sobecka und Gabriela Masłowska (Ex-LPR) sollen auf der PiS-Liste wieder in den Sejm einziehen.

Die im Westen erhoffte und von Umfragen prognostizierte Sejm-Mehrheit aus PO und Postkommunisten ist daher keineswegs sicher - 2005 landete die mit 40 Prozent gehandelte PO bei 24,1 Prozent und die postkommunistische SLD bei 11,3 Prozent. Und sollte die PiS dennoch verlieren: Präsident Lech Kaczyński bleibt bis 2010 im Amt.


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