© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/07 07. September 2007

Erst nach Brüssel, dann nach London
Schottland: Neue linksnationale Regierung von Alex Salmond macht ernst mit ihrem versprochenen Unabhängigkeitskurs
Martin Schmidt

Es war klar, daß das Ergebnis der schottischen Parlamentswahl vom 3. Mai die politische Landschaft Großbritanniens nachhaltig verändern würde. Die Abstrafung der in Schottland bis dato ein halbes Jahrhundert lang regierenden Labour Party und die Regierungsbildung durch die linksnationale Scottish National Party (SNP) markiert eine Zäsur (JF 20/07). Vor allem bedeutet sie zum 300. Jubiläum des "Act of Union" (des Zusammenschlusses Englands und Schottlands zum Vereinigten Königreich) eine weitere nachdrückliche Schwächung dieser Union.

Zwar hatten die SNP-Wahlkämpfer für den Fall ihrer Machtübernahme eine Volksabstimmung zur Unabhängigkeit zum Ende der Legislaturperiode angekündigt. Doch daß der neue Erste Minister und SNP-Chef Alex Salmond mit der Umsetzung seines schottischen Nationalismus in konkrete Politik derart schnell beginnen würde, damit hatte kaum jemand gerechnet. Seine von hervorragenden Umfragewerten zehrende Minderheitsregierung legte bereits drei Monate nach dem Wahlerfolg ein "Weißbuch" für die Unabhängigkeit Schottlands vor, das es in sich hat.

Während die anderen großen "britischen" Parteien Labour, Tories und Liberaldemokraten das 1999 von London zugestandene Regionalparlament mit eigener Budgethoheit und Befugnissen für das Gesundheits-, Verkehrs- und Bildungswesen, die Justiz und Polizei sowie die Sozialpolitik, die Wirtschaftsentwicklung, die Umwelt- und Landwirtschaftspolitik bislang für ausreichend hielten, bekennt sich die SNP hartnäckig zu einer "echten" Unabhängigkeit.

Mit dem von den Chefs aller drei rivalisierenden großen Parteien mitunterzeichneten Positionspapier vom 13. August ist nun eine Diskussion über die Ausweitung des schottischen Selbstbestimmungsrechtes in Gang gekommen. Schon jetzt ist es der SNP-Regierung damit gelungen, die politischen Koordinaten zu verändern: An die Stelle der alten Grundsatzdebatte über das Für und Wider etwaiger Kompetenzerweiterungen für die Regierung in Edinburgh ist jetzt der Streit darüber getreten, welche Befugnisse es im einzelnen auszubauen gelte. Schon wird beispielsweise am Aufbau eines eigenen Staatsdienstes (civil service) für Schottland gearbeitet.

Das Weißbuch trägt den Titel "Choosing Scotland's Future. A National Conversation - Independence and responsibility in the modern world" ("Über Schottlands Zukunft entscheiden. Ein nationales Gespräch: Unabhängigkeit und Verantwortung in der modernen Welt"). Es ist sachlich und konziliant im Ton, ohne - wenn es um die Position der Regierung geht - vom Endziel der Unabhängigkeit abzurücken.

Charakteristisch für diese mit viel politischem Geschick gepaarte Haltung der Regierung Salmond ist das Zitat am Anfang des über 40seitigen Dokuments. Es stammt von dem nationalgesinnten irischen Politiker Charles Stewart Parnell (1846-1891) und lautet: "Niemand hat ein Recht, dem Aufbruch einer Nation Grenzen zu setzen, niemand hat ein Recht, seinem Land zu sagen, So weit sollst du gehen und nicht weiter."

In gesellschaftspolitischen Fragen verfolgt die SNP laut herkömmlichem Schubladendenken eher "linke" Ziele. In ihrer noch kurzen Regentschaft hat sie bereits eine Reihe sozialer Projekte in Angriff genommen: Rücknahme der umstrittenen Rezeptgebühren für Kranke, Abschaffung von Hochschulgebühren für schottische Studenten (während englische Studenten bezahlen müssen) oder die Einrichtung zusätzlicher kostenfreier Kindergartenplätze.

Salmonds Partei ist in der komfortablen Lage, die Themen der öffentlichen Auseinandersetzung und nicht selten sogar deren Sprachregelungen vorgeben zu können. Apropos Sprache: Seit der 53jährige Alex Salmond im Edinburgher Bute House amtiert, ist statt von "schottischer Exekutive" nur mehr von "schottischer Regierung" die Rede, aus Ministern wurden "Kabinettssekretäre", und das Finanzministerium (Finance Department) dürfte demnächst "schottisches Schatzamt" (Scottish Treasury) heißen. Begriffe machen hier Politik und schärfen die auch sonst eifrig geförderte Emanzipation von England.

Als kluger Schachzug könnte sich die ausgesprochen EU-freundliche Positionierung des neuen Regierungs­chefs erweisen, der noch vor seinem Antrittsbesuch in London in Brüssel eine demonstrative Rede über die Rolle Schottlands in Europa hielt. Damit warb er um internationale Zustimmung für eine mögliche Unabhängigkeit, was angesichts des bekanntermaßen EU-skeptischen Haltung Englands nicht ohne Echo bleiben dürfte. Darüber hinaus besuchte Salmond bereits zweimal die nordirische Hauptstadt Belfast, so daß Beobachter vom Aufbau einer "keltischen Achse" sprechen, die Schottland, Wales und Nordirland ermöglichen soll, Druck auf London auszuüben.

Der Siegeszug der schottischen Nationalisten darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Weg zur Unabhängigkeit noch steinig ist. So fehlt es bisher an der parlamentarischen Mehrheit im eigenen Land, schließlich bedeuteten die im Mai errungenen 47 Mandate zwar ein sattes Plus von 20 Sitzen gegenüber der vorangegangenen Wahl, doch von den für eine absolute Majorität erforderlichen 65 Abgeordneten ist man noch weit entfernt.

Auch auf europäischer Ebene bahnen sich mittelfristig Schwierigkeiten an. Denn ein Aufnahmebeschluß durch die EU-Mitgliedsstaaten müßte einstimmig erfolgen, und es ist alles andere als klar, ob mit Separationsbestrebungen im eigenen Staat beschäftigte Länder wie Spanien (Baskenland) diesem Ansinnen zustimmen würden. Einstweilen sind die Zentralisten und Anti-Nationalisten an Forth und Clyde aber eindeutig in der Defensive, während die SNP-Regierung von der Aura demokratischer Fortschrittlichkeit umgeben ist und ein ums andere Mal punkten kann.

Das neue Schottland-Weißbuch "Choosing Scotland's Future. A National Conversation" im Internet: www.scotland.gov.uk/Resource/Doc/194791/0052321.pdf


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