© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/07 07. September 2007

CD: Rock/Folk
Verweigerungen
Georg Ginster

Die Erinnerung an Kurt Cobain ist längst verwittert, der Totenkult um einen der wenigen, die so konsequent waren, die Mahnung der Altvorderen von The Who zu beherzigen und zu sterben, bevor sie alt wurden, ist aus der bloß musealen Phase schon in jene eingetreten, in der seine letzten Tage zum zeitlosen, allgemein menschlichen Drama verkitscht werden. Wer zu seinen Lebzeiten von ihm ergriffen wurde, hat seine Riester-Rente beizeiten abgeschlossen und steht nun vor der schwierigen Abwägung, ob es besser ist, das Hier und Jetzt zu genießen oder auch noch der Rürup-Verlockung zu erliegen.

Da ergreift jemand das Wort, der, obwohl noch gar nicht so tief in den Vierzigern, zu den Ahnen von Nirvana gehört und, so sagt jedenfalls die Legende, sogar beinahe vom Schicksal an das Schlagzeug des epochemachenden Quartetts aus Seattle gesetzt worden wäre. Joseph Donald Mascis Junior, als Künstler unter J Mascis firmierend, hat die Bande zu seinem einstigen Feind und Weggefährten Lou Barlow erneuert und mit dem alten Drummer als Drittem im Bunde Dinosaur Jr. wiedererstehen lassen.

Das Ergebnis ist das Album "Beyond" (PIAS), das in beängstigender Weise den Soundtrack einer Alterskohorte fortschreibt, die sich wenigstens für eine Weile nicht auf Leistung festlegen, sondern einfach nur dem Bedürfnis freien Lauf lassen wollte, mit Verachtung für all das, was als Lebensglück ausgegeben wird, nicht hinter dem Berg zu halten. So etwas klingt ein wenig rotzig, manchmal auch aggressiv natürlich und vor allem irgendwie unfertig, ohne deshalb gleich dem Versuch ausweichen zu wollen, eingängig zu sein, denn das wäre ja elitär und schon wieder ein Korsett gewollter Unhörbarkeit, in das man sich hineinzwängen würde.

So kultiviert Dinosaur Jr. weiterhin das Markenzeichen, sich in wohldosierte Gitarrensoli vorzuwagen, obwohl diese doch in der reinen Lehre des Punk als etwas zu Überwindendes zu gelten hatten. Wo sowieso alles gleichzeitig präsent ist und der Markt es zuläßt, daß so viele Idole der Jugendkultur die Bühne nicht einmal im Greisenalter räumen, fällt es schwer, Dinosaur Jr. als unzeitgemäß zu diskreditieren, nur weil sie immer noch so sind, wie sie wohl schon 1983 waren.

Ein Jahr nach ihrem Debüt erblickte Willy Mason das Licht der Welt. Heute ist er mit gerade einmal knapp 23 Jahren schon so unmodern, als wäre er mit Arlo Guthrie, die Gitarre auf dem Rücken, aus der Schule abgehauen, um der Musterung für den Vietnam-Krieg zu entgehen. Sein Metier ist somit das altehrwürdige Songwriting, sein Genre der Folk, der gelegentlich, aber wirklich nur gelegentlich den Peinlichkeiten des Country nicht auszuweichen vermag. Wo er standhaft bleibt, klingt er unverstaubt, ja originell, obwohl diese Art von traditionell arrangierter Volksmusik in die Tage gekommen ist und es folglich immer unwahrscheinlicher wird, etwas zu hören, was nicht schon früher zu hören gewesen ist.

Die Verweigerung, die Willy Mason auf "If the Ocean Gets Rough" (Virgin) so lässig wie erdverbunden zum Ausdruck bringt, ist jene des Lagerfeuers, eines Lagerfeuers allerdings, das auf diesem merkwürdigen Kontinent da im fernen Westen brennt. Die schrille Zivilisation ist gar keine Herausforderung, sie mag ja omnipräsent sein, ist aber seelisch so fern, daß nicht einmal Ekel aufkommen will. Diese Musik mit ihrem Kult der kantigen und kernigen Persönlichkeit gibt wie ihre Ahnen in der "Kraft durch Blumen"-Bewegung das, was einen zufälligerweise umgibt, mitsamt den Menschen, mit denen man alltäglich umgehen muß, obwohl man sie willentlich gar nicht zu Weggefährten erkoren hat, als relevant aus.

Diese Lebenslüge mag zwar hilfreich sein, ist aber ein Schritt hinter die Erkenntnishöhe zurück, auf der Nirvana und andere standen.


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