© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/07 07. September 2007

Bekenntnis eines Christen - für Christen
Der erste Teil des Buches Benedikts XVI. über Jesus von Nazareth liefert nicht ausreichend Munition für eine Rechristianisierung
Harald Harzheim

Ein Leitmotiv im Werk des Theologen Josef Ratzinger ist die Überwindung des historischen Dualismus von Religion und Naturwissenschaft. So schrieb er über Kosmologie und Auferstehung wie über "Schöpfungsglauben und Evolutionstheorie" (1969).

Auch als Papst Benedikt XVI. verlangt er von den Katholiken Offenheit für die Ergebnisse moderner Wissenschaft und erklärt den Widerspruch zwischen Wissen und Glauben als überholt. Da wundert es nicht, daß am Beginn seines neuen Buches, "Jesus von Nazareth", die Auseinandersetzung mit der historisch-kritischen Bibelexegese steht. Hinter dieser rational-wissenschaftlichen Methodik, so Ratzinger, dürfe man sowenig zurückgehen wie bei ihr stehen bleiben. Es gelte vielmehr, sie zu überschreiten. Jenseits der historischen Einordnung muß das Überzeitliche der Botschaft Jesu erkannt werden.

Dieser überzeitliche "Jesus von Nazareth" ist kein streng wissenschaftliches Werk, sondern ein persönliches Bekenntnis seines Autors. Wer aber ist Ratzingers  Messias? Der jetzt erschienene erste Teil seiner auf zwei Bände angelegten Christus-Darstellung beginnt mit der Taufe durch Johannes. Das darin vollzogene Untertauchen in den Fluß setzt Assoziationen an den Tod (Hades) sowie ans Eintauchen ins Lebenswasser frei. Bereits in der Initiation ist die mystische Dimension Christi in einem Bild erfaßt. Diese wird der Autor nun gegen alle Reduktion abgrenzen: So richte sich Jesu Aufruf zwar primär an die Armen, aber ein reines Sozialprogramm, eine pure Entwicklungshilfe, die den Bedachten zwar Brot, aber auch spirituelle Verwüstung bringe, könne sich nicht auf ihn berufen. Umgekehrt ergibt sich politisches Handeln unmittelbar aus der christlichen Bootschaft. Der Satz "Selig sind die Trauernden" meint laut Ratzinger die Trauer über das Böse und das Unrecht in der Welt. Diese Art von Trauer erweist sich als Existential, das Selbstsein und Widerstand ermöglicht. Christus, so glaubt Ratzinger, habe der Menschheit den liebenden Gott gebracht. Historisch habe er damit einen befreienden Exorzismus ausgelöst - seien doch die schrecklichen Dämonen heidnischer Völker nun durch den Gott der Liebe ersetzt worden. Mehr noch: Der christliche Monotheismus überwinde daneben auch das atheistische Weltverständnis mit seinen Zufallsmächten. Somit wären christlicher Glaube und Rationalität identisch.

Diese Rechnung geht aber nur auf, wenn man immanente Widersprüchlichkeiten des Glaubens marginalisiert oder polemisch abwehrt. Genau das tut Ratzinger beispielsweise beim Problem der Theodizee: Warum läßt ein guter und allmächtiger Gott Leiden zu? Ein Widerspruch, der das solidarische Mitleiden Gottes in Gestalt Jesus Christi in ein fragwürdiges Licht taucht- ein Problem, das dem Christentum seit seinem Bestehen hinterherläuft. Schon im Interviewband "Gott und die Welt" (2005) konnte Ratzinger auf diese Frage nur unzureichend antworten. Aber wie rational ist ein Glaube, der diese Frage nicht befriedigend klärt?

Ein anderes Problem ist der Vorwurf, die Menschheit wende sich von Gott und Geboten ab, um dem ungehemmten Vergnügen zu frönen. Erfahrungsgemäß sind Menschen jedoch äußerst opferbereit, sofern sie an den Sinn ihres Opfers glauben. Genußsucht ist eher das Resultat von Glaubenslosigkeit, nicht deren Ursache. Ratzinger hält womöglich die Wirksamkeit (s)einer Religion für überzeitlich. Auch da könnte er sich täuschen. Schon Martin Heidegger wußte, daß der Mensch die neuzeitliche Gottesferne als geschichtliches Ereignis nicht aus eigenem Willen überwinden kann. Statt dessen bleibt ihm nichts, als in dieser Ferne auszuharren. Man muß diesen Geschichtsfatalismus nicht teilen, aber wer sich die Rechristianierung des Westens vornimmt, sollte beim Erforschen der Ursachen des modernen Unglaubens etwas differenzierter vorgehen. So ist das Buch kaum ein Lockstoff für die größer werden Zahl der Ungläubigen, sondern das Bekenntnis eines Christen - für Christen.    

Josef Ratzinger - Papst Benedikt XVI. Jesus von Nazareth. Erster Teil. Von der Taufe im Jordan bis zur Verklärung. Herder Verlag, gebunden, 447 Seiten, 24 Euro


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