© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/07 14. September 2007

Soziale Saubermänner
Polen: Bei den Neuwahlen wird mit einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen PiS und oppositioneller PO gerechnet
Andrzej Madela

Der Vabanquespieler hatte sich vorigen Freitag bei der letzten Sejm-Sitzung vor den Neuwahlen noch einmal richtig ins Zeug gelegt und Sozialgeschenke vom parlamentarischen Himmel aufs Wahlvolk herabrieseln lassen. Premier Jarosław Kaczyński wollte sich damit dem Bürger als der fürsorgende Vater einprägen, der auch im heißen Wahlkampf um das Allgemeinwohl bedacht bleibt.

Mit seiner sozialkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) peitschte er noch einige Gesetze durchs Parlament, die dem eher schmalen Geldbeutel des polnischen Normalverbrauchers zugute kommen. So werden künftig Familien mit Kindern steuerlich wesentlich entlastet, alleinerziehende Eltern können auf Zuschüsse aus dem staatlich betriebenen "Alimente"-Fonds rechnen, Rentner erhalten aufgebesserte Bezüge und die zwischen 1944 und 1989 politisch Verfolgten erhalten Entschädigungen für ihre Verdienste um Polens Unabhängigkeit.

Der PiS-Chef handelte mit Bedacht. Hätte die Opposition die Sozialgesetze seiner Minderheitsregierung blockiert, hätte sie sich für die Wahlkampfzeit eine katastrophale Ausgangsposition erarbeitet: die des knauserigen und volkswohlfeindlichen Bremsers, dem die Realitäten des polnischen Alltags fremd geworden sind. Zähneknirschend machten daher die wirtschaftsliberal-konservative Bürgerplattform (Platforma Obywatelska/PO) als auch das postkommunistische Bündnis der Linksdemokraten (SLD) mehrheitlich mit.

"Wir haben uns hier und heute versammelt, die bedingungslose Kapitulation von Jarosław Kaczyński und seiner PiS anzunehmen, einer Partei, die die Wahlen gewonnen und die größte Fraktion im Sejm hat, aber dennoch nach zwei Regierungsjahren die weiße Fahne hißt", erklärte selbstbewußt PO-Chef Donald Tusk. Und SLD-Fraktionschef Jerzy Szmajdziński legte in Anspielung auf das gewaltige Regierungsrevirement im Sommer nach: "All das, was das öffentliche Leben verlotterte, die Charaktere brach und das Gewissen vernichtete, wurde durch diese Regierung angenommen und eingesetzt - wenn es sie nur stützen konnte." Auch der Ex-Bildungsminister Roman Giertych von der nationalkatholischen Liga Polnischer Familien (LPR) blieb seinem ehemaligen Regierungschef nichts schuldig und führte Kaczyńskis Sprecher vor, der Giertychs Leistungen im Bildungssektor als die der PiS zu verkaufen suchte.

Doch die Opposition verzettelte sich in ihren Attacken gegen einzelne Minister, mehrere Mißtrauensanträge sollten gestellt und die betreffenden Amtsträger in der medial wirkungsvollen letzten Parlamentsschlacht abberufen werden. Daraus wurde nichts: Die PO- und SLD-Führer mußten machtlos zusehen, wie der Ministerpräsident seinen Regierungsmitgliedern die Entlassungsurkunden überreichen ließ und dieselben Abberufenen einige Stunden später als geschäftsführende Minister zurückkehrten - bis zur Wahl der neuen Regierung.

Laut Meinungsumfragen liegen die beiden großen Kontrahenten PiS und PO mit etwa 30 Prozent gleichauf (2005: 27 bzw. 24,1 Prozent). Die SLD käme demnach auf etwa zehn bis 13 Prozent (11,3 Prozent), die linkspopulistisch-bäuerliche Samoobrona des im Juli geschaßten Landwirtschaftsministers Andrzej Lepper nur noch auf fünf bis sieben Prozent (11,4 Prozent). Mit unter vier Prozent käme die LPR nicht wieder ins Parlament - wohl auch deshalb stimmten nur PiS, PO, SLD und die kleine bäuerliche Volkspartei (PSL) fast geschlossen für die Selbstauflösung des Sejm. Doch 20 bis 25 Prozent der Wähler sind noch unentschlossen, wen sie am 21. Oktober wählen sollen - und 2005 lag die PO in den Umfragen vorn, die PiS bei der Wahl. Die PO hat traditionell höhere Chancen bei der eher städtisch-westlich geprägten, jüngeren, weltoffenen, mobilen und gut verdienenden Wählerklientel, für die die EU-Mitgliedschaft kein Problem ist.

PO-Chef Tusk hat folglich ein hohes Interesse, die Außenpolitik der Regierung als eklatanten Kontinuitätsbruch hinzustellen, der Polen in mehreren Fällen (Ostseepipeline, Irak-Krieg, aber auch im Verhältnis zu Deutschland und Rußland) isoliert und zu Ansehensverlust geführt habe. Kein Wunder also, daß ausgerechnet die Außenministerin Anna Fotyga Zielscheibe der schärfsten PO-Angriffe ist. Tusk kann punkten mit Verweisen auf einen betont nationalen Anstrich polnischer Interessenvertretung im In- und Ausland und damit Wähler um sich scharen, die das polnische Interesse als identisch mit dem europäischen ansehen.

Kaczyńskis PiS hatte die Wahlen vor allem gewonnen als Partei des Kampfes gegen Korruption und Filz unter allen polnischen Vorgängerregierungen seit 1989, die unter dem Begriff der "Dritten Republik" zusammengefaßt werden. Der PiS haben auch die Affären der letzten Monate - die Entlassung Lepper, die Verhaftung von Ex-Innenminister Janusz Kaczmarek auf Veranlassung der Antikorruptionsbehörde (CBA) oder der mediale Rummel um den "Oligarchen" Ryszard Krauze - offensichtlich nicht geschadet, im Gegenteil: Premier Kaczyński hat es verstanden, dies als unerbittlichen Antikorruptionskampf zu verkaufen, der auch die eigenen Reihen nicht schont. Mit der Profilierung als Partei der Saubermänner und der Betonung des Vorrangs nationaler vor europäischen Interessen will die PiS beim polnischen Wähler punkten. In diesem Selbstbildnis, das vor allem an das ländlich-katholisch geprägte, fest in seinen lokalen und regionalen Strukturen verwurzelte Milieu appelliert, liegen die Chancen der PiS, erneut stärkste Partei zu werden. Sollte es gelingen, auch die Wählerklientel der LPR mit ins Boot holen, könnte sie sogar auf 33 bis 35 Prozent kommen.

An ihr vorbei wird dann eine neue Regierung nur schwer zu bilden sein. Die PO wiederum, die wie die PiS zu einem Großteil aus früheren Solidarność-Aktivisten besteht, stünde bei einem möglichen Bündnis mit den Postkommunisten vor einer Zerreißprobe. Vielleicht kommt es daher nach den Wahlen trotz aller Dementis und gegenseitigen Verdächtigungen zu einer "Großen Koalition" aus PiS und PO - was der jetzige Staatspräsident Lech Kaczyński schon in seinem Gespräch mit dieser Zeitung (JF 34/05) im Sommer 2005 nicht ausschließen wollte.

Foto: Oppositionschef Donald Tusk: Favorit der städtischen, mobilen und gut verdienenden Wählerklientel


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