© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/07 14. September 2007

BRIEF AUS BRÜSSEL
Folgen des Erweiterungswahns
Andreas Mölzer

Beim EU-Außenministertreffen voriges Wochenende im portugiesischen Viana do Castelo zeigte sich einmal mehr, daß die vielgepriesene gemeinsame Außenpolitik im wesentlichen aus Absichtserklärungen, Schönwetterreden und hohlen Phrasen besteht. So bezeichnete einerseits Erweiterungskommissar Olli Rehn den Kosovo als "Testfall" für die Glaubwürdigkeit der EU, aber andererseits konnten sich die Mitgliedstaaten nicht auf eine gemeinsame Linie in dieser Frage einigen. Während manche EU-Länder die Unabhängigkeit der völkerrechtlich zu Serbien gehörenden, aber mehrheitlich von Albanern bewohnten Provinz anerkennen wollen, sind andere strikt dagegen.

Für Europa höchst gefährlich wird diese Uneinigkeit, weil Wa­shington immer mehr versucht, dieses außenpolitische Vakuum zu füllen. Zeitgleich mit dem EU-Treffen erklärte ein ranghoher Vertreter des US-Außenministeriums, man würde eine einseitige Ausrufung der Unabhängigkeit seitens der Kosovo-Albaner anerkennen. Nach diesem Vorstoß hätten bei der EU, die so gerne die Ordnungsmacht am Balkan spielen will, eigentlich die Alarmglocken läuten müssen. Doch die Reaktionen aus Europa boten wieder einmal ein Bild völliger Hilflosigkeit. Österreichs Außenministerin Ursula Plassnik (ÖVP) meinte in Richtung USA, derartige Aussagen seien "wenig hilfreich".

Wenn die EU ihre derzeit wichtigste außenpolitische Aufgabe - am Balkan für Ordnung und Sicherheit zu sorgen - wirklich erfüllen will, dann muß verhindert werden, daß die USA als außereuropäische Macht das Heft in die Hand nehmen und Europa zu einem außenpolitischen Protektorat degradieren. Ebenso ist notwendig, daß sich das Brüsseler Polit-Establishment von politisch korrekten Dogmen wie dem "multi-ethnischen Kosovo" verabschiedet und Alternativvorschläge in Form einer Teilung der serbischen Provinz entlang ethnischer Bruchlinien auf den Tisch legt.

Die Uneinigkeit in der Kosovo-Frage ist freilich auch das Ergebnis der fortschreitenden Aufblähung der EU. Schon Anfang der neunziger Jahre konnten sich die damals zwölf Mitgliedstaaten zu keiner einheitlichen Linie bezüglich der Zerfallskriege Jugoslawiens durchringen. Daher ist es nicht verwunderlich, daß die heute 27 Mitglieder zählende EU in der Frage der Unabhängigkeit des Kosovo heillos zerstritten ist. Und sollte eines Tages die Türkei aufgenommen werden, dann wäre eine gemeinsame Außenpolitik nur mehr ein frommer Wunsch. Denn Ankara beweist bei den laufenden Beitrittsgesprächen ständig, wie wenig es bereit ist, auf die Verfolgung der eigenen Interessen zu verzichten.

Will Europa zu einer gemeinsamen Außenpolitik finden, dann ist dem herrschenden Erweiterungswahn ein Ende zu setzen. Dazu müßten die endgültigen Grenzen der EU nach geographischen und kulturhistorischen Kriterien festgelegt werden. Außerdem müßte - weil in der heutigen EU-27 eine gemeinsame Außenpolitik bestenfalls auf dem bekanntlich geduldigen Papier besteht - konkret über die Gründung eines Kerneuropa  nachgedacht werden, das den außenpolitischen Kurs der Europäischen Union vorgibt. Und für Kerneuropa müßte - ähnlich der Teilnahme am Euro - die Erfüllung strenger außenpolitischer "Konvergenzkriterien" eine unabdingbare Voraussetzung sein.

 

Andreas Mölzer ist Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung "Zur Zeit" und seit 2004 FPÖ-Europaabgeordneter.


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