© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/07 14. September 2007

Der erste Vamp der Filmgeschichte
Muse des Stummfilms: Am Sonntag endet in Frankfurt am Main eine famose Ausstellung zu Asta Nielsen
Werner Olles

Sie war der erste Kino-Weltstar, setzte völlig neue ästhetische Maßstäbe und begeisterte mit ihrem intensiven Spiel ein Millionenpublikum: Die Stummfilmgöttin Asta Nielsen hat Filmgeschichte geschrieben. Nach einem filmwissenschaftlichen Symposion und einer im Sommer gezeigten Retrospektive sämtlicher noch erhaltenen Filme der Diva endet nun an diesem Sonntag auch die ihr gewidmete kleine Galerieausstellung mit zahlreichen Fotos und Dokumenten im Deutschen Filmmuseum.

Für den Film entdeckt wurde Asta Nielsen, als sie schon dreißig war. Am 11. September 1881 in Kopenhagen geboren, verließ sie bereits mit vierzehn Jahren die Schule und bekam durch ein Stipendium Schauspielunterricht am Königlichen Theater. Vier Jahre später wurde ihre Tochter Jesta geboren, doch sie weigerte sich, deren Vater zu heiraten. Gleichwohl stand Jesta, die 1964 Selbstmord beging, immer im Mittelpunkt ihres Lebens.

Nach einer erfolglosen Theatertournee durch Skandinavien und einem ebenso enttäuschenden Engagement am Neuen Theater in Kopenhagen zog Nielsen sich von der Bühne zurück. Eher zufällig wurde sie dann für den Film zu entdeckt. Ihr Debüt fand in Urban Gads "Afgrunden" (Abgrund, 1910) statt. Der Film wurde ein internationaler Erfolg, und aus der hervorragenden Darstellerin mit intellektueller Färbung wurde bald ein Star, der es liebte, komplizierte, vom Schicksal gezeichnete und zweifelhafte Charaktere zu gestalten. Auf dieser Linie lagen auch fast alle ihre deutschen Filme von Strindbergs "Rausch" (1919) über "Hamlet" (1920) und "Fräulein Julie" (1921) bis zu Wedekinds "Erdgeist" (1923), "Die Büchse der Pandora" (1928) und Pabsts "Die freudlose Gasse" (1925).

Sven Gades und Heinz Schalls Stummfilm-Adaption des Shakespeare-Klassikers um den Dänenprinzen Hamlet, der die Ermordung seines Vaters an der Mutter und dem Stiefvater rächen soll, die Bluttat aber scheut, war der erste große internationale Erfolg eines deutschen Films nach dem Ersten Weltkrieg. "Hamlet" wurde von Asta Nielsens eigener Produktionsfirma Art-Film hergestellt, da sie mit den angebotenen Rollen und Drehbüchern oft nicht zufrieden war. Sie spielte die Titelrolle der als männlicher Thronfolger erzogenen Prinzessin, ein durchaus eigenwilliger Interpretationsansatz: Hamlet als verkleidete Frau. Eine vom Deutschen Filminstitut restaurierte Fassung der einzig erhaltenen Farbkopie des Films war im Rahmen des Symposions im Schauspiel Frankfurt am Main zu sehen.

Die führende Persönlichkeit in den Anfangsjahren des deutschen Films war zweifellos Georg Wilhelm Pabst. Sein Stummfilm-Klassiker "Die freudlose Gasse", eine realistische Schilderung des Nachkriegselends im Wien des Jahres 1925 mit Hunger, Tuberkulose und Prostitution war mit Asta Nielsen, Werner Krauss und der jungen Debütantin Greta Garbo hochkarätig besetzt. Pabst zeigt, wie Inflation und Hunger die Menschen erniedrigen, wie ihre moralischen Grundsätze ins Wanken geraten. Die Tochter eines hohen Beamten gerät ins Elend und verfällt schließlich der Prostitution. In einer erschütternden Anklage gegen die Gesellschaft gipfelnd, verläßt der Film die hermetische Welt des expressionistischen Kammerspiels, um sich der sozialen Realität zu öffnen.

Es war ein sonderbarer Wink des Schicksals, daß Greta Garbo in ihrem ersten Film außerhalb Schwedens die Partnerin von Asta Nielsen wurde. So begegneten sich in "Die freudlose Gasse" zwei Epochen, die einander unmerklich ablösten. Asta Nielsen, die erste große Film-Primadonna, hatte ihre Karriere und ihren internationalen Ruf einer ungewöhnlich mimischen Begabung zu verdanken, die weit mehr auf der Leinwand als auf der Bühne zur Geltung kam. Ihrerseits hatte sie die Nachfolge von Sarah Bernhardt angetreten, die als die größte Diva ihrer Zeit das Publikum begeistert hatte. Darum war es nicht weniger sonderbar, daß die beiden hervorragendsten Filmdarstellerinnen des Liebesdramas aus dem "kalten Norden" kamen.

Eine alternde Dirne spielte Asta Nielsen auch in Bruno Rahns "Dirnentragödie" (1927), einem ihrer bekanntesten Stummfilme. Das Publikum war beeindruckt von ihrer unglaublich ausdrucksstarken Darstellung der Auguste, die einen jungen Studenten kennenlernt und hofft, mit ihm ein bürgerliches Leben und Glück zu finden. Doch seine Liebe zu einer jüngeren Dirne zerstört all ihre Träume. Ob tragische Liebende, Prostituierte, Tänzerinnen oder einfache Arbeiterinnen: Asta Nielsen war nicht nur die Muse des Stummfilms, sondern auch der erste Vamp der Filmgeschichte.

Asta Nielsens erster Tonfilm "Unmögliche Liebe" (1932) war zugleich ihr letzter Film. Ihre ganz eigene Art des Spiels, ihre Mimik und ihre zurückhaltende Körpersprache kamen in diesem neuen Medium nicht recht zur Geltung. Filmangebote lehnte sie von nun an kontinuierlich ab. 1936 kehrte sie nach Dänemark zurück, um sich wieder mehr dem Theater zu widmen. Sie schrieb Kurzgeschichten, Hörspiele und ihre Autobiographie "Die schweigende Muse". 1963 wurde sie für ihr langjähriges Wirken mit dem Filmband in Gold ausgezeichnet. Eine Verfilmung ihres Lebens mißfiel ihr derart, daß sie im Alter von 86 Jahren einen eigenen Film über sich drehte. Und noch mit fast 90 Jahren heiratete sie in dritter Ehe den dänischen Kunsthändler Christian Theede. Wenige Monate später ist Asta Nielsen am 25. Mai 1972 in Kopenhagen gestorben.

Foto: Asta Nielsen in "Zapatas Bande" (1913/14): Ausdrucksstark


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