© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/07 14. September 2007

Spurensuche an der Siegfriedlinie
In diesem Jahr wurde in Rheinland-Pfalz entlang von Relikten des Verteidigungswerkes aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges ein "Westwall-Wanderweg" eingeweiht
Martin Schmidt

Steinfeld ist ein Dorf in der Südpfalz. Das nächstgelegene Städtchen heißt Bad Bergzabern, die Grenze zum französischen Elsaß ist nur wenige Kilometer entfernt. Steinfeld weist zwar kein schmuckes Ortsbild wie manch andere umliegende Dörfer auf - etwa Dörrenbach oder Dierbach -, doch es verfügt seit kurzem über ein touristisches Ziel, das Besucher aus der ganzen Welt anlocken dürfte: das erste Teilstück des "Westwall-Wanderweges".

Am 13. Juli wurde der erste Abschnitt dieses seit Jahren geplanten Lehrpfades in Anwesenheit des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten und SPD-Vorsitzenden Kurt Beck, dessen Heimatort Steinfeld ist, eingeweiht. Je vier Erklärungstafeln in dem 2.000-Seelen-Dorf sowie im benachbarten Niederotterbach können interessierte Spaziergänger seither ablaufen. Sie stehen an nassen Panzergräben und den heute bisweilen mitten durch Privatgärten verlaufenden Höckerlinien des auch als "Siegfriedlinie" bezeichneten Walls. Die im Vergleich zur nahen Maginotlinie der Franzosen eher kümmerlichen Befestigungsanlagen sollten in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre den französischen "Erbfeind" abschrecken und dann im Frühjahr 1945 die amerikanischen Panzertruppen auf ihrem Weg ins Innere Deutschlands aufhalten.

Nachdem der Versailler Vertrag dem Reich den Bau jeglicher Festungen westlich des Rheins sowie auf einem fünfzig Kilometer breiten Streifen am rechten Flußufer verboten hatte und auch die dortige Stationierung von Truppen untersagt war, beseitigte das NS-Regime die militärpolitischen Diskriminierungen und ließ zwischen 1936 und 1940 mit großem Propagandagetöse zwischen Kleve am Niederrhein und Lörrach in Südbaden den tiefgestaffelten Westwall errichten. Das Festungssystem erstreckte sich über 630 Kilometer und umfaßte 20.000 Bunker. Es beschäftigte zeitweise bis zu einer halben Million Arbeiter und verschlang ungefähr 3,5 Millionen Reichsmark. Allein auf dem Gebiet des heutigen Bundeslandes Rheinland-Pfalz entstanden etwa 7.300 Anlagen.  Eine indirekte Folge des Westwallprojekts war die aus den dort eingesetzten Baukolonnen des Generalinspekteurs für das deutsche Straßenwesen, Fritz Todt, hervorgegangene "Organisation Todt".

Während der ersten Monate des Zweiten Weltkrieges sicherte die "Siegfriedlinie" die deutsche Westgrenze. Nach dem erfolgreichen Frankreichfeldzug wurden viele Westwallanlagen als vermeintlich überflüssig demontiert, die Bunker waren danach zum Teil nicht mehr bewaffnet und für den Endkampf im Westen kaum gerüstet. Dennoch kam es insbesondere in dem am stärksten befestigten Teilstück in der Südpfalz während der letzten Kriegsmonate zu punktuellen Abwehrerfolgen. Die US-Armee hatte die Weißenburger Senke mit dem besonders dichten Sperrnetz des "Oberotterbacher Abschnitts" allerdings nur am Rande in ihre Offensivoperationen einbezogen, da Entscheidungsträger wie General Eisenhower die NS-Propaganda vom "unbezwingbaren germanischen Limes" sehr ernst nahmen und die Angriffsschwerpunkte bewußt anderswo setzten. Die alliierte Spionage versagte in puncto Westwall auf ganzer Linie. Wie ein deutsches "B-Werk" von innen aussah, wußte man erst nach dem 16. März 1945, als die Amerikaner ein solches im westpfälzischen Contwig erobert hatten und entsprechende Mitteilungen an die vorstoßenden Truppen durchgaben. 

Nach der bedingungslosen Kapitulation wurde der Westwall auf Geheiß der Alliierten gesprengt, anschließend ließ die Bundesrepublik neunzig Prozent der Ruinen restlos beseitigen. Von den "B-Werken" ist in der Pfalz kein einziges mehr erhalten. Wer ein solches besichtigen möchte, kann dies aber im saarländischen Besseringen tun.

Die regionale Bevölkerung empfand die übriggebliebenen Bunkerruinen und Höckerlinien über Jahrzehnte hinweg als störend. Sie verstellten den Blick in die schöne Landschaft dieser sonnenverwöhnten Gegend, behinderten Bebauungspläne, stellten eine Gefahr für spielende Kinder dar und erinnerten immer wieder an die schreckliche Kriegszeit. Allein manche Jugendliche, die zwischen den Höckerlinien ungestört ihre Feste feierten, und einige wenige geschichtsinteressierte Bürger konnten diesem Erbe auch Positives abgewinnen. Viele Leute nutzten die Ruinen zur Ablagerung privaten Schutts und bewiesen damit ihre Geringschätzung der Kriegsrelikte. Der Westwall und seine letzten sichtbaren Spuren drohten endgültig der Vergessenheit anheimzufallen, bis im Dezember 2003 der "Verein zum Erhalt der Westwall-Anlagen" entstand und gegen die fortgesetzte Beseitigung verbliebener Bunkerreste Front machte.

Seither wurden die Pläne für einen zeithistorischen Wanderweg seitens des Vereins und der Verbandsgemeinde Bad Bergzabern immer konkreter. Jedoch galt es noch eine Menge bürokratischer Hemmnisse und geschichtspolitischer Widerstände zu überwinden. Mit dem neugeschaffenen, noch sehr kurzen Lehrpfad, der langfristig in Richtung Saarland, Eifel und Ardennen fortgesetzt werden soll, wird der Westwall nun endlich deutlich aufgewertet. Die Initiatoren möchten für die weitere Streckenführung unter anderem einen aufgelassenen Soldatenfriedhof im Oberotterbacher Wald berücksichtigen und auch das 1998 eröffnete, in erhalten gebliebenen Bunkerräumen untergebrachte private "Westwall-Museum" in Bergzabern einbeziehen. Der Wanderweg soll anschauliche Erinnerung für Zeitzeugen und künftige Generationen ermöglichen und ungewöhnliche Rückzugsgebiete für seltene Tiere und Pflanzen bewahren helfen. Denn auch aus ökologischer Sicht finden vor allem die Bunkerreste seit einigen Jahren Beachtung, stellen sie doch schützenswerte ökologische Nischen für Fledermäuse, Lurche, Wildkatzen und seltene Moose und Farne dar. 

Bei der Textgestaltung der Bildtafeln spielte die Mainzer Landeszentrale für politische Bildung die entscheidende Rolle, zumal der Wanderweg ausschließlich mit öffentlichen Geldern finanziert wird. Gegen mancherlei Unmut örtlicher Fachleute wurde eine "Kontextualisierung", sprich: Einbettung in den historischen Gesamtzusammenhang, durchgesetzt, die leider von politisch korrekter Einseitigkeit geprägt ist. Diese läßt sich insbesondere am Wortlaut der Starttafel ablesen. Dort heißt es zur Vorgeschichte und als Überleitung zum eigentlichen Bau: "Ein Hauptziel Hitlers und der nationalsozialistischen Politik war es, mittelfristig sogenannten 'Lebensraum' in Osteu-ropa zu erobern. Dies setzte einen Eroberungskrieg gegen Polen und die Sowjetunion voraus, durch den die dort lebenden Menschen versklavt werden sollten. (...) Dazu war der Aufbau einer starken militärischen Macht notwendig."

Die zur Erklärung des geschichtlichen Hintergrunds unerläßliche Erinnerung an die Erfahrungen des Stellungskrieges an der Westfront zwischen 1914 und 1918 sowie an die im Europa der Zwischenkriegszeit allgemein vorherrschende Festungsideologie als Verheißung größtmöglicher Sicherheit vor äußeren Angriffen kommt nicht zur Sprache. Die Maginotlinie als französischer Vorläufer bzw. Gegenstück des Westwalls wird nur an einer Stelle kurz erwähnt, andere Festungsanlagen wie der "Ostwall" der Weimarer Republik, die Festungslinie der Tschechoslowakei, der in den dreißiger Jahren erbaute 1.850 Kilometer lange italienische "Alpenwall" oder die "Metaxaslinie" in Griechenland tauchen überhaupt nicht auf. Die Verantwortlichen begründen ihre Darstellung damit, daß solche Hintergründe "zu speziell" seien und man "kein Übermaß an Militärgeschichte" gewollt habe.

Glücklicherweise zeugen die anderen Tafeln dann aber doch von militärgeschichtlichen Detailkenntnissen (zum Beispiel gibt es aufwendig recherchierte Karten zu den Befestigungsanlagen) und zeichnen sich durch aufschlußreiche regionalbezogene Erläuterungen aus. Zu Steinfeld erfährt man: "Der Ort lag zudem in der 'Roten Zone', dem Gebiet im Bereich des Westwalls, das bei Kriegsbeginn sofort geräumt werden sollte, damit Soldaten der Wehrmacht in die Bunkerzone einmarschieren konnten. Diese Evakuierung wurde für die 1.348 Steinfelder am 1. September 1939 angeordnet. Binnen zwei Tagen war das Dorf wie auch die in direkter Grenznähe liegenden Ortschaften Dierbach, Niederotterbach, Schweig­hofen, Schweigen und Rechtenbach, bis auf wenige mit Sondergenehmigung Zurückgebliebene, vollständig geräumt. Die Menschen hatten mit einem Teil ihres Hausrates das Dorf zu verlassen und waren in die Aufnahmegebiete in die oberfränkische Stadt Liechtenfeld transportiert worden."

Die alltägliche Willkürherrschaft des Dritten Reiches spiegelt sich in der nachfolgenden Passage: "Anders als die Bewohner von Bergzabern oder der Nachbardörfer durften die Steinfelder nicht im Juli 1940 in ihre Heimat zurückkehren. Steinfeld war durch Gauleiter Josef Bürckel zur 'Neuordnungsgemeinde' erklärt worden. In einer von nationalsozialistischen Ideen für einen Siedlungsbau geprägten 'Wiederaufbauaktion' sollten in dem Bereich der Roten Zone Musterdörfer entstehen. Für diesen Plan wurden allein in Steinfeld 136 Wohn- und 233 Nutzgebäude ohne Notwendigkeit abgerissen. Als die Steinfelder endlich im Sommer 1942 zurückkehren durften, war ein Drittel der Häuser nicht durch Angriffe der Kriegsgegner, sondern infolge nationalsozialistischer Siedlungspläne nicht mehr vorhanden. So war ein Teil der Rückkehrer quasi obdachlos und fand im Heimatdorf keine Unterkunft mehr. Der versprochene, im Nazi-Stil geplante Wiederaufbau wurde nicht realisiert." Einige der von der NS-Verwaltung enteigneten Familien hatte man ungefragt für Umsiedlungsprogramme in erobertes polnisches Gebiet oder nach Lothringen eingeplant.

Im Sommer 2008 soll der Westwallweg im Bereich der Nachbargemeinde Oberotterbach erweitert werden und dort gesprengte Großbunker, Einmannbunker und Schützengräben verbinden; im nahen Bienwald existieren schon seit 2004 zwei vom Pfälzerwald-Verein Schaidt angelegte Rundwanderwege, die zu Überresten der Festungsanlagen führen. Für geschichtsbewußte Wanderer bieten sich also jede Menge neue Möglichkeiten, diesen bemerkenswerten Teil der Militärgeschichte des 20. Jahrhunderts in Augenschein zu nehmen.

Weitere Informationen zum Westwall-Wanderweg unter anderem auch in der Broschüre "Westwallrundwanderwege in Bienwald bei Schaidt", herausgegeben vom Pfälzerwald-Verein Ortsgruppe Schaidt, In den Boschgärten 33, 76744 Wörth / Schaidt; Telefon: 0 63 40/83 11; Internet: www.pwv-schaidt.de

Informationen zur Region auch bei "Pfalz.Touristik e.V.". Martin-Luther-Str. 69, 67433 Neustadt / Weinstrasse; Telefon: 0 63 21/39 16-0; Telefax: 0 63 21/39 16-19; E-Post: info@pfalz-touristik.de

Fotos: Betonhöcker zur Panzerabwehr bei Bad Bergzabern: 630 Kilometer Festungswerke mit fast 20.000 Bunkern, Ministerpräsident Kurt Beck bei der Einweihung des Westwall-Wanderweg-Lehrpfades: "Kein Übermaß an Militärgeschichte"


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