© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/07 14. September 2007

Freiheitsliebe, Mannesmut und Gottesfurcht
Alexander Schmorell, einer der Köpfe der Widerstandsgruppe "Weiße Rose", wäre am 16. September neunzig Jahre alt geworden
Christian Rudolf

Eins vor allem lege ich Euch ans Herz: Vergeßt Gott nicht!" Der mit dieser beinah beschwörenden Bitte seinen Abschiedsbrief beschloß, Minuten vor der Hinrichtung am 13. Juli 1943, war der Deutsch-Russe Alexander Schmorell. Wie viele aus dem Münchner Widerstandskreis der "Weißen Rose" steht er im Schatten der dominierenden Erinnerung an die Geschwister Scholl. Völlig zu Unrecht, denn ohne ihn und seine enge Freundschaft mit Hans Scholl hätte es die heute berühmten Flugblätter nie gegeben. Deren vier ersten formulierte er zusammen mit Scholl, er war es, der Schreibmaschine, Matrizen, einen Vervielfältiger und Papier besorgte. Gemeinsam mit Scholl und Willi Graf malte er "Freiheit!" und "Nieder mit Hitler!" an die Wände des Münchner Universitätsviertels. Allein schon um seiner Briefe aus dem Gefängnis München-Stadelheim willen lohnt sich eine Beschäftigung mit Schmorell - sie spiegeln ein unerschüttertes Gottvertrauen und eine solche Glaubenszuversicht, die niemanden unberührt läßt. "Ich gehe hinüber in dem Bewußtsein, meiner tiefen Überzeugung und der Wahrheit gedient zu haben." Ein dramatisches Bekenntnis in der Todesstunde.

Gleichwohl ist es schwer, Alexander Schmorell zu fassen: Er hatte keine Angehörigen, die seine Lebensgeschichte aufzeichneten, schriftliche Zeugnisse aus eigener Hand sind ebenfalls rar, erhaltene Briefe privater Natur nur auszugsweise veröffentlicht. Einer griffigen politisch-ideologischen Verortung entzieht sich der Nonkonformist, der zeit seines kurzen Lebens von einer großen Zuneigung zu Rußland erfüllt war.

Geboren 1917 in Orenburg im Süd-Ural als Sohn eines deutschen Arztes und einer Russin, verlor der kaum zweijährige Alexander seine Mutter durch Typhus. Der Vater heiratete erneut und siedelte 1921 nach München über. "Schurik", wie der Junge später genannt wurde, wuchs zweisprachig unter der Obhut seiner alten russischen Kinderfrau auf, die ihn prägte und auch im orthodoxen Glauben unterwies.

Russisch blieb Umgangssprache im Hause Schmorell, russische Dichter las er früher als deutsche. Anders als Hans Scholl, der erst während des Parteitags 1936 die Erfahrung einer existentiellen Wende machte, war Schmorell, so scheint es, durch Gemütsbande von vornherein vor der Versuchung des NS gefeit. In den Verhörprotokollen der Gestapo, erst in den neunziger Jahren in den Beutebeständen des Russischen Militärarchivs entdeckt, heißt es, daß "ich mich nicht als Nationalsozialist bekennen kann, weil ich mehr für Rußland interessiert bin". Auch seine Freunde aus dem Widerstandskreis hatten eine besondere Beziehung zum Riesenreich im Osten, von Land und Menschen ließen sie sich während der Frontfamulatur 1942 tief beeindrucken.

Bezeichnenderweise erschien die erste Biographie Schmorells denn auch in einem Orenburger Verlag. Den Germanisten Igor Chramow ließ es nicht mehr los, daß ein Mitglied des Widerstands aus seiner Stadt stammte. Mehrjährige Forschungsarbeit und Kontakte zu den Halbgeschwistern Schmorells in München fruchteten in dem Buch "Die russische Seele der 'Weißen Rose'" - das bisher nur in russischer Sprache vorliegt. Chramow ist heute Präsident der gemeinnützigen Stiftung Eurasia, die in Orenburg internationale Kulturarbeit betreibt. Seiner Initiative, der Zusammenarbeit mit der Weiße-Rose-Stiftung und der Hochschulpartnerschaft zwischen München und Orenburg ist es zu danken, daß heute in den Räumen der Staatlichen Pädagogischen Universität eine Dauerausstellung an den Widerstand der Münchner Studenten erinnert.

Schmorells Verteidiger vor dem Volksgerichtshof, Siegfried Deisinger, der ihn auf seinem letzten Gang begleitete, legte später von dessen Sterben Bericht ab und schrieb: "Dieser junge Student verdient es, daß seiner stets gedacht wird, wenn von wahrer Freiheitsliebe, von Mannesmut und Gottesfurcht die Rede ist. Und wenn unsere Jugend, vor allem die akademische, nach Vorbildern für diese Ideale sucht, dann wird der Name des jungen Schmorell immer unter den Ersten genannt werden müssen." Am 16. September wäre Schmorell neunzig Jahre alt geworden.


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