© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/07 14. September 2007

Stephen Walt und John Mearsheimer
Duo Infernal
von Michael Wiesberg

Keine politikwissenschaftliche These seit dem Zweiten Weltkrieg - mit Ausnahme der George Kennans zur Eindämmung der Sowjetunion und Samuel Huntingtons zum Kampf der Kulturen - habe so hohe Wellen geschlagen wie die im März 2006 in der London Review of Books erschienenen Thesen der beiden US-Politologen John Mearsheimer und Stephen Walt über die "Israel-Lobby", resümierte vor kurzem Christian Hacke in der Zeit. Seit einigen Tagen können diese nun auch in deutscher Übersetzung unter dem Titel "Die Israel-Lobby. Wie die amerikanische Außenpolitik beeinflußt wird" (Campus Verlag) nachgelesen werden.

Wie in den USA selber hat sich auch in Deutschland eine überaus kontroverse Diskussion um diese Thesen entwickelt, in der immer wieder die üblichen Verdammungsformeln wie "Antisemitismus" oder "Verschwörungstheorie" fallen. Die Heftigkeit der Auseinandersetzung deutet darauf hin, daß die beiden renommierten US-Professoren den Finger in die Wunde gelegt haben: Sie stellen nämlich mehr oder weniger zur Selbstverständlichkeit gewordene Grundsätze in Frage; so zum Beispiel die Behauptung, daß Israel ein wertvoller oder gar unverzichtbarer Faktor in der US-Außenpolitik sei. Fast unerhört muß für Parteigänger israelischer Interessen zum Beispiel die Äußerung anmuten, daß der unberechenbare Unilateralismus Israels den politischen und strategischen Interessen der USA schade. Die USA seien nicht zur "bedingungslosen Unterstützung Israels" verpflichtet - so "tragisch die Geschichte des jüdischen Volkes auch verlaufen ist". Daß die USA mit Blick auf Israel dennoch eine Politik betrieben, die ihren Interessen teilweise widerspreche, liege an den Aktivitäten der "Israel-Lobby".

Wer sind die beiden Wissenschaftler, die es gewagt haben, die mächtigen jüdischen Interessenverbände in den USA, allen voran die AIPAC (American Israel Public Affairs Committee), herauszufordern? John Mearsheimer, Jahrgang 1947, West-Point-Absolvent und seit 1982 an der Universität von Chicago tätig, gilt als Spezialist für Internationale Beziehungen. Hervorgetreten ist er unter anderem mit seinem Buch "The Tragedy of Great Power Politics" (2001). Stephen Walt, Jahrgang 1955, der als Politikwissenschaftler in Harvard wirkt, gilt ebenfalls als ausgewiesener Fachmann auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen. Für seine Untersuchung "The Origins of Alliances" erhielt er 1988 den Edgar S. Furniss National Security Book Award.

Beiden Wissenschaftlern gemeinsam ist, daß sie der "realistischen Denkschule" zugeordnet werden. Ein Kennzeichen dieser Schule ist, daß sie die Außenpolitik der USA nicht nach moralischen Kriterien beurteilen, sondern aus der Perspektive einer an nationalen Interessen ausgerichteten Machtpolitik. Und hier verläuft die Trennlinie zu den "Neocons" und ihren ideologisch-moralisch aufgeladenen Vorstellungen - aus dieser Ecke und dem Kreise ihrer Apologeten und Profiteure kommen schließlich dann auch die lautesten der Protestrufe.


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