© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/07 21. September 2007

Lobbyisten sorgen sich um "sexuelle Revolution"
Institut für Sexualpädagogik: Kritik an Einstellung der Broschüre "Körper, Liebe, Doktorspiele" / Finanzielle Unterstützung aus NRW
Peter Freitag

Nachdem die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) den Elternratgeber "Körper, Liebe, Doktorspiele" zur Sexualaufklärung von Kleinkindern nach Protesten aus ihrem Programm genommen hatte, meldeten sich daraufhin auch die Befürworter der umstrittenen Broschüre zu Wort.

Vor allem das Dortmunder Institut für Sexualpädagogik, zu dessen Dozenten die Autorin der Schrift, die als Ehe- und Lebensberaterin bei der Evangelischen Beratungsstelle Düsseldorf-Altstadt tätige Ina-Maria Philipps, gehört, protestierte gegen die Verbannung des Ratgebers aus dem Angebot der BZgA. Das Institut für Sexualpädagogik ist nach eigener Darstellung "ein Zusammenschluß sexualpädagogisch tätiger Personen aus dem deutschsprachigen Raum, die eine gemeinsame Idee von Sexualpädagogik verbindet"; das "isp" will als unabhängiges Fachinstitut sexualpädagogische Forschung und praktische Beratung verbinden: "In der Tradition emanzipatorischer Sexualpädagogik stehend, bezieht das isp Position zu gesellschaftlich-politischen Fragen. Es nimmt z. B. kritisch Stellung gegenüber Versuchen, Normen für die Gestaltung von Sexualität vorzugeben oder Sexualpädagogik politisch zu instrumentalisieren". Menschliche Sexualität, so heißt es in den Grundsätzen des eingetragenen Vereins, äußere sich "in einer Vielfalt sexueller Lebens- und Ausdrucksformen, die neben- und nacheinander gelebt werden können". Angehörige des isp und die Nutzer seiner Fortbildungsveranstaltungen begreifen sich selbst als "sexualpädagogische community".

In einer Stellungnahme vom 1. August dieses Jahres zugunsten der Broschüre schrieb der Kieler Pädagogikprofessor Uwe Sielert, der den wissenschaftlichen Beirat des isp bildet, von einer Kampagne "einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppierung", von der nicht nur die Bundeszentrale und deren Verantwortliche, sondern auch die gesamte Disziplin der Sexualwissenschaft und -pädagogik betroffen sei.

Auffallend ist im Schreiben des Kieler Professors nicht zuletzt die Semantik: Ausschließlich die Position des Instituts für Sexualpädagogik wird mit sogenannten Hochwertwörtern untermauert, wenn etwa vom dort vermittelten "empirisch gesättigten Wissenschaftswissen" die Rede ist, von "respektvoller, mündig machender Sexualerziehung", die "auf dem Boden unserer demokratischen Verfassung steht". Mit stigmatisierenden Begriffen belegt Sielert dagegen die Kritiker, die erstens "fachfremd", zweitens "religiösfundamentalistisch" seien und deren Vorstellungen auf eine "Gesinnungsdiktatur" hinausliefen. Die Sorge, einzelne Passagen von "Körper, Liebe, Doktorspiele" könnten der Pädophilie Vorschub leisten, tut Sielert als "effektvoll zelebrierten ... sogenannten Mißbrauchsdiskurs" ab.

Das Institut für Pädagogik der Universität Kiel, an welchem Sielert lehrt, begleitet auch das Projekt "Difference Troubles", welches "Strategien zum Abbau oder zur Vermeidung von Diskriminierung im Bildungswesen" mit Schwerpunkt auf dem "Aspekt der Diskriminierung aufgrund sexueller Ausrichtung" entwickelt. Zu den regionalen Partnern von "Difference Troubles" zählen vor allem Homosexuellen-Verbände. Die wissenschaftliche Gesamtleitung, so heißt es in der Vorstellung des Projekts, liegt bei Professor Uwe Sielert, der vor seiner Berufung nach Kiel unter anderem Mitarbeiter der BZgA war.

Der Hochschullehrer ist zudem Geschäftsführer der 1998 ins Leben gerufenen Gesellschaft für Sexualpädagogik (GSP), deren Gründungsmitglied wiederum das Dortmunder Institut für Sexualpädagogik ist. "Die GSP orientiert sich an der sexuellen Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung von Individuen und Gruppen, soweit diese die Rechte und Selbstentfaltungsinteressen anderer achten."

Erster Vorsitzender der GSP ist Stefan Timmermanns, der sich für die Institution in einem Schreiben an Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) vom 7. August dem Protest gegen die Rücknahme der Broschüre angeschlossen hat: "Wir halten diese Entscheidung für fatal und empfehlen, die Broschüre wieder zu veröffentlichen." Timmermanns wurde im Jahre 2003 an der Kölner Universität mit einer Dissertation über die "Evaluation schwul-lesbischer Aufklärungsprojekte in Schulen" promoviert, wobei als Zweitgutachter Sielert zuständig war. Sein Interesse an diesem Thema begründete Timmermanns mit seiner "mehr als siebenjährigen Erfahrung als ehrenamtlicher Mitarbeiter im schwul-les-bsichen Aufklärungsprojekt 'SchLAu Bonn'". Auf der Internetseite des Projekts heißt es: "Nur wenn eine ganzheitliche Sexualpädagogik stattfindet, die sexuelle Identität selbstverständlich einbezieht, kann Aufklärungs- und damit auch Antidiskriminierungsarbeit sinnvoll stattfinden." Getragen werde diese Arbeit von "ehrenamtlichen Aufklärer/innen ... zu gleichgeschlechtlichen Lebensweisen", die als "externe Experten" (Timmermanns) in Schulen wirkten und dabei vor allem gegen "diffuse Ängste" arbeiten müßten, dadurch könnten Jugendliche zu Homosexualität verführt werden. Wenn diese Vorbehalte nicht "durch Aufklärung" beseitigt würden, "werden Homosexuelle weiter diskriminiert werden", schreibt Timmermanns.

Finanziell gefördert wird "SchLAu" durch das nordrhein-westfälische Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration. Außerdem wurde das Projekt als "Best Practice Beispiel" im Themenbereich "Nachhaltige Sozial- und Gesellschaftspolitik" der Initiative "Agenda 21 NRW - Gemeinsame Ideen mit Zukunft" ausgezeichnet, für die wiederum das Landesministerium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz verantwortlich zeichnet.

Während die Kritik an der Broschüre "Körper, Liebe, Doktorspiele" offensichtlich vor allem von "pädagogischen Laien" - also in erster Linie Eltern - geteilt wurde und deren mit einem meist wohlwollenden Presseecho begleiteter Protest schließlich zur Einstellung des Vertriebs durch die BZgA führte, handelt es sich bei den vom isp ins Feld geführten Befürwortern der Schrift mehrheitlich um "Professionelle": Hauptsächlich Mitarbeiter von diversen Beratungsstellen - wie die von "pro familia", aber auch solche in kirchlicher Trägerschaft - sprechen sich für die Benutzung des "Elternratgebers" aus. Ein Sexualpädagoge spricht gar von der "Arbeit gegen ein Verbot", obwohl die Schrift überhaupt nicht verboten wurde. Der Protest zielte darauf ab, daß diese Broschüre nicht mehr von einer Behörde kostenlos unters Volk gestreut werden soll.

Insgesamt scheint die "sexualpädagogische community" so etwas wie einen "Roll-back" hinter die "sexuelle Revolution" zurück zu befürchten: "Wer letztlich ... auch noch diskreditiert werden soll, sind nicht nur 'die 68er' sondern weit darüber hinaus, die momentane Regierung, die Kirchen, sogar die Willensbildungsorgane der Europäischen Union, die schließlich die Gleichstellung sexueller Orientierungen und Gender Mainstreaming beschlossen haben", fürchtet Sielert.


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