© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/07 21. September 2007

Bundesregierung schließt Mißbrauch aus
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz: Große Koalition gibt Auskunft über Praxistauglichkeit / Bislang 23 Gerichtsentscheidungen
Gerhard Vierfuss

Als absoluten "Jobkiller" hatte Angela Merkel als Oppositionsführerin einst das von der rot-grünen Koalition geplante Antidiskriminierungsgesetz bezeichnet; unter dem Namen Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) wurde es dann - mit kleineren Änderungen (JF 28/06) - von der Großen Koalition beschlossen. Das Gesetz verbietet Benachteiligungen unter anderem aus Gründen der Rasse, des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung. Ein Jahr nach seinem Inkrafttreten liegt jetzt die Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion zur Praxistauglichkeit des Gesetzes vor.

In ihrer Anfrage versucht die FDP, die Regierung durch die Erinnerung an frühere Bekundungen in Verlegenheit zu bringen. So will sie etwa wissen, ob die Bundeskanzlerin noch zu der Aussage in ihrer ersten Regierungserklärung stehe, die EU-Gleichbehandlungsrichtlinien sollten "im Grundsatz nur noch eins zu eins" umgesetzt werden. Die Antwort der Bundesregierung ist ein klares "Ja": Zwar sei im zivilrechtlichen Teil des Gesetzes der Diskriminierungsschutz über die EU-Vorgaben hinaus ausgedehnt worden, doch sei der Anwendungsbereich dieser Regelungen eingegrenzt auf Massengeschäfte und private Versicherungen. Auch hier blieben im übrigen sachliche Differenzierungen erlaubt.

Konfrontiert mit früheren, ablehnenden Äußerungen von Bundeskanzlerin Merkel und Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) zur Antidiskriminierungsgesetzgebung, zieht sich die Bundesregierung auf die Stellungnahme zurück, diese Äußerungen hätten sich auf den damaligen Diskussionsstand bezogen; den "berechtigten Einwänden" sei bei der endgültigen Gesetzesfassung Rechnung getragen worden.

Zudem verlangt die FDP-Fraktion eine Einschätzung zu Berichten, denen zufolge das AGG geradezu kontraproduktiv wirke, indem Arbeitgeber behinderte Menschen gar nicht mehr zu Vorstellungsgesprächen einlüden, um möglichen Haftungsansprüchen zu entgehen. In ihrer Antwort äußert die Regierung Zweifel an den Berichten.

Das Interesse eines Arbeitgebers bestehe darin, den bestqualifizierten Bewerber zu bekommen; dies könne gleichermaßen ein behinderter oder ein nicht behinderter Mensch sein. Eine vorweggenommene Aussonderung behinderter Bewerber liefe somit ihren eigenen Interessen zuwider. Es sei auch fraglich, ob ein Arbeitgeber auf die dargestellte Weise überhaupt das Ziel erreichen könne, Haftungsansprüche auszuschließen: Auch aus der Nichteinladung zu Vorstellungsgesprächen könnten Schadensersatzansprüche erwachsen.

Ein Blick gilt auch den wirtschaftlichen Folgen des AGG. Zur Frage, wie die Regierung die Gefahr des Mißbrauchs sieht, wird auf die Statistik verwiesen: Bis Anfang August habe es gerade einmal 23 Gerichtentscheidungen gegeben. Diese Zahl zeige, daß Scheinbewerber keine Aussicht auf Erlangung von (angeblichem) Schadensersatz hätten. Das geltende Recht enthalte entsprechende Schutzvorrichtungen: Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sei eine Benachteiligung nur gegenüber demjenigen möglich, der sich ernsthaft um eine Stelle beworben hat und objektiv für die Stelle in Betracht kommt. Diese Voraussetzungen seien bei Scheinbewerbern nicht gegeben.

Auch in ihrer Antwort auf die zahlreichen Detailfragen vermittelt die Bundesregierung den Eindruck, Befürchtungen seien weitgehend unbegründet, eventuell im Einzelfall auftretende Probleme pragmatisch lösbar und das Gesetz die ganze Aufregung nicht wert. In dieser Einschätzung kann sie sich bestärkt fühlen durch die niedrige Zahl der Anfragen bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes: Bis Juli wurden hier erst rund 1.900 Anfragen verzeichnet. Angesichts der von der Antidiskriminierungsstelle geplanten Öffentlichkeitsoffensive und der Tatsache, daß die Antidiskriminierungsverbände sich noch im Aufbau befinden (JF 34/07), bleibt allerdings abzuwarten, ob die gegenwärtige Ruhe von Dauer ist.


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