© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/07 21. September 2007

Die Stellvertreterin
Oliver Hilmes hat eine lesenswerte Biographie über Cosima Wagner, Frau und Vertreterin des Erbes Richard Wagners, vorgelegt
Wiebke Dethlefs

Eine der eindrucksvollsten Frauengestalten des 19. und 20. Jahrhunderts, die Tochter des wohl bedeutendsten Klaviervirtuosen seiner Zeit, Franz Liszt, und der französischen Gräfin Marie d'Agoult, wird hier in einem fast fünfhundert Seiten mächtigen Werk dargestellt. Hilmes, der bereits 2004 mit einer Biographie Alma Mahler-Werfels aufwartete, schildert hier das Leben Cosima Liszts, verheiratete Bülow, verheiratete Wagner.

Es ist trotz mancher Mängel eine einigermaßen brauchbare Lebensbeschreibung dieser Frau, vor allem für jene Leser, die weniger Wagnerianer sind bzw. sich nur über Cosima Wagner informieren wollen. Oliver Hilmes will im Vorwort den Eindruck erzeugen, als habe bisher eine brauchbare Lebensbeschreibung dieser Frau nicht existiert, obwohl 2006 der Wagner- und Nietzsche-Biograph Joachim Köhler eine Biographie Cosimas herausbrachte, in der sie als alte Frau in fiktiven Dialogen ihr Leben schildert.

Richard du Moulin Eckarts 1929 noch zu Lebzeiten Cosimas erschienenes zweitausendseitiges Werk nimmt er zwar zur Kenntnis, doch lehnt er es scharf ab, denn es müsse, wie er meint, aufgrund der "sprachlich lachhaft geschwollenen und zopfigen Darstellung"  wie auch sehr subjektiven Schilderung der Protagonistin von der Warte eines linientreuen Bayreuthianers mehr als Hofberichterstattung denn als wissenschaftliche Darstellung beiseite gestellt werden. Was nicht die Moden der Zeit reflektiert oder nicht unbedingt den Tatsachen entsprechen muß, denn erstens schrieb man vor über achtzig Jahren einfach anders und zweitens wird ein Autor, der Cosima Wagner noch lebend gekannt hat und mit ihr Umgang pflegte, sie natürlich anders würdigen als ein Zeitgenosse mit der heute gern gepflegten "kritischen Distanz". Aber es stehen bei Du Moulin Eckart bereits sehr viele jener Fakten, die in Hilmes Buch als "neu" herausgestellt sind.

Dennoch ist Oliver Hilmes in den Archiven mit manchen neuen Erkenntnissen fündig geworden, die Cosima Wagner endlich in greifbarerem Licht erscheinen lassen, nachdem sie im bisher bekannten Ablauf ihres Lebens merkwürdig unkonturiert erschienen war bzw. unsichtbar hinter der von ihr selbst gewählten Mission blieb, Vollstreckerin von Richard Wagners angeblich letztem Willen zu sein. Dabei hat es Hilmes leider unterlassen, unter anderem auf Cosimas nachträgliche Veränderungen der Partituren von "Rienzi" und dem "Holländer" hinzuweisen, mit denen sie die Frühwerke ihres Mannes von eventuellen Konventionen reinigen wollte, womit Richards kompositorische Absichten mit Füßen getreten wurden. Vermißt werden in diesem Zusammenhang auch Hinweise auf die Bühnendichtungen für den häuslichen Gebrauch, die Cosima in nicht geringer Anzahl verfaßte.

Eindrucksvoll schildert Hilmes allerdings die freudlosen Jugendjahre Cosimas, ihre Erziehung durch eine puritanische französische Gouvernante, die Cosima einseitig prägen sollte und zu ihrer "freudigen Neigung zum Leiden (...) zu demutvoller Opferbereitschaft in Verbindung mit Stolz und absoluter Selbstbeherrschung" (Hilmes) führte, was sie lebenslang auszeichnete. Nach Richard Wagners Tod 1883 betrieb sie ihre völlige Identifikation mit seinem Leben und Werk, wobei sie darauf hinzielte, als lebe er in ihr fort. Bis ins hohe Alter legte sie die Witwenkleidung nicht ab und erschien nur in dunklen, faltenlosen Gewändern, wobei eine "nonnenhafte Witwenhaube das Haar völlig verdeckte".

Ausführlichkeit legt Hilmes auf die Darstellung, wie Cosima Richards ("des Meisters") Erbe als Festspielleiterin weiterführte, selbst zur "Meisterin", zur "hohen Frau" avanciert, wie jener bizarre Wagner-Kult entstehen sollte und wie die ganze Familie dadurch freiwillig-unfreiwillig kurz nach Richards Tod in das nationalistische Fahrwasser des wilhelminischen Kaiserreichs gelangte bzw. wie wiederum hieraus antisemitische Stömungen erwuchsen, die letztendlich zu einer neuen politischen Tendenzrichtung des Gesamtwerkes Richard Wagner führten. Eine Tendenzrichtung, die die NS-Bewegung später willfährig aufgriff und die in weiten Teilen die Rezeption des Werkes heute noch bestimmt.

Worüber Hilmes einiges Neues zu berichten weiß: Man hört von den aufreibenden Umständen des Lebens mit ihrem ersten Mann, dem Dirigenten Hans von Bülow, und von den grotesk-beschämenden Umständen des Todes und der Beisetzung von Cosimas Vater Franz Liszt während der Festspiele 1886 oder von Einzelheiten des unwürdigen Gerichtsverfahrens innerhalb der "Beidler-Affäre", in der Richards und Cosimas erstgeborene Tochter Isolde mit ihrem Mann Franz Beidler zugunsten ihres Bruders Siegfried aus allen Ansprüchen bezüglich Familienvermögen und Leitung der Festspiele herausgedrängt wurde.

Man vernimmt weiterhin im Buch ungewohnte antisemitische Äußerungen aus dem Mund Siegfried Wagners. Immer bleibt bei Hilmes spürbar, daß er Siegfried Wagner als Mensch und insbesondere als Komponist nicht sonderlich schätzt. Daß Siegfried tatsächlich in der Beidler-Affäre jener bösartige Intrigant war, als den ihn Hilmes schildert, ist aufgrund der bekannten "Gutmütigkeit" Siegfrieds wenig glaubhaft. Aber Hilmes segelt eben doch im Fahrwasser Brigitte Hamanns, die in ihrer sehr umstrittenen Winifred-Biographie Siegfried Wagner sehr negativ und unter anderem als einen der ältesten Gefolgsleute Hitlers darstellt. Allein dadurch, daß er sein eigenes Buch im Vorwort, das er Prolog nennt, als Vorgeschichte der Darstellung Brigitte Hamanns ansieht, hat sich der Verfasser selbst relativiert.

Obwohl Siegfrieds kompositorisches Schaffen gerade in den letzten Jahren durch das Wirken des Regisseurs Peter P. Pachl wieder einer breiten Öffentlichkeit mit großer positiver Resonanz vermittelt wurde, erfährt es bei Hilmes unangebrachterweise eine vernichtende Kritik. Zwar hat Hilmes laut Klappentext des Buches über "politische Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts" promoviert, muß sich aber vorwerfen lassen, daß er sich mit dem Werk Siegfrieds und auch Richards keineswegs auseinandergesetzt hat bzw. es in weiten Teilen überhaupt nicht zu kennen scheint. Denn sämtliche Beurteilungen von Siegfrieds Musik im Buch basieren auf schablonenhaften Gemeinplätzen, aus denen hervorgeht, daß der Verfasser in der Tat kenntnislos ist.

Man muß allerdings zugeben, daß Siegfried der Titulierung als "Meistersohn", wenn sie auf mehr als auf bloßer leiblicher Abstammung beruhen soll, musikalisch keineswegs gerecht wird. Denn er hatte niemals die Absicht, direkt seines Vaters Werk weiterzuführen. Siegfrieds Leitmotivtechnik ist genaugenommen keine, sondern ist der bloße Einsatz musikalischer "Erinnerungsmomente", allein die Technik der auch bei Siegfried vorhandenen "endlosen Melodie" der solistischen Stimmen ist eine Weiterführung des bei Richard im "Parsifal" erreichten.

Nicht zu unterschätzen sind jene Abschnitte, die sich mit Houston Stewart Chamberlain, Cosimas Schwiegersohn, und seiner Rolle im Familienclan befassen. Chamberlain in Bayreuth - seine gesellschaftliche Stellung, seine Begegnungen mit Hitler, sein ruhmloses Ende, alles das erfährt eine lebensnahe Schilderung, die man so und in dieser Eindringlichkeit bisher nirgendwo finden konnte. Gerne hätte man aber auch erfahren, daß der wegen seiner antisemitischen und pangermanistischen Haltung heute verfemte Chamberlain Cosimas Liebhaber war, bis die Hügelherrin ihren Ideologen mit ihrer Tochter Eva verheiratete.

Alles in allem, auch trotz der verzerrten Darstellung der Gestalt Siegfried Wagners: ein Werk nicht ohne Lesevergnügen, das ein kulturgeschichtliches Zeitbild der Jahre zwischen 1850 und 1930 gibt und des weiteren Neues über Richard Wagner und seine Nachkommen berichtet. Viel an unbekanntem Bildmaterial ergänzt ein Werk, das allem wissenschaftlichen Anspruch durch die sorgfältig wirkende Recherche standzuhalten scheint.     

Oliver Hilmes: Herrin des Hügels. Das Leben der Cosima Wagner. Siedler Verlag, München 2007, gebunden, 478 Seiten, Abbildungen, 24,95 Euro

Fotos: Cosima (1837-1930) und Richard Wagner (1813-1883) im Jahr 1872: Völlige Identifikation mit seinem Leben und Werk; Siegfried Wagner nach Übernahme der Leitung der Festspiele von seiner Mutter 1906: "Gutmütig", aber kein "Meistersohn"


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