© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/07 21. September 2007

Meldungen

Internationalist Herder: Lob der Mischkultur

HEIDELBERG. In der westeuropäisch-angelsächsischen akademischen Welt figuriert der deutsche "Klassiker" Johann Gottfried Herder (1744-1803) immer noch als Stammvater des "Irrationalismus" und damit als Stichwortgeber für den "Pangermanismus" des Kaiser- wie des Dritten Reiches. Isaiah Berlins Deutung des "Gegenaufklärers" (1976) hat hier so nachhaltig gewirkt, daß auch französische "Meisterdenker" wie Alain Finkielkraut oder jüngst Zeev Sternhell ("Les anti-Lumières", 2006) den gebürtigen Ostpreußen als Hypernationalisten brandmarken. Um Herder aus der "rechten Ecke" zu holen, haben deutsche und italienische Germanisten Ende 2005 eine interdisziplinäre Tagung veranstaltet, deren Referate nun in der Germanisch-Romanischen Monatsschrift (2/07) präsentiert werden. In extremem Gegensatz zu den westlichen "Entstellungen der Herder-Rezeption" erscheint Herder hier als universalistisch denkender Muster-Europäer, entschiedener Gegner des Nationalismus wie des kulturellen Ethnozentrismus. Finde sich bei Herder, einem Kronzeugen für die Notwendigkeit des "interkulturellen Verständigungsprozesses" und Lobredner der "Mischkultur", doch ein "unerschöpfliches Ideenarsenal europäischen und globalen Denkens". Verzeichnungen wie die Sternhells seien einem "Mangel an historischer Sachkenntnis" geschuldet.

 

Stadtkämpfe im  "Vernichtungskrieg"

MÜNCHEN. Eigentlich geht es in Adrian Wettsteins Aufsatz um die Mühen der Wehrmacht im "Stadtkampf" während des Rußlandfeldzugs, veranschaulicht an der blutigen Einnahme des ukrainischen Dnjepropetrowsk Anfang September 1941 (Militärgeschichtliche Zeitschrift, 1/07). Doch kann Wettstein der Versuchung nicht widerstehen, Position zu beziehen zu der augenblicklich noch leidenschaftlich umstrittenen These, die Wehrmachtsführung habe die russische Zivilbevölkerung der Vernichtung durch vorsätzlich geplanten Hungertod preisgeben wollen. Diese "Hungerpolitik" kalkulierte "bis zu dreißig Millionen Hungertote" ein. Soweit wie dies die "systematische Vernichtung" russischer Städte wie Leningrad oder Moskau einschloß, habe es der Wehrmacht dafür aber an Flugzeugen und Artillerie gefehlt. Warum dann trotzdem das im "klassischen" Häuser- und Straßenkampf von Panzer- und Infanterieeinheiten verlustreich eroberte Dnjepropetrowsk als "Fallbeispiel" für den auch hier nicht realisierten "Vernichtungskrieg" herhalten soll, bleibt Wettsteins Geheimnis. Ebenso unerklärlich ist, warum sich unter dieser Prämisse nicht Untersuchungen von "Stadtkämpfen" um Stalingrad, Budapest oder Berlin als "lohnende Forschungsobjekte" anbieten.

 

Erste Sätze

Tief ist der Brunnen der Vergangenheit.

Thomas Mann: Joseph und seine Brüder, Berlin, 1933


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