© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/07 28. September 2007

Mutter aller Reformen
Föderalismusreform II: Wissenschaftler und Politiker ringen um eine zukunftsfähige Finanzverfassung / Tagung der Stiftung Marktwirtschaft
Klaus Peter Krause

Es ist für den Staat zu leicht, Schulden zu machen." Der Satz fiel in der vergangenen Woche auf der jüngsten Tagung der Stiftung Marktwirtschaft in Berlin über den zweiten Teil der Föderalismusreform. Er stammt von dem Berliner Rechtswissenschaftler Hans Meyer. Er sprach zur Solidität der öffentlichen Haushalte, zur politischen Verantwortung und über Lösungsmöglichkeiten, Verantwortung herzustellen und Solidität zu erreichen. Bei der Föderalismusreform II geht es vor allem um die Reform der Finanzverfassung, also der Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden (JF 11/07). Das zwingt auch dazu, sich ernsthaft mit der bei weitem zu hohen Staatsverschuldung zu befassen. 

Meyer erinnerte daran, was das Ausufern dieser Verschuldung überhaupt erst möglich gemacht hat. Es ist der Artikel 115 des Grundgesetzes über die Kreditbeschaffung. Seine Fassung von 1949 war noch restriktiv. Aber mit der großen Finanzverfassungsreform von 1969 setzten sich die damaligen Politiker über die Empfehlung der Sachverständigen hinweg, die es bei der restriktiven Regelung belassen wollten. Die Neufassung von damals deklariert, wie Meyer hervorhob, die Kreditaufnahme zu einem normalen Finanzierungsmittel des Staates.

Zwar beschränkt sie die "Einnahmen aus Krediten" auf "die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für  Investitionen". Doch darf die Kreditaufnahme die Investitionen überschreiten, um "eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts" abzuwehren. Eine ernsthafte Hürde ist das, wie Meyer mit lakonischem Sarkasmus sagte, aber nicht, "da das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht die unangenehme Eigenschaft hat, immer gestört zu sein".

Nach dieser Hinwendung zur Normalisierung der Staatsfinanzierung durch Verschuldung riß es dann erstens ein, abgelaufene Kredite nur durch neu aufgenommene Kredite zurückzuzahlen (Revolvieren). Zweitens interpretierte man den Begriff "Einnahmen aus Krediten", also sämtliche neuen Kredite, einfach um in Nettokreditaufnahme und unterwarf dem Artikel 115 nur diese Nettoneuverschuldung (Schuldenaufnahme abzüglich Schuldentilgung). Zum Beispiel: Werden 100 Milliarden Euro neue Kredite aufgenommen und 65 Milliarden Altkredite getilgt, beläuft sich die Nettoneuverschuldung auf 35 Milliarden und nur mit ihnen hält man sich an die Vorschrift, nicht mit den 100 Milliarden. Die  tatsächliche Neuverschuldung ist dagegen fast dreimal so hoch.

Meyer selbst spricht von "überdehnender Verfassungsinterpretation" und sagte, durch diese Großzügigkeit werde das stetige Wachsen des Schuldenberges geradezu garantiert. Für ihn ist klar: "Der Kredit darf kein normales Finanzierungsmittel des Staates sein." Der Staatskredit sei wieder auf unvorhersehbare Sonderfälle zu beschränken, und dafür müsse es einen festen Plan für die Tilgung in den nachfolgenden Normaljahren geben. Sollte sich der Sonderfall verstetigen, müsse der Staat Ausgaben kürzen oder Steuern erhöhen. Tue er das nicht, komme es zwangsläufig auf Dauer zu neuen Schuldenbergen.

Um konjunkturell bedingte staatliche Einnahmeausfälle auffangen zu können, liegt für Meyer die staatliche Verpflichtung nahe, in den Haushalten Konjunkturausgleichsrücklagen vorzusehen, also "statt der Schuldenberge (freilich weitaus kleinere) Guthabenhügel anzulegen", und zwar sicherheitshalber (und von ihr zu verzinsen) bei der Bundesbank. Das Grundgesetz sieht dies, wenn auch ohne Verzinsung, schon vor, doch wurde diese Möglichkeit bisher nicht genutzt.

Theoretisch nennt Meyer zwei Wege, die Verschuldung zu begrenzen: "Der eine ist ein intelligent-rigides Schulden-Regime in der Verfassung, das Ausweichstrategien und auch den Bruch der Verfassung möglichst unterbindet, und das andere ist eine unmittelbare Risikoübernahme durch die Gläubiger." Der Kredit an den Staat sei bisher privilegiert, weil ein Insolvenzfall nicht zu befürchten ist. Daher gingen die Kreditgeber kein Risiko ein und seien zu jedem Kredit in jeder Höhe bereit. Das könne sich ändern, wenn man dem Staat in allen seinen Erscheinungsformen die Möglichkeit gebe, ein Insolvenzverfahren einzuleiten. Der Effekt wäre eine höhere Vorsicht bei der Kreditvergabe und eine Verteuerung des Kredits, weil nun ein Risiko abzusichern sei.

Die Begeisterung der anwesenden Politiker ob der Meyerschen Darlegungen hielt sich in Grenzen. Schon eingangs hatte Günther Oettinger (CDU) aus Baden-Württemberg als Vorsitzender der Föderalismuskommission II die Schwierigkeiten, Bedenken und unterschiedlichen Interessen in seinem Vortrag über "Wege aus der Schuldenfalle" skizziert. Und Jens Böhrnsen (SPD) aus Bremen als stellvertretender Vorsitzender sagte gegen Meyers Überlegungen zur staatlichen Insolvenzmöglichkeit: "Das ist uns fremd und sollte uns auch fremd bleiben." Ein generelles Schuldenverbot mit Ausnahmen, wie von Ernst Burgbacher  (FDP-Obmann in der Kommission) befürwortet, hält er für "ökonomisch unsinnig". Alle anderen wollen es ebenfalls nicht. So geht es nur um neue Verschuldungsregeln, also um andere als in Artikel 115, wie Böhrnsen sagte. Dieser Artikel habe ausgedient, hieß es; darüber sei man weitgehend einig.

 Nach Ansicht des Vorstands der Stiftung Marktwirtschaft, Michael Eilfort, könne der Zeitpunkt kaum besser sein, um zügig, nüchtern und pragmatisch die Föderalismusreform I zu ergänzen. Und dies am besten nicht nur um Schuldengrenzen oder Schuldenbremsen, sondern auch um eine zukunftsfähige Finanzverfassung. "Es gibt eine breite Mehrheit im Bundestag, keine Opposition im Bundesrat und eine günstigere Haushaltslage als erwartet."

Foto: Die Vorsitzenden der Föderalismuskommission Günther Oettinger (CDU) und Peter Struck (SPD): Günstige Gelegenheit


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