© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/07 28. September 2007

Die Union überholt alle links
Bildungspolitik: Ganztagsschulen als weiterer Mosaikstein in der Verstaatlichung der Kindererziehung / CDU treibt Schulreform weiter voran
Anni Mursula

Neben dem geplanten Ausbau der Kinderkrippen und dem bereits eingeführten Erziehungsgeld ist die flächendeckende Einführung von Ganztagsschulen in Deutschland ein weiteres Ziel der Bundesregierung. Die Verstaatlichung der Kindererziehung wird von der Großen Koalition in großen Schritten vorangetrieben - und das, obwohl beide verantwortlichen Ministerien CDU-geführt sind.

Frauen in die Wirtschaft zu locken und Beruf und Familie miteinander "vereinbar zu machen", ist der Bundesregierung eine stolze Summe wert: So hat sie allein für den Ausbau der Ganztagschulen bis zum Jahr 2009 vier Milliarden Euro bewilligt. Was 2003 unter der rot-grünen Bundesregierung von der SPD-Bildungsministerin Edelgard Bulmahn beschlossen wurde, wird von ihrer Nachfolgerin Anette Schavan (CDU) nun offenbar begeistert weitergeführt: "Für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind Ganztagsschulen allemal gut. Um das zu erkennen, braucht man keine wissenschaftlichen Untersuchungen, sondern gesunden Menschenverstand", sagte Schavan am vergangenen Freitag auf dem vierten Ganztagsschulenkongreß in Berlin. Zusammen mit der Kultusministerkonferenz und der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung hatte sie 1.300 Lehrer und Experten aus ganz Deutschland zu der Veranstaltung eingeladen.

Die starke Förderung durch die Bundesregierung schlägt offenbar an, denn heute ist bereits jede sechste allgemeinbildende Schule in Deutschland eine Ganztagsschule. Insgesamt werden damit in diesem Jahr über 6.400 Grund- und Hauptschulen, aber auch Förderschulen und Gymnasien unterstützt. Zumeist sind diese "offene" Ganztagsschulen mit freiwillig nutzbaren Nachmittagsangeboten. Nur sieben Prozent haben ein verbindliches Programm für alle Schüler. Das Ziel aber ist eine vollkommene Schulreform bis zum Jahr 2020.

Diese Zahlen werden vom Bund als Erfolg dargestellt, jedoch mit deutlichem Verbesserungsbedarf: Im internationalen Vergleich weise Deutschland immer noch Rückstände im Bildungswesen auf. Daran hätten auch die seit 2003 ausgegebenen 2,45 Milliarden Euro nicht viel verändert. Grund zur Sorge gebe es aber laut Schavan nicht: In Deutschland sei eine "überaus erfreuliche Entwicklung" zu verzeichnen. Niemand müsse Angst haben, es würde aus dem Vier-Milliarden-Topf Geld übrigbleiben, versicherte die Bildungsministerin.

Daß das Geld in die richtige "Baustelle" investiert werde, darüber waren sich die Redner auf dem Kongreß einig: Denn für das schlechte Abschneiden Deutschlands im internationalen Bildungsvergleich sei hauptsächlich die Halbtagsschule verantwortlich. Hierzulande bekämen Kinder vor allem aus bildungsfernen Schichten ungenügend individuelle Förderung. Finnland dagegen habe laut den hiesigen Experten seine guten Pisa-Ergebnisse vor allem der "Ganztagsschule" zu verdanken.

Doch Finnlandkundige wissen es besser: Die Schultage in den hochgelobten finnischen "Ganztagsschulen" dauern bei Grundschulkindern lediglich von 8 bis 13 Uhr. Dagegen sind die Schulklassen und der Ausländeranteil deutlich kleiner als hierzulande - was dem Pisa-Ergebnis sicherlich zuträglich war. Obwohl die CDU 2003 - damals noch in der Opposition - vehement gegen das "sozialistische" Ganztagschulenprogramm kämpfte, scheint sie nun einen vollkommenen Kurswechsel vollzogen zu haben: Neben Schavan gehört mittlerweile auch der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) - einst einer der schärfsten Kritiker - zu den Vorkämpfern des Schulmodells. Einen solchen Gesinnungswandel findet selbst die SPD amüsant: Der bildungs- und forschungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Jörg Tauss, mokierte sich über Unionspolitiker, die einen "Wandel vom Saulus zum Paulus" erlebt hätten.

Information im Internet: www.ganztaegig-lernen.de, www.ganztagsschulen.org


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