© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/07 28. September 2007

BRIEF AUS BRÜSSEL
Den Versöhnungsweg verlassen
Andreas Mölzer

In Europa soll das an Deutschen und Ungarn begangene Unrecht einzementiert werden. Denn vorige Woche beschloß das slowakische Parlament eine Erklärung, wonach die menschen- und völkerrechtswidrigen Beneš-Dekrete "unantastbar" sein sollen. Eingebracht wurde der Antrag von der mitregierenden Nationalpartei (SNS), um angeblichen Revisionsansprüchen seitens der ungarischen Minderheit einen Riegel vorzuschieben. Tatsächlich aber hatte die MKP (SMK), welche die magyarische Minderheit vertritt, zuvor Versöhnungsangebote gemacht. Die MKP hatte eine Erklärung des slowakischen und des ungarischen Parlaments angestrebt, in welcher beide Seiten das geschehene Unrecht bedauern.

Einen besonders dunklen Schatten auf die Europareife der Slowakei wirft der Umstand, daß alle Parteien außer SMK für den SNS-Antrag gestimmt haben. Und noch skandalöser ist die Begründung, mit der die Kollektivschuld gerechtfertigt wird. Die Dekrete des damaligen tschechoslowakischen Präsidenten Eduard Beneš stünden in einem "engen Zusammenhang mit der Nachkriegsordnung in Europa", behauptete der slowakische Parlamentspräsident Pavol Paška von der linken Regierungspartei Smer. Daher sei der Versuch, sie zu ändern, mit dem Versuch gleichzusetzen, die Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs zu ändern.

Für die Europäische Union scheint die Geltung von Völkermorddekreten in einigen ihrer Mitgliedstaaten ohne Belang zu sein. Denn vor dem tschechischen EU-Beitritt wurde seitens Österreichs und Deutschlands die Abschaffung der Beneš-Dekrete gefordert. Um die Aufnahme aller zehn EU-Kandidaten nicht zu gefährden, wurde Berlin und Wien in Aussicht gestellt, eine Abschaffung der Dekrete erst zu fordern, wenn Tschechien Mitglied sei. Geschehen ist freilich nichts dergleichen, nicht einmal die längst überfällige Entschuldigung Prags an die Sudetendeutschen. Tschechien hält an der 2002 vom Prager Parlament beschlossenen "Unantastbarkeit" der Beneš-Dekrete fest. Und Polen hat mit einem Sondergesetz versucht, den Entschädigungsklagen deutscher Vertriebener die prozessuale Grundlage zu entziehen, indem die Grundbucheintragungen zugunsten des staatlichen Schatzamtes geändert werden.

Mit den genannten Parlamentsbeschlüssen haben die Slowakei, Tschechien und Polen nicht nur ihren Bürgern deutscher und ungarischer Nationalität sowie den im Ausland lebenden Heimatvertriebenen einen Schlag ins Gesicht versetzt, sondern auch den europäischen Friedens- und Versöhnungsweg verlassen. Wenn verhindert werden soll, daß sich die tragischen Ereignisse in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wiederholen, dann ist geschehenes Leid und Unrecht wiedergutzumachen. Und dieser Grundsatz ist nicht nur von den Deutschen einzufordern, sondern selbstverständlich auch von allen anderen Staaten und Völkern, die auf irgendeine Weise in den letzten Weltkrieg verwickelt waren.

Der Verfasser dieser Zeilen hat nun eine schriftliche Anfrage an die EU-Kommission gestellt, um unter anderem in Erfahrung zu bringen, inwieweit die Brüsseler Behörde dafür Sorge tragen will, daß endlich ein menschenrechtskonformer rechtlicher Zustand hergestellt wird, daß die Beneš-Dekrete abgeschafft und Reparationen geleistet werden.

 

Andreas Mölzer ist Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung "Zur Zeit" und seit 2004 FPÖ-Europaabgeordneter.


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