© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/07 28. September 2007

In einem diffusen blauen Leuchten
Klänge weiten sich zu Räumen und Bildern: Richard Wagners "Tristan und Isolde" bei den Herbstfestspielen in Baden-Baden
Andreas Strittmatter

Wenn die Zeit zum Raum proklamiert wird, sitzt der Zuschauer in der Regel im "Parsifal" - oder aber im "Tristan", dirigiert von Jiří Bělohlávek. Der tschechische Maestro mit Arbeitsschwerpunkt Großbritannien ist kein Antreiber und Einpeitscher, sondern ein Erzähler und Gestalter. Tristan-Klänge, wie nun etwa bei der Eröffnung der Herbstfestspiele in Baden-Baden am vergangenen Sonntag, weiten sich unter seiner Stabführung zu Gedankenräumen und Bildern.

Schon im Vorspiel zu Richard Wagners "Tristan und Isolde" scheinen Luftwirbel sichtbar zu werden, die aus dem Unbewußten jenes Meeres emporsteigen, auf dem per Szenenanweisung eine irische Königstochter der Ehe entgegenfährt: Bei Wagner sind es Streicher, die in Triolen auffahren - und die im Festspielhaus verpflichteten Musiker des London Philharmonic Orchestra bringen die Faktur der Musik mit Einfühlung auf den Punkt, bis zum Ende, wenn das Anfängliche in seinen Urzustand zurückkehren will: Unbewußt. Höchste Lust.

Licht und Klang bestimmen die Bühne, geben Richtung und orientieren einander. Als Sinnbild zwischen Ein- und Entgrenzung fungiert zudem eine Art gebrochene Muschel (Bühne: Roland Aeschlimann), die sich im zweiten Akt und in der Schlußszene zum Sehnsuchtsportal wandelt. In diesem Rahmen setzt Nikolaus Lehnhoff die Handelnden überlegt und genau in Beziehung und formte das in Text und Musik Gesagte, aber mehr noch Unsagbare des Werkes in sinnfällige Zeichen und Andeutungen. Die der geschichtlichen Verortung des Werkes dienlichen Kostüme von Andrea Schmidt-Futterer passen sich in den unprätentiösen Gestus dieser Inszenierung ein, die in einem mächtigen Bild zum Ende Isolde in einem diffusen blauen Leuchten tatsächlich verschwinden läßt. Als Lehnhoff diesen "Tristan" erstmals auf dem Festival von Glyndebourne auf die Bühne brachte, wurde die Szene gefeiert. Im Festspielhaus Baden-Baden war es nun nicht anders. Gefeiert wurde auch das Ensemble.

Mit Nina Stemme hatte man eine Traumbesetzung als Isolde gebucht, die sich mit nachtwandlerischer Sicherheit, immensen Ressourcen, aber auch stets bedacht auf feine Zwischentöne und angenehm unroutiniert ihrer Partie anverwandelte. Robert Gambill mußte sich hingegen durch den Tristan eher kämpfen - der heute allzu übliche Fall eines Tenors, dessen Potentiale auch bei ökonomischem Wirtschaften angesichts mächtiger Orchesterauffahrten (wobei es Bělohlávek durchaus noch an Rücksicht walten ließ) und großer Häuser rasch zur Erschöpfung neigen. Achtbar und hoch solide verliehen Bo Skovhus als Kurwenal und Katarina Karnéus als Brangäne ihren Rollen Profil und Charakter.

Zu den Überraschungen des Abends gehörte freilich Stephen Milling - es kommt nicht allzu häufig vor, daß sich König Marke nachhaltig der Erinnerung einprägt. Dem dänischen Sänger, der wenngleich keine tiefschwarze, so doch eine sehr markante und sich verströmende Baßstimme sein eigen nennen kann, gelang ebendies mit einfühlender und darob fesselnder Gestaltung.

Die letzte Vorstellung von "Tristan und Isolde" findet statt am 30. September um 16 Uhr im Festspielhaus Baden-Baden, Beim Alten Bahnhof 2. Telefon: 072 21 / 30 13-0

Foto: Isolde (Nina Stemme), Tristan (Robert Gambill): Gefeiert


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