© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/07 28. September 2007

Panische Angst vor dem tyrannischen Vater
Das Schicksal des in deutsche Kriegsgefangenschaft geratenen Stalin-Sohnes Jakob Dschugaschwili, dessen Tochter jüngst starb
Hans-Joachim von Leesen

Ende August entnahm man den Medien, daß in einem Moskauer Militärkrankerlhaus Galina Dschugaschwili, eine Enkelin Stalins, im Alter von 69 Jahren gestorben sei. Weiter erfuhr man: "Dschugaschwili war die Tochter von Stalins ältestem Sohn Jakob, der im Zweiten Weltkrieg unter ungeklärten Umständen ums Leben kam."

Daß die Umstände, unter denen der Sohn Stalins aus erster Ehe, Jakob Dschugaschwili, starb, ungeklärt seien, ist falsch. Die Unterlagen über seinen Tod befinden sich im US-amerikanischen Nationalarchiv in Washington D.C. und wurden Ende der 1980er Jahre freigegeben; bis dahin hatte die Öffentlichkeit sie für verschollen gehalten. Aufgearbeitet wurde die Akte der Untersuchungskommission des Reichssicherheitshauptamtes, die den Tod klären sollte, von der Historikerin Ulrike Goeken-Haidl. Sie berichtet darüber in ihrem umfangreichen Buch "Der Weg zurück - Die Repatriierung sowjetischer Zwangsarbeiter und Kriegsgefangener nach dem Zweiten Weltkrieg", erschienen im November 2006 im Essener Klartext Verlag (JF 8/07).

Als die deutsche Wehrmacht am 22. Juni 1941 die Sowjetunion angreift, stößt sie auf riesige Truppenmassen, die sich zum großen Teil noch in der Aufstellung befinden. Sie wehren sich an einigen Stellen verbissen, halten aber an anderen Abschnitten kaum stand.  Es gelingt der Heeresgruppe Mitte, in Weißrußland große sowjetische Truppenverbände zur Kapitulation zu zwingen. Am 9. Juli ist die Doppelschlacht von Białystok und Minsk entschieden. Das Gros der sowjetischen Westfront ist zerschlagen. Die UdSSR verliert neben 1.800 Geschützen und 3.300 Panzern mehr als 300.000 Mann, die in deutsche Gefangenschaft gehen. Der Widerstandswille der sowjetischen Soldaten ist überwiegend schwach. So ist die Masse der 12., 89. und 103. sowjetischen Schützendivision kampflos zu den Deutschen übergelaufen. Eine Woche später haben nahe Witebsk Soldaten des XXXIX. Panzerkorps das VII. sowjetische Schützenkorps zerschlagen. Dabei gerät der Oberleutnant und Batteriechef Jakob Dschugaschwili, ein Sohn Stalins aus erster Ehe, in deutsche Gefangenschaft.

Sehr bald wird er erkannt und in Deutschland im Sonderlager für Kriegsgefangene von besonderer Bedeutung im Konzentrationslager Sachsenhausen untergebracht, scharf bewacht, aber gut behandelt. Die Lage der Sowjetunion wird bedrohlich. Im Winter 1941 sind bereits mehr als drei Millionen Angehörige der Roten Armee in deutscher Kriegsgefangenschaft, eine Menge, derer die Wehrmacht kaum Herr wird. Stalin muß alle Mittel aufwenden, um den totalen Zusammenbruch zu verhindern. Dazu gehören die rigorose Abkehr vom internationalistischen Bolschewismus, indem er den "Großen Vaterländischen Krieg" proklamiert, eine massiv anlaufende Propaganda über angebliche Greueltaten der Deutschen insbesondere an sowjetischen Kriegsgefangenen und der Befehl Nr. 270 vom 17. August 1941, worin Josef Stalin sämtliche in deutsche Gefangenschaft gefallenen Rotarmisten als "Vaterlandsverräter" bezeichnet, die "mit allen zur Verfügung stehenden Luft- und Bodenmitteln zu vernichten sind. Tatsächlich werden einige der riesigen Gefangenenlager mit Rotarmisten 1941 von der sowjetischen Luftwaffe angegriffen, mit Bomben belegt und mit Bordwaffen beschossen.

Stalin fordert, jeder Rotarmist habe bis zum letzten Blutstropfen zu kämpfen. Die letzte Patrone müsse für die Selbsttötung zur Verfügung stehen. Überlebende seien als Verräter anzusehen. Die Familienangehörigen der Verräter würden wie Geiseln behandelt und in die Verbannung bzw. in Straflager eingewiesen. Konsequent läßt Stalin, nachdem sein Sohn in deutsche Gefangenschaft geraten ist, seine Schwiegertochter verhaften und in ein Gefängnis bringen. Das gemeinsame Kind des Ehepaares, ein Enkelkind Stalins, wird von der Mutter getrennt und in ein Heim gebracht. Die Wehrmacht nutzte die Gefangennahme eines Sohnes Stalins für die psychologische Kriegführung. Er wurde von Kriegsberichterstattern der Propagandakompanien interviewt und zusammen mit deutschen Offizieren fotografiert. Solche Bilder wurden für Flugblätter genutzt, auf denen die sowjetischen Soldaten in russischer Sprache aufgefordert wurden, es dem Sohn Stalins gleichzutun und sich den deutschen Truppen zu ergeben. Sie wurden in großer Zahl über den russischen Linien abgeworfen.

Als Jakob Dschugaschwili davon erfuhr, war er verzweifelt, wie Haftgefährten später aussagten. Jetzt könne er nicht mehr in seine Heimat zurückkehren, sagte er. Es wird berichtet, die deutsche Seite habe später der sowjetischen Seite - allerdings ohne Erfolg - angeboten, den prominenten Gefangenen auszutauschen gegen Feldmarschall Paulus, der nach dem Fall Stalingrads im Februar 1943 in sowjetischer Gefangenschaft war, oder gegen einen Neffen Hitlers. Belegt ist das nicht.

Am 14. April 1943 bat der im Sonderlager Sachsenhausen, Prominentenlager, gefangengehaltene Stalin-Sohn den Wache haltenden Posten, den 41jährigen SS-Rottenführer Konrad Hafrich, er möge ihn erschießen. Der Wachposten versuchte, ihn zu beruhigen.

Im Protokoll der später eingerichteten Untersuchungskommission liest man die Aussage: "Dschugaschwili hat am Zaun gestanden und in gebrochenem Deutsch gesagt: 'Posten, erschießen Sie mich'. Ich antwortete, er solle keine Dummheiten machen und in die Baracke gehen und schlafen. Er wiederholte aber erneut, daß er erschossen werden will." Der Posten ging weiter. Als er sich umwandte, sah er, "daß der Gefangene in Richtung des Lagerzaunes lief und mit den Händen in den 2,60 Meter hohen elektrisch geladenen Zaun faßte. Als er den Isolator ergriff, rief er mir zu: 'Schießen! Schießen!' Ich hatte ihm dauernd zugerufen, er solle abhauen. Bevor er den Draht ergriff, hatte er sich noch hingestellt und gerufen: 'Posten, nicht feige sein!' Als er den Draht ergriff, habe ich befehlsgemäß geschossen." Goeken-Haidl schreibt: "Es ist anzunehmen, daß er aufgrund der Berührung des elektrischen Zaunes bereits tot war, als ihn die Kugeln des Postens aus etwa sieben Metern trafen." Zu diesem Schluß kam auch die Untersuchungskommission, nachdem sie Mitgefangene befragt hatte. Die sagten aus, daß sich der Oberleutnant Dschugaschwili aus Angst vor der Rache der Sowjets das Leben nehmen wollte. Alle Unterlagen befinden sich zusammen mit zahlreichen Fotografien des im Elektrodraht hängenden toten Stalin-Sohnes im Nationalarchiv in Washington.

 Schlecht erging es nach dem Krieg gefangenen deutschen Soldaten, von denen die Sowjets erfuhren, daß sie Kontakt mit dem Kriegsgefangenen Dschugaschwili gehabt hatten, wie etwa der Kompaniechef der Luftwaffenkriegsberichterkompanie 3, Major d. R. Walter Reuschle, den die USA der Sowjetunion ausgeliefert hatten. Im Verhör gab ihm ein Oberst des sowjetischen Geheimdienstes zu verstehen, er müsse verschwinden, weil er zu den Augenzeugen gehöre, die Stalins Sohn unverletzt in deutscher Gefangenschaft gesehen hätten. Er kam in Einzelhaft ins Zuchthaus Wladimir und mußte dort fünf Jahre und einen Monat ausharren, bis er im Oktober 1955 heimkehren durfte.

Nach dem Krieg konnte man in verschiedenen Veröffentlichungen lesen, Jakob Dschugaschwili sei von den Deutschen umgebracht worden. Dazu die Historikerin: "Von einer 'Ermordung' im KZ Sachsenhausen kann nicht die Rede sein."

Foto: Jakob Dschugaschwili nach seiner Gefangennahme 1941 mit deutschen Offizieren: Sippenhaft für die Familie des Stalin-Sohnes


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