© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/07 05. Oktober 2007

Blackout in Straßburg
Patriotismus: Warum sich an der NPD die Geister scheiden müssen
Dieter Stein

Gibt es Moral und Ethik in der Politik? So sehr in der Realpolitik früher oder später jede politische Partei vom Virus der Korruption befallen und von der Machtpolitik bestimmt wird - jede weltanschauliche Strömung beseelt im Innersten zunächst eine Idee, Werte, Traditionen, historische Rückbezüge, aus denen sie und ihre Anhänger Legitimität schöpfen. Sie wählt Vorbilder, Helden, Mythen, aber verarbeitet auch historische Katastrophen, aus denen sie Konsequenzen zieht. Wie ist das bei den "Konservativen", "Rechten" in Deutschland? Wenn es im Deutschland der Neuzeit eine Wegscheide gibt, dann ist dies - gerade für eine demokratische Rechte - das "Dritte Reich" und seine Verbrechen.

Ein kluger Mann schrieb vor wenigen Tagen: "Rechtes Denken ist soviel oder sowenig in einem Atemzug mit dem antisemitischen Nazitum zu nennen wie das gulagische Programm mit linker Reflexion. Insofern gehörte zum rechten und linken Erkenntnisgewinn am Ende des 20. Jahrhunderts ein gleicher Abstand zu den erlebten Entartungen beider Richtungen."

Die Reflexion über den historischen Bruch, den das "Dritte Reich" in der deutschen Geschichte darstellt, muß am Anfang jeder Debatte über nationale Identität stehen. Konservative Schriftsteller haben sich nach dem Krieg an diese Auseinandersetzung gemacht. Ernst von Salomons "Fragebogen" ist nicht allein eine Empörung über die alliierte Politik des Kollektivverdachts gegen die Deutschen, sondern auch eines der herausragenden Zeugnisse eines intellektuellen Rechtsnationalisten der Weimarer Zeit, der sich mit diesem epochalen Bruch befaßt. Trotzdem ist die Vorstellung immer noch verbreitet, man könne diesen Bruch ignorieren und einfach dahinter zurück. Doch das geht nicht.

In Straßburg kam es in der vergangenen Woche zu einem Gipfeltreffen bei der rechtsgerichteten Europafraktion ITS, einem technischen Zusammenschluß aus heterogenen rechtskonservativen und nationalistischen Parteien. An der Konferenz, so die ITS-Pressemitteilung, nahmen "maßgebliche Vertreter der deutschen Rechten" teil. Die Konferenz ist ein politischer Skandal, weil sie einem Dammbruch gleichkommt: Mit dabei war nämlich auch die NPD, die bislang als rechtsextreme Partei in Deutschland isoliert war. So saßen neben Vertretern von rechtskonservativen Splitterparteien der NPD-Chef und der Vorsitzende der rechtskonservativen Republikaner traut nebeneinander. Abgrenzungsbeschlüsse der Vergangenheit sind damit über Nacht Makulatur.

Der seit bald zehn Jahren währende "Kampf gegen Rechts", das wahllose Einschlagen mit der Faschismuskeule - ob bei Walser, Möllemann, Hohmann, Kardinal Meisner oder Eva Herman -, die Medien-Hysterie um den "Fall Ermyas M." oder "Mügeln" haben die Wahrnehmungsfähigkeit des Publikums getrübt: Alles was irgendwie "konservativ", "national" oder "rechts" ist, wird in eine Schublade gesteckt. Konsequenz bei manchen Betroffenen: Solidarisierung mit jedem Angegriffenen, auch wenn es sich dann einmal wirklich um einen offenkundigen Extremisten handelt.

Mit dem "Kampf gegen Rechts" einher geht die Paralysierung des konservativ-rechten Spektrums bis tief hinein in die CDU/CSU, was dem Aufstieg der rechtsextremen NPD erst den Boden bereitete.

Die NPD - rechtsextrem? Falls es sich noch nicht herumgesprochen hat: Die NPD vor 40 Jahren unter ihrem damaligen Vorsitzenden, dem Großbürger Adolf von Thadden, dessen Schwester Elisabeth von Thadden als Widerstandskämpferin im Juli 1944 vom Volksgerichtshof unter Roland Freisler zum Tode verurteilt und am 8. September in Berlin-Plötzensee hingerichtet wurde, diese NPD von damals ist im Vergleich zur heute in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern reüssierenden Partei gleichen Namens eine fast schon bürgerlich-rechtskonservative Partei.

In der geschichtspolitischen Dogmatik der NPD, die derzeit beabsichtigt, das politische Feld von rechtsaußen bis zur Union aufzurollen, gab es keinen legitimen Widerstand gegen das verbrecherische NS-Regime. Den Namen der Schwester des einstigen NPD-Chefs Thadden würde man in der Parteipresse der NPD niemals gewürdigt sehen, wie man dort auch die anderen Namen des Widerstandes des 20. Juli 1944 verhöhnt, weil es sich um angebliche "Verräter" handelt. Dagegen stilisiert man Otto Ernst Remer, der den Aufstand um Stauffenberg niederschlug, zum Helden und organisiert jährlich martialische Gedenkmärsche für den "Führerstellvertreter" Rudolf Heß.

Das Beispiel des Straßburger Gipfels zeigt, daß Konservative in Deutschland und Österreich deutlicher klarstellen müssen, wo ihre politische Bestimmung und wo Unvereinbares ist. Ohne eine Klärung der Vergangenheit, ohne eine ernsthafte Klärung der ethischen Begründung einer wie auch immer bezeichneten "nationalen", "rechten", "konservativen" Politik geht es nicht. Es ist deshalb verantwortungslos und ein fundamentaler Fehler, wenn man glaubt, diese Frage ausblenden zu können. Es zeugt von fehlendem Instinkt für diese Frage, wenn man, wie Andreas Mölzer es bei seiner Einladung der NPD getan hat, die NPD und ihr Milieu zu einer diskutablen "patriotisch-nationalbewußten Rechten" zählt. Wer sich der deutschen Vergangenheit nicht stellt, kann kein Patriot sein.


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