© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/07 05. Oktober 2007

Kampf um die besten Köpfe
Hochschulen: Politik und Wirtschaft bemühen sich händeringend darum, deutsche Wissenschaftler von der Abwanderung ins Ausland abzuhalten
Michael Weis

Rund 230 junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler versammelten sich unlängst in San Francisco zur Jahrestagung von GAIN (German Academic International Network), einer Initiative, die es sich zum Ziel gesetzt hat, junge deutsche Akademiker in Amerika zusammenzuführen. Das Fazit der auch von vielen hochrangigen Vertretern aus Politik und Wissenschaft besuchten Veranstaltung: "Wissenschaftlicher Nachwuchs hatte in Deutschland noch nie so gute Chancen wie heute."

Nicht nur, daß die deutsche Wirtschaft händeringend Fachkräfte sucht, um in Forschung und Produktion weiter an der Weltspitze mitspielen zu können, auch die Politik bemüht sich wie noch nie, die besten Köpfe zu ködern. So hieß es in San Francisco, 10.000 neue Stellen für Akademiker in Deutschland seien so gut wie sicher. Von diesen sollen alleine 3.000 bis 5.000 durch die Exzellenzinitiative geschaffen werden, einem von Bund und Ländern ins Leben gerufenen Programm zur Stärkung der Spitzenforschung an den Universitäten.

Ergänzt werden die vermeintlich guten Aussichten durch den Hochschulpakt 2020, der die universitäre Forschung weiter fördern soll, und durch EU-Fördergelder aus dem Topf des European Research Council (ERC). Ferner ist damit zu rechnen, daß alleine aus Altersgründen bis 2015 etwa 125 Professorenstellen frei werden und somit ambitionierte Wissenschaftler nachrücken können. Und damit nicht genug, das Juniorprofessorenprogramm bietet bereits seit 2002 herausragenden Nachwuchswissenschaftlern eine Möglichkeit auch ohne Habilitation an den Hochschulen dauerhaft Fuß zu fassen.

Doch so sinnvoll, notwendig und bemüht diese Programme auch sein mögen und so positiv die Stimmung bei GAIN auch gewesen sein mag, kann all dies nicht über zwei Punkte hinwegtäuschen: Deutschland hat zu wenig akademischen Nachwuchs. Und: Die Besten der jeweiligen Jahrgänge gehen vielfach ins Ausland.

Bereits heute macht sich das bei der Wirtschaft in einem beginnenden Fachkräftemangel und an den Universitäten in oft schlechten Lehr- sowie Lernbedingungen bemerkbar. Verstärkt wird diese Tendenz dadurch, daß nicht nur die jungen, sondern auch die alten Wissenschaftler Deutschland den Rücken kehren. Schließlich erschweren ihnen starre Altersregelungen eine Lehrtätigkeit jenseits der 65 erheblich.

Angesichts all der aktuellen Anstrengungen von Politik und Wirtschaft und der positiven Darstellung von GAIN stellt sich somit die Frage nach den Ursachen der aktuellen Situation. Denn auch wenn die Chancen in der Deutschland so gut sein mögen wie nie zuvor, sind doch die Rahmenbedingungen noch immer nicht optimal und die Möglichkeiten vielfach mehr als eingeschränkt.

Wie so oft sind die Gründe vielfältig. Angefangen bei der in der Bundesrepublik oft vernachlässigten frühkindlichen Bildung über mangelnde Berufsvorbereitung an allen Schultypen bis hin zu nicht bewältigten gesellschaftlichen Spannungen - oft durch fehlende Integration - lassen sich mannigfache Ursachen für den Mangel an studienfähigen, jungen Menschen auflisten.

Bezogen auf die im Studium befindlichen und fertigen Akademiker sind die Probleme konkretisierbarer. Zum einen leiden diese während der Hochschulausbildung oft unter überfüllten Veranstaltungen, schlechter individueller Betreuung und der Vermittlung veralteten Fachwissens. Hinzu gesellen sich mancherorts baufällige Universitätsgebäude und extrem altmodische Laborausstattungen. Ganz zu schweigen von den Folgen des Bologna-Prozesses, die sich in Verunsicherung, schlechter Studienorganisation und einem weitaus weniger anerkannten Abschluß - dem Master anstelle des Diploms - bemerkbar machen.

Sind Studium und Promotion bewältigt, sehen sich Forscher in Deutschland mit hohen Steuersätzen, Bürokratie und massiver Einbindung in den Ausbildungsbetrieb konfrontiert. Überdies sind die Forschungsgelder gering, und die Arbeit etwa auf dem Gebiet der Gentechnik oder der Kernphysik ist infolge medial geschürter Ängste geächtet.

Aber gerade dies, nämlich die Möglichkeit zu umfassender, ideologiefreier Forschung unter modernen, nicht unterfinanzierten Bedingungen, ist es, was Spitzenkräfte anlockt. Wer will sich schließlich schon in Deutschland mit einer Flut an Genehmigungsformularen und Verboten herumärgern, wenn er im Ausland problemlos genetische Forschung betreiben kann? Wer möchte Kernphysiker in einem Land sein, das die Atomkraft abschafft?

Folglich könnten alle Bemühungen der deutschen Politik, die Besten der Besten in Deutschland zu halten, an den nach wie vor schlechten Rahmenbedingungen scheitern - mit katastrophalen Folgen. Ohne eine massive Steigerung der Ausgaben im Vorschul-, Schul- und Hochschulsektor und eine Überwindung der fortschrittsfeindlichen Ideologie wandert die Elite aus, ohne daß eine neue nachwächst.

In diesem Fall wären die 10.000 freien Arbeitsplätze und die 125 freiwerdenden Professuren kein Segen, sondern ein Fluch. Sie würden die Spitze eines Eisbergs aus Ärzte-, Ingenieur und Lehrermangel bilden, der Deutschland in den wirtschaftlichen Abgrund reißen könnte.

Foto: Spitzenforschung in der chemischen Industrie: Zehntausend neue Stellen in Aussicht gestellt


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