© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/07 05. Oktober 2007

Nach dem Fall Filbinger
Tagungsbericht: Jahreskongreß des Studienzentrums Weikersheim auf Schloß Stetten / Mitgliederzuwachs
Klaus Peter Krause

Weikersheim fand statt, aber nicht in Weikersheim - diesmal nicht. Der Name der kleinen Ortschaft an der Tauber steht bei politisch Interessierten für das Studienzentrum Weikersheim. Im Renaissance-Schloß des Ortes veranstaltet das Zentrum seit seiner Gründung 1979 seine Jahreskongresse. Aber den 29. Kongreß konnte es dort nicht stattfinden lassen. Kolportiert wurde, das Schloß sei ihm diesmal, veranlaßt von der Landesregierung Baden-Württemberg als Inhaber, als Tagungsstätte verweigert worden, und zwar infolge der politisch-medialen Hetzjagd gegen Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) wegen dessen Trauerrede auf Hans Filbinger im April und der verhängnisvollen Passage, Oettinger sei kein Nationalsozialist, sondern ein Gegner des NS-Regimes gewesen. Im Laufe der folgenden schrillen Auseinandersetzung hatten Oettingers politische Gegner auch das konservative Studienzentrum Weikersheim (SZW) ins Visier genommen.

In dieser Bedrängnis ließ Oettinger seine Mitgliedschaft im Studienzentrum vorerst ruhen, glaubte dann aber, sie ganz beenden zu müssen. Die amtliche Begründung klang arg geheuchelt: Man nehme dort keine "originären Landesinteressen" wahr, und viele andere Mitgliedschaften Oettingers seien ebenso überprüft und beendet worden. Daher schien es glaubhaft, dem Studienzentrum sei die hergebrachte Tagungsstätte wegen der gleichen Bedrängnis versagt worden. Denn Hans Filbinger war Mitgründer des Zentrums, und Oettingers angegriffene Trauerrede hat Oettingers Redenschreiber Michael Grimminger verfaßt, der nun dem Vorwurf ausgesetzt wurde, früher enger Mitarbeiter des anderen Gründers gewesen zu sein: des konservativen Philosophen Günther Rohrmoser.

Unter Beschuß der politischen Linken steht das Studienzentrum, weil es sich als "das christlich-konservative Forum für politisches Mitdenken und Mitgestalten" versteht und die Wertvorstellungen der konservativen bürgerlichen Mitte in die politische Debatte einbringt, um hergebrachte Werte zu bewahren. Daher ist sie Angriffsziel der politischen Linken im "Kampf gegen Rechts" seit Anbeginn und immer wieder Gegenstand von Diffamierung, die den Sickereffekt haben soll, hier werde rechtsextremes Gedankengut ausgebreitet. So lag die Vermutung nahe, der Landesregierung sei es geboten erschienen, nun auch gegenüber dem Studienzentrum auf Distanz zu gehen, um dem politischen Gegner diesen (wenn auch absurden) Angriffspunkt ebenfalls zu nehmen.

Wohl mußte das Studienzentrum für seinen diesjährigen Jahreskongreß einen anderen Tagungsort finden, aber nicht aus dem kolportierten Grund. SZW-Präsident Bernhard Friedmann hat die Verlegung so dargestellt: Ursprünglich habe der Jahreskongreß Ende Juni stattfinden sollen. Doch habe dieser Termin kollidiert mit den Proben für den musikalischen Sommer und die Opernaufführungen im Weikersheimer Schloßhof. Diese Kollision hätte bis Mitte Juli fortbestanden. In dieser Lage habe SZW-Mitglied Wolfgang Freiherr von Stetten für das erste Juli-Wochenende als Tagungsort Schloß Stetten bei Künzelsau angeboten. Doch da auch dieser Termin nicht zustande kam, sei nichts anderes übriggeblieben, als die Veranstaltung auf die Zeit nach den Sommerferien zu verlegen, und am Verlegungsort Schloß Stetten habe man nun festgehalten, um ein Hin und Her zu vermeiden. Es sei aber dafür gesorgt, daß der nächste Kongreß wieder im Weikersheimer Schloß stattfinden könne.

Dem Studienzentrum haben die Angriffe im Frühjahr auch etwas gebracht, nämlich einen Besuch von 400.000 Interessenten auf der Internetseite binnen zwei Monaten und 85 neue Mitglieder in dieser Zeit. Da Friedmann die aktuelle Mitgliederzahl mit gut 400 angibt, ist der Zuwachs beträchtlich. Dem stehen nach Friedmann nur neun Austritte gegenüber.

Die Veranstaltung selbst war durch drei Vorträge geprägt. Eberhard Schockenhoff, Moraltheologe an der Universität Freiburg und stellvertretender Vorsitzender des Nationalen Ethikrates der Bundesrepublik Deutschland, sprach über den prägenden Einfluß der christlichen und jüdischen Religionen auf die Kulturen Europas. Der Rechtswissenschaftler Arndt Diringer maß die Grundrechte an ihrem Anspruch und an der Wirklichkeit und prangerte den "ganz alltäglichen Verfassungsbruch" in Deutschland an. Jürgen Liminski, Redakteur beim Deutschlandfunk, befaßte sich mit der Frage, ob den großen demokratischen Parteien der Niedergang droht.

Schockenhoff stellte die Bedeutung der Menschenwürde heraus. Die Idee der Menschenwürde sei in Europa entstanden. Sie verdanke sich dem Zusammenwirken unterschiedlicher Ideen, Einflüsse, Erfahrungen. Zu ihren Wurzeln gehörten das Christentum und die Aufklärung. Menschenwürde besage, daß der Mensch um seiner selbst willen zu achten sei, nicht als Mittel zu einem Zweck. Menschenwürde sei unteilbar, und zwar in allen Phasen des Lebens eines Menschen - ob als Kind, das die Menschenwürde noch nicht, oder ob als Demenzkranker, der sie nicht mehr wahrnehmen könne. Auch der Islam müsse jetzt die Phase der Aufklärung durchlaufen, wie auch das Christentum sie habe durchlaufen müssen. Mehr noch, er müsse wesentliche Teile seiner religiösen Grundlage säubern, zum Beispiel von dem Anspruch, seine Religion auch mit Gewalt durchzusetzen. Zu Schockenhoffs Vortrag erläuterte Friedmann, er habe auch Charlotte Knobloch, die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, eingeladen, beim Studienzentrum Weikersheim zu sprechen, aber bis heute keine Antwort erhalten, "weil sie meint, wir seien antisemitisch".

Diringer machte den "ganz alltäglichen Verfassungsverstoß" an den Beispielen Gleichbehandlungsgesetz, Gender Mainstreaming, gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft, Kinderbetreuung, Familienpolitik fest. Staatliche Politik heute wolle die Gleichheit von Menschen durchsetzen. Im Grundgesetz stehe aber nicht, alle Menschen seien gleich, sondern alle Menschen seien vor dem Gesetz gleich. Wer Gleichheit wolle, beseitige die Freiheit. "Freiheit und Gleichheit schließen sich aus." Das Gleichbehandlungsgesetz bezeichnete Diringer als die gesetzliche Form der Political Correctness. "Dieses Gesetz ist durch und durch verfassungswidrig und ebnet den Weg zum Totalitarismus." Ziel des Gesetzes sei, die Gesinnung der Menschen zu prüfen und zu lenken. Wenn der Staat seine Bürger erziehen wolle, sei er eine Diktatur.

Diringer gehört zu den Neumitgliedern des Studienzentrums. Er sei beigetreten, sagte er, "um ein Signal zu setzen, weil das Studienzentrum angegriffen wird". Kein Vorwurf sei zu lächerlich, um ihn nicht gegen das SZW zu richten. Sein Schlußappell: "Weikersheim stand immer für freiheitliche Demokratie. Wenn wir aufhören zu kämpfen, haben wir unsere Grundrechte schon verloren."

Liminski konzentrierte sich auf die Familienpolitik der Großen Koalition und die frühkindliche Betreuung außerhalb der Familie. In der Familienpolitik der CDU gingen Programm und Wirklichkeit schon lange auseinander. Als Spalterin betätige sich vor allem die Familienministerin Ursula von der Leyen. Liminski hält es für fraglich, ob die CDU bei der nächsten Bundestagswahl überhaupt noch eine Chance habe. Den Ausschlag werde die Familienpolitik geben. Dem Gerede vieler, man wähle die CDU nur noch als das kleinere Übel, stellte er die rhetorische Frage entgegen: "Ist denn die CDU überhaupt noch das kleinere Übel?"

Ausführlich befaßte sich Liminski mit der Bedeutung des Humanvermögens ("nicht des Humankapitals"). Jede Partei müsse sich damit auseinandersetzen. Im wesentlichen angelegt werde es in den ersten drei Lebensjahren eines Kindes. In dieser Zeit würden auch die notwendigen Bindungen des Kindes angelegt. Das Bindungsvermögen in den ersten drei Jahren entscheide über das spätere Bildungsvermögen. Bindung sei wichtiger als Bildung. Hierfür sei die Familie unverzichtbar. Das Wichtigste, was das Kind in seinen ersten drei Jahren brauche, seien Zuwendung, Zärtlichkeit, Zeit. In Kinderkrippen dagegen gelte es nur, die Kinder wenigstens satt, sauber und beschäftigt zu halten. Mehr könnten Kinderkrippen auch bei bestem Willen nicht leisten, dann sei ihre Förderkapazität erschöpft. Aber für das Schaffen von Humanvermögen  durch Bindung und die Ergebnisse der Bindungsforschung seien alle Parteien blind. Liminski weiß, wovon er spricht: Er hat mit seiner Frau zehn Kinder und mit ihr zusammen das Buch "Abenteuer Familie" geschrieben.


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