© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/07 05. Oktober 2007

Die Wahrheit hat viele Feinde
Vor zwanzig Jahren starb der CDU-Politiker Uwe Barschel: Verfälschungen prägen die Medienflut zum makabren Jubiläum
Wolfram Baentsch

Wer wollte Bernard Bertossa widersprechen, wenn er sagt, für die Wahrheit ist es nie zu spät?  Der Richter am Bundesstrafgericht im schweizerischen Bellinzona empfiehlt der deutschen Justiz, zwanzig Jahre nach dem Tod des deutschen CDU-Politikers Uwe Barschel die Ermittlungen in diesem Kriminalfall wieder aufzunehmen. Und das nicht nur pro forma, sondern mit guten Erfolgsaussichten: "Es gibt Leute, die die Wahrheit kennen", hat Bertossa vor wenigen Tagen der Süddeutschen Zeitung anvertraut.

Über die Todesumstände des am Morgen des 11. Oktober 1987 bekleidet in der Badewanne seines Genfer Hotelzimmers im "Beau Rivage" leblos aufgefundenen 43jährigen Deutschen weiß in der Schweiz wohl niemand besser Bescheid als Bertossa.  Als er 1990 das Amt des Generalstaatsanwalts von Genf übernahm, machte er schnell mit den Gerüchten Schluß, der ehemalige Ministerpräsident von Schleswig-Holstein sei durch Selbstmord - mit oder ohne Sterbehelfer - aus dem Leben geschieden. Die Aktenlage vermittelte ihm ein anderes Bild.

Und Bertossa gehört nicht zu denen, die aus Bequemlichkeit oder aus politischer Gefälligkeit fünfe gerade sein lassen, um mit dem Stempel Suizid die Akten zuzuklappen. Im Gegenteil: In einem Interview mit der Illustrierten Stern griff er damals die deutsche Justiz heftig an, die ihn bei den Ermittlungen total im Stich ließ. "Wann machen die Deutschen endlich ihre Arbeit?" fragte er und zerfetzte die dünne deutsche Ausrede, aus Respekt vor der eidgenössischen Souveränität müßte man auf eigene Ermittlungen verzichten.

 Dem ZDF erklärt Bertossa nun auch wieder, wie sehr ihn die Untätigkeit der nördlichen Nachbarn frustriert: "Hätten die Deutschen seriös recherchiert, hätten sie Dinge finden können, die wir in der Schweiz nicht finden konnten."

Recht hat der Bundesrichter aus Bellinzona. Aber vielleicht überschätzt er auch die Möglichkeiten, die deutschen Ermittlern zu Gebote stehen. Die Staatsanwälte sind hierzulande weisungsgebunden. In Fällen von politischer Brisanz müssen sie immer gewärtigen, daß ihnen ein Vorgesetzter in den Arm  fällt - mit juristischen Scheinargumenten, hinter denen handfeste  politische Absichten stecken . Vollstrecker der rechtsfremden Eingriffe ist meist ein Generalstaatsanwalt, Jurist zwar, in der Regel aber auch ein politischer Beamter, der ohne Begründung  jederzeit abberufen werden kann. Dieser Status fördert die  Bereitschaft, einem Wink aus dem Ministerium stets die gehörige Beachtung zu schenken.

So ist es auch in Schleswig-Holstein, wo dem Leitenden Oberstaatsanwalt Heinrich Wille als Chef der Lübecker Behörde Ende 1994, sieben Jahre nach Barschels Tod, endlich die Möglichkeit eingeräumt wurde, eigene Ermittlungen "wegen des Verdachts des Mordes zum Nachteil von Dr. Dr. Uwe Barschel" anzustellen. Aber Wille durfte nicht einfach nur ermitteln; er mußte sich auch mit wechselnden Generalstaatsanwälten herumschlagen, was eine erhebliche Erschwernis der Arbeit bedeuten sollte. 

Nur gezwungenermaßen ließen die Politiker im Land wie im Bund die Aufnahme der Ermittlungen überhaupt zu. Denn der Zürcher Chemiker und Toxikologe Hans Brandenberger hatte mit dem Nachweis Druck gemacht, daß sich Barschel (entgegen der fortwährend über die Medien geträufelten Desinformation) gar nicht selbst hatte umbringen können: Drei im Körper nachgewiesene Medikamente hatten ihn längst bewußtlos gemacht, bevor dem nicht mehr Handlungsfähigen das tödliche Gift (Cyclobarbital) verabreicht wurde. Außerdem verstörte ein Buch die Öffentlichkeit, in dem ein ehemaliger Geheimagent des Mossad, Victor Ostrovsky, den Mord an dem deutschen Politiker en detail beschreibt und ein Mordmotiv nennt:  Barschel sei entschlossen gewesen, sein Wissen über verbotene Waffengeschäfte zu enthüllen, die von deutschen und ausländischen Geheimdiensten über Schleswig-Holstein liefen. Für Politiker, die das zugelassen haben, äußerst peinlich.

Zu alledem drohte nun auch noch der schwerste gegen Barschel je erhobene Vorwurf in sich zusammenzufallen. Im Landtagswahlkampf von 1987, so die über Jahre mit Eifer verbreitete Version, soll sich der frühere Ministerpräsident des zwielichtigen Journalisten Reiner Pfeiffer bedient haben, um seinen Herausforderer Björn Engholm durch Bespitzelung, eine anonyme Steueranzeige und mittels kriminellen Psychoterrors aus dem Rennen zu werfen.  Ein erster parlamentarischer Untersuchungsausschuß hatte dies 1988 - wie eifernd auch Der Spiegel -  zur Gewißheit erklärt. Nein, befand sieben Jahre später ein zweiter Ausschuß des Kieler Parlaments; Pfeiffer war nie "Barschels Mann fürs Grobe" gewesen, statt dessen aber ein verkappter Agent der Oppositionspartei. Vom SPD-Parteivorsitzenden wurde Pfeiffer für seine erfolgreiche Wahlhilfe denn auch heimlich mit 50.000 Mark belohnt (die der Spender in der Schublade seines häuslichen Schreibtischs angespart haben wollte).

Die weitreichende Rehabilitierung durch den "Schubladenausschuß" hätte nach den Gesetzen der Logik auch zu einer anderen Bewertung des berühmten Ehrenworts führen müssen, das Barschel angeblich gebrochen haben soll, wie überall zu lesen und zu hören war. Daß er nicht Pfeiffers Auftraggeber war und von dessen Machenschaften erst aus dem Spiegel erfuhr, das und nicht mehr hatte das Ehrenwort bekräftigt. Und das entsprach der Wahrheit.

Allerdings sollte es die Wahrheit weiterhin schwer haben. Die Medien zeigten sich wenig geneigt, die Ergebnisse des 2. Parlamentsausschusses der Öffentlichkeit zu vermitteln. Und die alte Rollenverteilung - Barschel als Täter und Engholm als Opfer - umzukehren, fiel den Zensoren in den Verlagen und Sendern damals und bis heute nicht ein.

Welche Einschränkungen der Ermittlungsauftrag den Lübecker Staatsanwälten auferlegte, ist nicht bekannt geworden. Auffällig aber, daß sich die Ermittler nie über die Hintergründe des Wahlkampfs von 1987 geäußert haben. Dennoch muß Behördenchef Heinrich Wille alle diejenigen schwer enttäuscht haben, die von ihm bloße Scheinaktivitäten zwecks Beruhigung der Bevölkerung erwartet hatten. Willes Elitetruppe "Soko Genf" förderte im Gegenteil erstaunliche Ergebnisse zutage. Den längst erkalteten Tatort brachten die Kriminalisten zum Reden, sammelten Mordindizien und vielerlei Spuren der Gewaltanwendung gegen Uwe Barschel.

Der Nachteil dieser überaus erfolgreichen Arbeit war, daß fast alle wichtigen Mordhinweise bei der Generalstaatsanwaltschaft versickerten. Die Öffentlichkeit hat davon erstmals durch mein Buch erfahren, das bei Herbig unter dem Titel "Der Doppelmord an Uwe Barschel - Die Fakten und Hintergründe" erschienen ist.

Nach Recherchen, die drei volle Jahre in Anspruch genommen haben, ist mein Buch nur zufällig kurz vor dem 20. Jahrestag des Todes in Genf erschienen. Und es hat auch wenig gemein mit der Flut von Veröffentlichungen, die aus Anlaß des makabren Jubiläums in diesen Tagen und Wochen über Leser-, Hörer-, Seherschaften hereinbricht. Das meiste davon ist erschreckend fehlerhaft, oft nicht allein aus Unkenntnis, sondern bewußt verfälscht - beispielsweise, wenn der NDR in einer sogenannten Dokumentation reihenweise notorische Falschmünzer als Verkünder der reinen Wahrheit aufmarschieren läßt oder der Stern  Barschel zum Drahtzieher von Waffengeschäften macht, die von seinen Gegnern hinter seinem Rücken und gegen seinen lebhaften Protest gefingert worden sind. (Wenn in den Massenmedien die Annäherung an die Wahrheit im Fall Barschel doch einmal möglich wird, dann wird der Beitrag so versteckt, daß er nur von wenigen wahrgenommen werden kann: So wie beispielsweise die ZDF-Dokumentation in der Reihe "History", die am 7. Oktober 2007 gezeigt werden soll - um 23.30 Uhr.)

Die große Ausnahme unter den zahllosen Nichtigkeiten zum Thema Barschel ist ausgerechnet ein Buch, das nicht erscheinen darf. Der neben dem Schweizer Bertossa beste Kenner der Todesumstände ist Heinrich Wille, der Leitende Oberstaatsanwalt in Lübeck. Sein Manuskript trägt den Arbeitstitel "Der Mord an Uwe Barschel", und es ist, nach allem was daraus bekannt geworden ist, auch inhaltlich ziemlich dicht am "Doppelmord": Es könne kein Selbstmord gewesen sein, dafür gebe es kein einziges Indiz. Viele Belege wiesen eindeutig auf Mord. Es gebe Hinweise auf eine Beteiligung von Geheimdiensten, zum Beispiel der CIA. Selbstmord? Nein, der komme nicht in Betracht, dafür gebe es nicht ein einziges Indiz ...

Dennoch spricht Willes Vorgesetzter, der Generalstaatsanwalt aus Schleswig, Erhard Rex, in jedes hingehaltene Mikrophon, er halte Selbstmord nach wie vor für das Wahrscheinlichste (siehe auch die erste Meldung auf dieser Seite). Woher mag der Politbeamte sein Wissen wohl haben, wenn nicht von Willes Lübecker Staatsanwaltschaft, die das ganz anders sieht? Dieser Vorgesetzte ist es auch, der dem Autor Wille die Veröffentlichung seines Buches verboten hat und damit quer durch alle Instanzen recht bekam.

Schon früher wurden Heinrich Wille auf dem Weg zur Wahrheit Knüppel zwischen die Beine geworfen. Mißfallensäußerungen, er hätte sich in Mordtheorien verrannt, sickerten aus dem Umfeld des Schleswiger Amtes in die regionale Presse; sogar Zeugen wurden durch gezielte Veröffentlichungen gefährdet. Und bereits Anfang 1997 verlangte der damalige Generalstaatsanwalt von Wille ultimativ, die Ermittlungen einzustellen. Erst nach Protesten von Justus Warburg, dem Anwalt der Familie Barschel, durften die Lübecker noch eine Zeitlang weiterermitteln.

 Im Schlußbericht von 1998 aber hatte die politisch erwünschte Formel vom nicht auszuschließenden Selbstmord zu stehen, die es schon immer leichter machen sollte, Gras über den Skandal um die Mißhandlungen wachsen zu lassen, denen der Politiker Uwe Barschel körperlich und moralisch ausgesetzt war und ist.

 

Wolfram Baentsch arbeitete unter anderem als Redakteur beim Spiegel und bei Capital, später war er Chefredakteur der Wirtschaftswoche. Im Herbst vorigen Jahres (JF 44/06) veröffentlichte er das Buch "Der Doppelmord an Uwe Barschel" (Herbig, München 2006, geb., 317 Seiten, 24,90 Euro). In der nächsten Woche erscheint von ihm das Hörbuch "Tod in Genf" (Polarfilm, Laufzeit: 73 Minuten, 9,95 Euro).

Foto: Uwe Barschel (M.) am 18. September 1987 bei seiner "Ehrenwort"-Pressekonferenz: Moralische und körperliche Mißhandlungen


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