© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/07 05. Oktober 2007

Sizilianische Verhältnisse
Israel: Die personell schwache Polizei hat das organisierte Verbrechen nicht mehr im Griff / Drogen und Prostitution als lukrative Einnahmequelle
Roni Goldenberg

Israel-Reisenden fällt die Präsenz der vielen Gewehrläufe und Patronen sofort auf, wenn sie zum ersten Mal ins Heilige Land kommen. Die jungen Soldaten bedeuten für manche ein Gefühl von Sicherheit - was jedoch eine optischen Täuschung ist. Denn für die innere Sicherheit sind eigentlich die in Blau gekleideten Polizisten zuständig, doch deren Anwesenheit ist in den Städten kaum zu spüren.

Dies wird von offiziellen Statistiken untermauert: Israel besitzt gerade einmal 27.000 Polizisten - Anwälte gibt es zum Beispiel stolze 33.000. In den Großstädten fährt lediglich ein Wachmann pro Streifenwagen, und das Polizeipräsidium von Tel Aviv (einer Großstadt mit 300.000 Einwohnern) kann oft auf nicht mehr als anderthalb Dutzend Fahrzeuge zurückgreifen.

Noch gravierender erscheinen jedoch die Sicherheitsmängel, betrachtet man die bekanntgewordenen Verstrickungen der Gesetzeshüter mit der israelischen Unterwelt: Ein Polizeioffizier versorgt mafiöse Kreise mit delikaten Informationen, ein weiterer beschafft für israelische Großkriminelle eine Einreisemöglichkeit in die USA, und ein anderer ehemaliger Freund und Helfer hat sich sogar als Auftragskiller verdingt, bis er von eigenen Landsleuten in Buenos Aires zur Strecke gebracht wurde. Letztgenannte Affäre hat den damaligen Polizeichef, Mosche Karadi, seinen Posten gekostet. Der neue, Dudi Kohen, gilt als tatkräftig, aber auch er wird die israelische Mafia wohl nicht aufhalten können.

Kriminelle Banden, mafiöse Großfamilien, Schutzgelderpressungen und Machtkämpfe finden heute in fast jeder Großstadt statt: Vor kurzem wurde in der nördlichen Stadt Akko ein Wagen in die Luft gesprengt, fünf Passanten wurden leicht verletzt. Grund: Revierkämpfe im Rauschgiftmilieu. Nun befürchtet die Polizei einen Bandenkrieg von rivalisierenden arabischen Clans. In Netanja betätigen sich zwei Banden als die größten Plastikflaschenrecycler, da der Pfand steuerfrei ausgezahlt wird - die Summe geht in die Millionen und finanziert selbstverständlich andere Machenschaften. Die Liste der Aktivitäten ist lang und wurde stets von den politischen Zuständen kaschiert. Nachdem im Sommer im israelisch-palästinensischen Konflikt eine gewisse Ruhe eingekehrt war, wurde die brenzlige Lage um so deutlicher.

Bekannt ist, daß arabische und jüdische Clans grenzübergreifend und politischen Animositäten zum Trotz eng zusammenarbeiten. Die Schmuggelwege von der Bekaa-Ebene im Libanon, wo die begehrte Hanfpflanze (Cannabis) wächst, und vom Sinai in die Negev-Wüste sind ganz in der Hand von Beduinen. Vom Süden her werden nicht nur Drogen, sondern auch russische Prostituierte ins Land eingeschleust, mit denen die "Massagesalons" von Tel-Aviv ausgestattet werden. Diese Etablissements sind wiederum eine wichtige Einnahmenquelle für das organisierte Verbrechen, wobei immer wieder Medienberichte auftauchen, in denen es heißt, einzelne Polizisten hielten ihre schützende Hand über die Eros-Zentren. Aber nicht nur die Infiltration der Polizei ist erschreckend, auch die Me-dienpräsenz einiger Unterweltler gibt zu  denken. Als der prominente Mafiaboß Seew Rosenstein festgenommen und an die USA ausgeliefert wurde, verloren einige Promi-Partys einen gern gesehenen Gast. Die israelischen Medien berichten daher über jeden Schritt solcher Familien.

Wenn dann ein Film aus einer Überwachungskamera auftaucht, in dem zwei rivalisierende Familienmitglieder und ihre "Unterhaltung" zu sehen ist, wird dieser in allen Nachrichtensendungen ausgestrahlt. Anschließend versuchen die Journalisten Exklusivinterviews mit den jeweiligen Akteuren zu ergattern, weswegen einige Bosse einen Bekanntheitsgrad erlangt haben, wie es wohl nur zu Al Capones Zeiten in den USA der Fall war.

Aber der Staat ist nicht untätig geblieben: Vor zwei Jahren wurde eine Untersuchungskommission zu einigen mafiösen Vorfällen ins Leben gerufen. Unter anderem sollte das Verhalten einiger Polizisten beleuchtet werden. Unter Leitung des ehemaligen Richters Wardinon Seiler machte sie sich auf die Suche nach der verlorenen Ehrlichkeit der israelischen Polizei.

Als Seiler seine Arbeit beendete, war aus den Reihen der Gesetzeshüter zu hören, daß einigen Kollegen "schon seit langem die Zunge abgeschnitten werden sollte. Anstatt sich auf die Arbeit zu konzentrieren, beschäftigten die sich mit Tratsch und Klatsch." Angemerkt sei, daß dies denjenigen Polizisten galt, die vor der Kommission aussagten und einige Köpfe ins Rollen brachten. Der pensionierte Richter reichte seinen Bericht vor einigen Monaten mit den Worten ein: "Sizilien ist hier!"


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