© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/07 05. Oktober 2007

Begrenzte Regelverletzungen
Konfliktreich: Eine Ausstellung im Jüdischen Museum Frankfurt dokumentiert das Leben von Ignatz Bubis
Werner Olles

Am 31. Oktober 1973 trat der Kampf um die besetzten Häuser im Frankfurter Westend in seine entscheidende Phase. Auf einer Demonstration hatte Daniel Cohn-Bendit zuvor bekanntgegeben, daß der Häuserblock Schumannstraße/Bockenheimer Landstraße, der seit zwei Jahren das Zentrum der Hausbesetzerbewegung war, nicht kampflos preisgegeben würde.

Doch es dauerte noch vier weitere Monate bis die Besetzer am frühen Morgen des 21. Februar 1974 nach einer nächtlichen Scheinräumung von einem geräuschlos anrückenden Großaufgebot der Polizei in einem minutiös vorbereiteten Einsatz noch im Schlaf überrascht wurden. Nach vier Minuten war der Eingang zu den Häusern frei, die Barrikaden weggeräumt und die Besetzer bereits auf dem Weg ins Polizeipräsidium, während Polizeieinheiten im Umkreis der Bockenheimer Warte und des Universitätsviertels Sperrketten bildeten. Im Laufe des Vormittags legte ein Abbruchunternehmen den größten Teil der gutbürgerlichen, alten Wohnhäuser in Trümmer.

Der Frankfurter Häuserkampf gehörte zu den spektakulärsten und gewaltsamsten politischen Auseinandersetzungen, die Frankfurt am Main in den frühen siebziger Jahren erlebte. Gut zehn Jahre später standen sich zwei der Hauptprotagonisten von damals erneut gegenüber: der ehemalige Hausbesetzer Daniel Cohn-Bendit und der als Immobilienunternehmer in den Westend-Konflikt involvierte Vorsitzende  der Jüdischen Gemeinde, Ignatz Bubis. Bei der Uraufführung des Fassbinder-Stücks "Der Müll, die Stadt und der Tod" im Kammerspiel warf eine Gruppe jüdischer Demonstranten dem Autor "subventionierten Antisemitismus" vor und verhinderte durch eine Bühnenbesetzung die Aufführung. Im Zentrum des Stücks standen der Konflikt um die Wohnraumzerstörung im Frankfurter Westend und der jüdische Immobilienspekulant Abraham. In diesem Abraham meinten die Demonstranten Ignatz Bubis zu erkennen.

Während Cohn-Bendit leidenschaftlich für eine Aufführung des Stücks plädierte und dem mit Bubis demonstrierenden Kulturreferenten der Jüdischen Gemeinde, Michel Friedman, der vehement die Gefahren eines wiederauflebenden Antisemitismus beschwor, vorwarf, dieser habe zur Goethe-Preis-Verleihung an Ernst Jünger geschwiegen, kam es vor dem Theater zu einem Handgemenge. Einer kleinen Truppe von Gegendemonstranten unter Führung der Grünen-Fundamentalistin Jutta Ditfurth wurde ein Transparent mit der Aufschrift "Spekulanten protegieren - Nazi-Jünger ehren - Meinungsfreiheit verwehren" entrissen. Nachdem Kulturdezernent Hilmar Hoffmann und Intendant Günther Rühle erklärten, daß die Uraufführung verschoben würde, antwortete Bubis, dann würden auch die Proteste weitergehen.

Bei einem Spiegel-Streitgespräch mußte sich Bubis zwei Wochen später von Cohn-Bendit vorhalten lassen, auch die Jüdische Gemeinde habe nun von der radikalen Linken das Konzept der begrenzten Regelverletzungen übernommen. Das "berechtigte Verteidigen von Emotionen" führe nun einmal zu Emotionen, die "in der Rechtsordnung nicht angelegt sind". Außerdem warf er Bubis dessen Aversionen gegen die radikale Linke vor, seine Bühnenbesetzung sei "widerlich" gewesen.

Allerdings war Bubis' Abneigung gegen die radikale Linke durchaus berechtigt, hatte diese sich doch nie gründlich und prinzipiell, sondern nur aus taktischen Erwägungen vom Links-Terrorismus distanziert. Bubis wußte um die Rolle palästinensischer Extremisten bei der Gründung der RAF, den mißlungenen Sprengstoffanschlag der Tupamaros West-Berlin gegen die dortige jüdische Gemeinde. Er kannte Ulrike Meinhofs nachträgliche Billigung des Münchener Olympia-Massakers durch die Attentäter des Schwarzen September, und er wußte auch, daß diese logistische Helfer aus der linksextremen Szene gehabt hatten.

Es ist also in der Tat eine "Konflikt"-Ausstellung und keine der üblichen biographischen Präsentationen, die der neue Direktor des Jüdischen Museums in Frankfurt, Raphael Gross, erarbeitet hat. Darüber täuschen auch ihr Titel "Ignatz Bubis - Ein jüdisches Leben in Deutschland" und die von Bubis' Ehefrau Ida zur Verfügung gestellten privaten Dokumente und Fotos nicht hinweg. Die Stationen von Bubis' Leben und Wirken waren allemal konfliktreich - und im Hinblick auf sein Verhältnis zur radikalen Linken tief vermintes Gelände: von den Auseinandersetzungen ums Westend, in deren Verlauf Bubis auch die bürgerliche Aktionsgemeinschaft Westend mit dem "Antisemitismus"-Verdikt belegte, bis hin zu dem mit Martin Walser ausgetragenen heftigen Streit nach dessen Paulskirchen-Rede im Oktober 1998.

Walser hatte die "Instrumentalisierung" von Auschwitz "zu gegenwärtigen Zwecken" und das ständige Insistieren auf Schuld und Schande kritisch beurteilt. Bubis reagierte darauf mit dem harschen Vorwurf des "latenten Antisemitismus". Wenig später kam es in der Redaktion der FAZ zu einem Gespräch zwischen den beiden, das zwar keine Versöhnung brachte, Bubis aber doch einlenken und seinen Vorwurf zurücknehmen ließ.

Museumsdirektor Gross, der vor der Ausstellung ein Interview mit Walser führte, hatte diesen zwar zur Eröffnung eingeladen, doch konnte der Schriftsteller den Termin leider nicht wahrnehmen. Die Ausstellung sah er sich dann am nächsten Tag an.

Nicht böse über die Absage zeigte sich jedenfalls Daniel Cohn-Bendit. Walser habe auf der Eröffnung nichts verloren. Der wollte allerdings ohnehin nicht öffentlich reden. Das übernahmen Bundesinnenminister Schäuble, die Zentralratspräsidentin Charlotte Knobloch, Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU), Salomon Korn, Vorsitzender der Frankfurter Jüdischen Gemeinde, und der Historiker Dan Diner, die an das demokratische Engagement und die Verdienste des 1927 in Breslau als siebtes Kind eines Schiffahrsbeamten geborenen und 1999 in Frankfurt verstorbenen FDP-Politikers und Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland erinnerten.

Beigesetzt ist Ignatz Bubis, dessen Vater, Bruder und Schwester von den Nationalsozialisten ermordet wurden  und der selbst 1944 in das Zwangsarbeitslager Tschenstochau gebracht wurde, in Israel.

Die Ausstellung "Ignatz Bubis - Ein jüdisches Leben in Deutschland" ist bis zum 11. November im Jüdisches Museum Frankfurt täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr, Mi. bis 20 Uhr, zu sehen. Tel.: 069 /2 12-3 50 00

Fotos: Martin Walser geht am 17. Mai 2007 nach seinem Besuch des Jüdischen Museums Frankfurt an einem Großplakat mit dem Bild von Ignatz Bubis vorbei: Zutiefst vermintes Gelände; Daniel Cohn-Bendit: Streitgespräch mit Bubis


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